Eier zeigen!
Es ist ein Novum, mit dem sich die Oberhäupter von Kommunen neuerdings befassen müssen. Mark Zuckerbergs Hydra Facebook will ihnen die Vermarktung ihrer Orts- und Städtenamen beschneiden.
Von Jochen Henke (2012-06-28)
Der junge Mann namens Mark Zuckerberg scheint größenwahnsinnig geworden zu sein, und das offenbar schon vor dem raubritterlichen Börsengang, bei dem viel schiefgegangen ist und Großanleger offensichtlich ihre Gehirne ausgeschaltet hatten. Zumindest gab es Blackouts bei den elektronischen.
Inzwischen scheint auch eine Riege von angeblichen und tatsächlichen Stadt-Marketing-Experten nur noch einen Furz im Kopf zu besitzen, denn anders ist kaum zu erklären, weshalb etwa der für Hamburgs Seite (hamburg.de) zuständige Sprecher Torralf Köhler laut Spiegel Online äußert, "nicht auf Facebook zu sein", sei keine Option. Er liegt damit im Einklang und auf einer Linie mit seinen KollegInnen aus anderen deutschen Großstädten. Etwa Berlin.
Katharina Dreger, aus der Hauptstadt-Abteilung Stadtmarketing und Abteilungsleiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, ist laut Spiegel Online der Auffassung, Facebook sei "für uns ein wahnsinnig wichtiger Kanal", ohne das näher zu begründen. An sozialen Netzwerken komme man "als moderne Stadt nicht vorbei", lässt sie sich weiter zitieren.
Ziemliches Blabla, was die Dame da verbreiten lässt, und ohne zu substantiieren, warum man daran nicht vorbeikommt? Geht es nur ums Dabeisein? Nur um Spässken? Oder auch um Handfestes? Wird durch die Präsenz auf Facebook Geld in die marode Berliner Kämmerer-Schatulle gespült oder kostet das Engagement nur unnütz viel?
Wie es aussieht, haben sich die Stadtoberhäupter und Kämmerer vom Hype der Social Networks und deren Protagonisten überrumpeln lassen und sind einem Phänomen aufgesessen, dessen Konsequenzen sie zu überblicken kaum in der Lage zu sein scheinen. Getreu des Mottos: Lass die jungen Leute mal machen, und mit dem sich nun abzeichnenden Aufschrei: Holla, die Waldfee! Was geht denn nun ab?
Dass sich Kommunen vermarkten müssen, ist spätestens seit Ilse Helbrechts 1995 erschienener Studie (Dissertation) Stadtmarketing¹ ein Floh im Ohr von Bürgermeistern und für die für die Vermarktung zuständigen Wirtschaftsförderungsämter ein korsettartiges Paradigma. Dass sie auf Teufel komm raus in Social Networks und Communities vertreten sein müssen, steht aber nirgendwo geschrieben. Es wäre auch zu viel des Guten oder Schlechten.
Denn was bringt es einer Kommune, wenn sie - zum Beispiel - auf Facebook vertreten ist? Vor allem: Was bringt es ihr an Mehrwert? Im Wesentlichen nichts. So gut wie jede deutsche Stadt und beinahe jedes Dorf leistet sich heute einen Web-Auftritt. Wozu also noch auf Social-Network-Portalen vertreten sein? Um zu zeigen, wie hip und Web-affin man ist? Mann-o-Mann! Als ob das ein Entscheidungskriterium für potentielle Standort-Investoren oder Touristen wäre!
Längst hat der noch kaum mit Mehrwert verifizierbare Hype um die Präsenz auf Social-Network-Seiten auch Stellenausschreibungen durchdrungen. Wer heutzutage in den Kommunikations- und Presseabteilungen von Kommunen, Organisationen oder Unternehmen unterkommen möchte, muss mit Social-Networks- und SEO-Kenntnissen ausgestattet sein. Weshalb? Das weiß niemand so genau. Ist modern. Man fragt sich, wie sich Kommunen, Organisationen und Unternehmen vor dem Aufkommen von Facebook, Xing und anderen Social Networks präsentiert haben? Gab es überhaupt eine Zeit vor Facebook?
Nun, nachdem das Zuckerberg-Imperium sich anschickt, Städtenamen selbst zu vermarkten, müssten eigentlich die Alarmglocken zumindest bei kommunalen Oberhäuptern schrillen, zumal Zuckerberg sich mit diesem Vorhaben in die 1990er Jahre zurückkatapultiert, in denen es um Top-Level-Domain-Streitereien ging, die letztlich zu Gunsten der Kommunen - und Marken - entschieden wurden.
Doch der junge Bursche, der jüngst mit Hilfe von Banken einen geschickten Börsengang hingelegt hat, der einige auf den Hype hereingefallene Anleger richtig Geld kostete, will es offenbar wissen und weiß hinter sich Legionen von Web-Hipstern und fleißigen Bienen in verantwortlichen Positionen und an Schnittstellen, die seine Doktrin unreflektiert nachbeten.
Insofern ist es an der Zeit, dass Leute mit Eiern in der Hose auf den Plan treten und dem Spuk der angeblichen virtuellen Nützlichkeit eine Basta-Mentalität entgegenhalten. Denn wenn sich Kommunen Facebook unterwerfen, werden sie bereits in wenigen Jahren dafür zahlen müssen, Ortseingangsschilder aufstellen zu dürfen.
¹ Ilse Hellbrecht: Stadtmarketing. Konturen einer kommunikativen Stadtentwicklungspolitik. Reihe Stadtforschung aktuell, Bd. 44, Paperback, 252 S., ISBN 3-7643-5142-X, Birkhäuser, Basel, Boston, Berlin, 1995.
© Jochen Henke
© GeoWis (2012-06-28)