Deutsche Bahn unter Belagerung von Lobbyisten
Von Jonas Littfers (2006-09-23)
Die Straβe bekam den üppigsten Batzen zugeschanzt, als in der ersten Hälfte der 1990er Jahre der Bundesverkehrswegeplan bis zum Jahr 2010 verabschiedet wurde. Geradezu Brosamen waren für Wasserwege und Binnenschifffahrt eingeplant worden, und kaum viel mehr für den Schienenverkehr. Seinerzeit waren Klagen von der Straβe zugeneigten Logistik- und Bauunternehmen nicht mal mit dem Stethoskop wahrnembar, doch nun, da Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee sich mehr der Bahn denn der Straβe widmet, ist ein Stethoskop nicht mehr notwendig.
Unüberhörbar ertönen die Kritiken an seiner Bahnpolitik. So berichtet die Financial Times Deutschland (FTD) in ihrer Ausgabe vom 22.09.2006, Tiefensee vertrete zu sehr die Anliegen der Deutschen Bahn in Bezug auf deren geplanten Börsengang. Die renommierte FTD, die wohl die besten Korrekturleser Deutschlands in ihren Reihen verzeichnen darf und kaum dafür bekannt ist, sich auf nicht genannte Quellen zu beziehen, vollzieht in ihrem Bericht genau das.
Abgesehen von der plakativen Headline Bundesbahnminister beziehen sich die Autoren dieser Geschichte - Claudia Wanner und Jens Tartler - teilweise auf Aussagen von nicht genannten Quellen, was sich dann so liest (Zitate): - "Man kann heute den integrierten Börsengang nicht mehr machen", schimpft ein SPD-Bundestagsabgeordneter; "Das Schlimme ist, dass der Eigentümer mit sich machen lässt, was die Bahn will", klagt ein Bahnexperte aus einem Landesministerium. -
Woran liegt es, dass in der FTD derartig nebulöse Quellen zu Wort kommen, wenige Tage, nachdem eine groβzügig gestaltete Beilage des Deutschen Kraftverkehrverbandes - DKV - in der FTD zu bestaunen war? Die alte Professorenweisheit, eine nicht verifizierbare Quelle sei keine und dürfe daher nicht verwendet werden, muß Bestand haben. Offenbar klinkt sich die FTD hier aus.
Tiefensee kann der Bahn nicht mehr Mittel zur Verfügung stellen, als damals beschlossen. Eher weniger. Daß er sich in Sachfragen auch den Argumenten des durch viele Krisen gegangenen Bahnchefs Hartmut Mehdorn anschlieβt, muß nicht heiβen, er verzichtete auf eine eigene Meinung. Von allen Bahnchefs der vergangenen 30 Jahre ist Mehdorn der erste, der die Bahn als Aufgabe begreift.
Seine Vorgänger begriffen sie als Job, als einen Stuhl, auf den man sich mal eine zeitlang setzte, ohne Strukturelles zu bewirken. Mehdorn aber räumt auf, und in die Etagen gestandener, vor allem in jene verbeamteter Bahnmanager, zieht der Wind der Transition ein und droht sie hinwegzufegen.
Doch es geht nicht um Angestammtes, und deshalb kann weder ein Verkehrsminister noch ein Bahnchef darauf Rücksicht nehmen. Es geht um ein Transport- und Logistikunternehmen mit nationalem Auftrag, das Geld braucht. Die Belagerung durch Lobbyisten, die auf Beton und Teer setzen, erscheint altruistisch. Sie täten gut daran, eine Weile auf Tauchfahrt zu gehen.
© Jonas Littfers
© GeoWis (2006-09-23, 15:40:04)