Zeit für die Zeit
Der in Kalifornien geborene New Yorker Künstler Christian Marclay hat einen Film über die Uhrzeit in Filmen gemacht. Herausgekommen ist ein Film, der zu den längsten jemals verwirklichten zählt.
Von Liz Bremer (2011-04-02)
In den großen Kinos - und in Deutschland - läuft The Clock (noch) nicht. Kein Wunder, dauert das Filmwerk geschlagene 24 Stunden. Beginn ist jeweils morgens um 7.00 Uhr, Ende um 6.59 Uhr. Da muss man sich Zeit nehmen, muss sich vorbereiten, denn bekanntlich verrichtet der normale Mensch, auch der normale Kinogänger, so allerlei Dinge binnen 24 Stunden. Mehrfach während dieser Zeitspanne muss er eine Toilette aufsuchen, er duscht, frühstückt, isst zu Mittag und zu Abend, telefoniert und wechselt für gewöhnlich mehrfach seine Kleidung.
Christian Marclays Film belegt unter den längsten je in die Öffentlichkeit geratenen Filmen Platz sechs, den er sich mit dem 1993 von Douglas Gordon gedrehten Slomo-Werk 24 Hour Psycho teilt. Während Gordon Alfred Hitchcocks Psycho kunstvoll auf 24 Stunden Spiellänge aufdröselte, befasst sich Marclay in The Clock mit den in Filmen dargestellten Uhrzeitszenen.
Gut drei Jahre hat Marclay für seinen Film gebraucht. Ein Jahr sei "schon für die Recherche" draufgegangen, wie er mehrfach äußerte. Erst danach habe er geglaubt, das Projekt sei realisierbar. Im Herbst 2010 war es soweit. Marclay konnte den Film zwar nicht in den großen Kinos unterbringen, allerdings in kleinen und in New Yorker Kunstgalerien.
Was aber muss man sich unter diesem Filmwerk vorstellen? Was erwartet den Betrachter? Die Antworten sind im Grunde recht einfach. Es sind mal mehr oder weniger wichtige, meist jedoch spannende Uhrzeitszenen in Schwarzweiß und Farbe aus Filmen aller Herren Länder. Jeder Kinogänger weiß um das dramaturgische Spannungselement der Uhrzeit. Mal blickt jemand nur kurz auf seine Armbanduhr, mal hängt - wie in Zurück in die Zukunft - die komplette Logik eines Films von einer Uhrzeit ab.
Immer geht es um Zeit. In Filmen, deren Plot eine Entführung ist, in Filmen, wo es um lebendig Begrabene geht, in Filmen, die außer Kontrolle geratene Züge und deren Unter-Kontrolle-Bringen zum Inhalt haben, in Filmen, die Bombenentschärfungen thematisieren, und so weiter. Die Zeit, insbesondere die Uhrzeit - auch, je nach Plot, Deadline genannt - ist ein wichtiges Element in der Mehrzahl aller bis heute gedrehten Thriller und Krimis.
Die berühmtesten und am meisten vorkommenden Uhrzeiten seien die, die gegen 12.00 Uhr und 24.00 Uhr laufen, sagt Marclay. Am schwierigsten sei es gewesen, Szenen für die Zeit zwischen 5.00 Uhr und 5.30 Uhr aufzuspüren. Er ist fündig geworden.
The Clock ist ein spannungsgeladener Film, dessen Plot die Bedeutung der Uhrzeit in Filmen ist. Er ist ebenso Anschauungsunterricht wie Dokumentation über ein filmisches Stilmittel, das bisher - zumindest unter den meisten Kinogängern - in seiner Bedeutung selten als so wichtig wahrgenommen worden sein dürfte wie Marclay es zeigt.
Marclays Film ist Kunst, keine Frage. Doch über den Gesichtspunkt des Künstlerischen hinaus trifft das Werk auch eine hervorragende Aussage zu (Uhrzeit-)Filmsequenzen, ohne deren Vorhandensein so mancher Film gescheitert wäre. Gegenwärtig befindet sich das Werk in der Synchronisation und soll in den nächsten Wochen auch in deutsche Vorführstellen kommen.
© Liz Bremer
© GeoWis (2011-04-02)