Post-moderner Neo-Napoleon
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will nun doch zur Eröffnungsfeier zu den Olympischen Spielen in Beijing reisen und verblüfft Anhänger wie Kritiker.
Von Mariam Backes und Hao Feng (2008-07-09)
Erst stellte er Bedingungen, nun hat er es sich anders überlegt. Nicolas Sarkozy, der Haudrauf, der angebliche Durchgreifer, der Parvenü und nun der Umfaller unter den französischen Präsidenten, will plötzlich doch der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele beiwohnen. Dies melden heute verschiedene Nachrichtenagenturen, darunter AFP und Xinhua.
Eben noch hatte er versucht, Beijing zu einem Dialog mit dem Dalai Lama anzuhalten; jetzt ist davon nicht mehr die Rede. Die chinesische Führung ist ja auch längst in einen Dialog mit Vertretern des Dalai Lama getreten. Sarkozy sei, ginge es nach den Teilnehmern an einer Online-Umfrage des mächtigen Portals sina.com.cn (GeoWis berichtete), in China nicht willkommen.
Möglicherweise haben auch seine politischen Berater und Freunde aus der Wirtschaft auf ihn eingewirkt, zu denen etwa Serge Dassault, Chef des gleichnamigen Rüstungs- und Luftfahrtkonzerns und Besitzer der Zeitung Le Figaro, gehört; oder Arnaud Lagardère, veritabler Anteilseigner am multinationalen Luftfahrtunternehmen EADS und Besitzer der Zeitung Paris Match.
Es ist naheliegend, daß ihm ein wenig Nachhilfe in strategischer Politik, die immer auch Wirtschaftspolitik ist, gegeben worden sein muß. Denn es sich mit China wegen dessen innenpolitischer Präferenzen zu verscherzen, kann nicht von Vorteil für Frankreich sein. Das hatte noch vor einem dreiviertel Jahr die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, schmerzlich erfahren müssen, nachdem sie den Dalai Lama offiziell empfangen hatte (GeoWis berichtete).
Nur wenige Politiker jüngerer Zeit traten so oft in Fettnäpfchen wie Sarkozy. Noch-US-Präsident Bush und Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl - letzterer vor allem in den ersten Jahren seiner vier Amtszeiten - gehören in diese Liga der rhetorisch und politisch Entrückten.
Daß Sarkozy einmal mehr Kritik einstecken muß, nachdem er bereits vor seiner Heirat mit dem noch immer auf zig Webseiten nackig posierenden Model Carla Bruni locker-präsidial im In- und Ausland unterwegs war und zum Entsetzen vieler Franzosen, vor allem aber seiner Wähler kameragerecht lustwandelte, kann nicht verwundern.
Politiker werden an ihren Aussagen und Handlungen gemessen. Bereits in seiner prä-präsidialen Zeit als Innenminister unter Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac tönte Sarkozy, hart durchgreifen zu wollen, als es immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen arbeitsloser, desintegrierter Einwandererkinder in den Vorstadt-Ghettos französischer Metropolen gekommen war.
Statt ihnen Chancen auf dem Ausbildungsmarkt zu eröffnen, um dazu beizutragen, sie in die französische Gesellschaft zu integrieren, ließ er den Knüppel aus dem Sack holen. Bis heute hat sich an der Situation gerade dieser zahlenmäßig hohen, politisch aber marginalen Bevölkerungsschicht wenig geändert. Kaum ein europäisches Land hat größere Integrationsprobleme als Frankreich.
Um dies zu ändern, holte sich der post-moderne Neo-Napoleon Rachida Dati ins Kabinett und übergab ihr das Justizministerium. Sie erscheint inzwischen als das weibliche Pendant zu Sarkozy: ähnlich entrückt, ähnlich forsch, ähnlich auffallend und - ähnlich diffus.
Nach einem äußerst umstrittenen Gerichtsurteil zum 'Ehe-Betrug' stellte sich Dati auf die Seite der Richter. Bislang war Rachida Dati von den Franzosen vor allem aufgrund ihrer für eine Ministerin extravaganten Erscheinung wahrgenommen worden. Fotogen reüssierte sie nachhaltig neben dem Womanizer Nicolas Sarkozy in der französischen und internationalen Presse als eine Art Attrakteuse - neudeutsch: Maneater.
Besonders toll fanden die Franzosen ihre Auftritte nicht. Schon seit einiger Zeit war Dati ihnen suspekt. Zu sehr richtete sie ihr Augenmerk auf die Belange von Muslimen, und vergaß dabei die Interessen jener Franzosen, die nicht ins Land eingewandert waren.
Dati, in Frankreich geborenes Multi-Kulti-Kind marokkanisch-algerischer Abstammung und erklärtermaßen Muslimin, wurde vorgeworfen, besagtem Gerichtsurteil die obristische Stange zu halten und Integration deutlich mißverstanden zu haben. Gemeint war, daß Integration nichts mit der Übertragung von in zivilisierten Gesellschaften obsoleten Radikalismen und Frauenfeindlichkeiten zu tun habe.
Sarkozy ließ die Hübsche gewähren. Daß er jetzt doch an der Eröffnungszeremonie teilnehmen will, ist dem ewigen Sponti und Grünen im Europa-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, gar nicht recht. Der inzwischen offenbar zum Lieblingsgesprächspartner des Magazins Der Spiegel avancierte Deutsch-Franzose polterte in diesem Maganzin, "wer zur Eröffnungsfeier" gehe, verbünde sich "mit der kommunistischen Partei Chinas."
Was für ein Quatsch! Der Mann hat auch schon mal Intelligenteres von sich gegeben. Wer zur Eröffnungsfeier erscheint, will es sich mit China nicht verscherzen. Es gehört dazu, daß bei solchen Veranstaltungen oberste Regierungsvertreter sich die Ehre geben. Konsequent wäre, das Spektakel nur mit Amateuren - also ohne Profi-Sportler - durchzuführen. Oder - in diesem Fall - zu sagen, daß man Beijing das Gesicht wahren läßt.
© Mariam Backes, Hao Feng
© GeoWis (2008-07-09)