"Die Arbeiter nutzen uns aus"
Westliche Produzenten und Verbraucher haben es gerne preiswert. Dass die zu Lasten anderer geht, zeigt China Blue.
Von Jonas Littfers (2006-12-28)
Herr Lam war Polizeichef von Shaxi, bevor er die Firma Lifeng gründete, die im Schnitt 200.000 Jeans pro Monat für ausländische Unternehmen produziert. Er hält sich für einen guten Menschen, gibt er doch mehr als 700 vorzugsweise jungen, weiblichen Menschen Arbeit und Unterkunft. Er ist stolz auf seine bisherige Lebensleistung. Was ihn plagt, ist der harte Wettbewerb um Aufträge, Termindruck und die "Dummheit" seiner Arbeiterinnen, denen man ständig auf die Finger schauen müsse, um die Qualitätsstandards zu halten und die vorgegebenen täglichen Stückzahlen zu erreichen.
Damit Herr Lam nicht nur nicht pleite geht, sondern vor seinen westlichen Auftraggebern, zu denen zum Beispiel der Wal-Mart-Konzern gehört, auch sein Gesicht wahren kann, hat er sich allerlei einfallen lassen. Aufseherinnen schreiten mit strengem Blick durch die Produktionshallen wie zu Maos oder Kaiser Wilhelms Zeiten, jederzeit in der Stimmung, die Lohnknechte mit Drohungen um den Arbeitsplatzverlust anzutreiben. Stolz ist Herr Lam auch auf seine PC-Video-Anlage. Auf ihr kann er rund um die Uhr beinahe jeden Bereich seiner Firma und Teile der Unterkünfte überwachen.
Arbeiternehmerrechte und Arbeitsschutz - beides existiert nach Lesart des offiziellen China - interessieren Herrn Lam nicht sehr. Er habe "viele Ressourcen, vor allem menschliche Ressourcen."
Eine dieser Ressourcen ist die 17-jährige Jasmin, die aus einem Dorf der Provinz Sichuan stammt. Ihren Aufbruch nach Shaxi, China's Famous Clothing Town, und die ersten Monate in Herrn Lams Fabrik begleitet der amerikanische Dokumentarfilmer Micha Peled und zeigt exemplarisch am Beispiel der Lifeng-Fabrik, unter welchen Bedingungen für den Export bestimmte Bluejeans produziert werden.
Jasmin kommt voller Hoffnungen, bepackt mit einer groβen Billigtasche und einem Plastikeimer, nach Shaxi und findet einen Job als Fadenabschneiderin bei Lifeng. Schnell lernt sie die Tretmühle kennen, die aus Akkordarbeit zwischen 12 bis 17 Stunden bei einer 7-Tage-Woche, Unterkunft in Mehrbettzellen, mäβigem Essen, für das sie bezahlen muss, und Sanktionen besteht. 20 Yuan (ca. 1,6 €) Strafe kostet ein Ausflug in die Stadt - bei 450 Arbeitsstunden pro Monat und den 65 €, die Jasmin damit verdient, mehr als ein Tageslohn. Schlafen am Arbeitsplatz während der Pause wird ebenfalls geahndet, wobei manche trotzdem vor Erschöpfung einfach vom Schlafbedürfnis übermannt werden.
Jasmin führt Tagebuch, in das sie ihre Träume und kleinen Ziele schreibt, aber auch Erlebnisse, etwa dass sie noch niemals von so hoch oben aus dem Fenster geblickt habe. Sie ist im vierten Stock untergebracht.
Behutsam zeichnet Peled auf, wie es in Jasmin aussieht, wobei er sie aus dem Off erzählen lässt. Ist sie anfangs noch naiv und unerfahren, was Herr Lam als "dumm" klassifiziert, und nimmt sie es hin, täglich einen Eimer warmen Wassers für die Körperpflege vier Etagen hinaufzuschleppen, beginnt sie bald, Fragen zu stellen - sich selbst und ihren Zimmergenossinnen.
Etwa, wie es komme, dass ein ehemaliger Polizeichef eine so groβe Firma besitzen könne? Oder weshalb es so lange dauere, bis man seinen Lohn bekomme? Warum man so viele Stunden arbeiten müsse?
Peled, der diesen Film unter schwierigen Bedingungen und teils mit versteckter Kamera drehte, gelingt es, das desolate Fabrikleben der jungen Frauen ebenso ungeschönt zu dokumentieren wie deren emotionale Bande zu den in den Dörfern verbliebenen Familien, die auf die kargen Verdienste ihrer in die Stadt gegangenen Kinder angewiesen sind. Einmal im Jahr, zum Frühlingsfest, bekommen die Stückgutknechte zehn Tage frei. Wer es sich leisten kann, nimmt die Mehrtagesreisen mit dem Bus oder Zug in Kauf, um die Familie zu besuchen.
Der Film schildert auch die enorme Verachtung ausländischer Delegationen und Einkäufer gegenüber den chinesischen Produzenten und den Lohnsklaven. Selbst ein Einkaufspreis von 4,2 US-Dollar (ca. 3,25 €) pro Jeans erscheint ihnen noch zu hoch. Wenn zum Beispiel Herr Lam nicht noch 20 US-Cent nachlasse, ginge man zur Konkurrenz.
In eiligen Betriebsbesichtungen verschaffen sich die Damen und Herren Kontrolleure und Auftraggeber aus Australien, Neuseeland, den USA, Kanada oder Europa einen Eindruck der Produktionsbetriebe und bekommen zur Beruhigung ihres Gewissens gefälschte Stechkarten gezeigt, auf denen von Ausbeutung nichts zu erkennen ist.
Jasmin und ihre Kolleginnen vergnügen sich im Kleinen, etwa wenn sie sich darüber amüsieren, wie groβ oder dick die Menschen sind, die im Ausland die Jeans kaufen; oder wenn Orchidee, die als Reiβverschlussnäherin arbeitet und dadurch mehr Geld als die anderen verdient, Tanzeinlagen und Laufstegdarbietungen in der Mehrbettzelle vorführt.
Dass Gleichmut und Geduld der ArbeiterInnen auch überspannt werden können, zeigt sich bei einer spontanen Arbeitsniederlegung, nachdem Herr Lam, der sich von den Arbeitern ausgenutzt fühlt, ihnen wochenlang den Lohn schuldig beibt. Erst als sie ihm die Zusage zur Zahlung abringen, arbeiten sie weiter.
Wie ausgewechselt wirkt Herr Lam, als das für ihn erfolgreiche Jahr zu Ende ist und das Frühlingsfest bevorsteht, und vergessen sind an Tafeln oder Treppenhauswände in seinem Auftrag geschriebene Slogans wie "Wenn du heute nicht hart arbeitest, wirst du morgen hart nach Arbeit suchen", denn es ist Tombola, es gibt einen Fernseher zu gewinnen, dazu allerlei Nippes. Herr Lam hält eine Dankesrede an die Dagebliebenen und trägt rührselig ein Lied vor. Jasmin aber ist traurig.
TRAILER
© Jonas Littfers
© GeoWis (2006-12-28)
© Fotos/Webseite: http://www.diegesellschafter.de
Zum Interview mit Micha Peled >>
Originaltitel: China Blue. USA, 2005. Regie: Micha X. Peled. 88 Minuten, Chinesisch mit deutscher Untertitelung. Filmpartner: INKOTA-netzwerk e. V.