Alles normal?
Während in Kopenhagen eine windelweiche Abschlusserklärung zum Klimagipfel verabschiedet wurde, hat sich Väterchen Frost große Teile der Nordhalbkugel unter den Nagel gerissen. Was Kinder freut, doch schon versagt die Technik.
Von Hubertus Molln (2009-12-19)
Schön kalt und weiß ist es seit Anfang der Woche in Europa geworden, auch in Deutschland. Was Autofahrern kaum schmecken dürfte - mehr als 100.000 Verkehrsunfälle sind in den vergangenen Tagen aufgrund des Wintereinbruchs in Europa zu verzeichnen gewesen -, ist für Kinder neben sommerlichem Badespaß eine freudvolles Erlebnis.
Schneemänner werden gebaut, es wird gerodelt, Ski gefahren, und Schneeballschlachten sind endlich auch wieder möglich. Es ist die Zeit, in man sich in wärmende Kleidung packt, Pudelmütze und andere Kopfbedeckungen aufsetzt, in Handschuhe schlüpft, Partner oder Kinder an die Hand nimmt und das Winterliche genießt.
Es ist eine Zeit relativer Stille. Schnee dämpft die Lautstärkepegel in den Städten, vor allem, wenn Autos nicht fahren können, weil sie beispielsweise eingeschneit sind. Wer in den Mittelgebirgen und Höhenzügen wohnt, muß sein Kraftfahrzeug stehen lassen, sattelt sein Pferd oder schlüpft in Skier, um zum Einkauf oder sonstwohin zu kommen.
Es ist auch die Zeit verpaßter Verabredungen und des Versagens mancher Technik. Züge sind verspätet, Busse und PKW kommen den Berg nicht hinauf. Verabredungen lassen sich nachholen. Was aber soll man davon halten, wenn im Euro-Tunnel, der zwischen Frankreich und Großbritannien unter dem Ärmelkanal verläuft, vier Hochgeschwindigkeitszüge feststecken und dies damit begründet wird, daß es am Temperaturunterschied liege? Draußen klirrend kalt, im Tunnel lecker warm?
Peinlicher geht's kaum, wenn die von der französischen Firma Alsthom auf Basis des TGV Atlantique gebauten Schienenflitzer Eurostar mit zwanzig bis dreißig Grad Temperaturunterschied nicht fertig werden und - so melden es mehrere Medien heute - 2000 Menschen im Tunnel festsitzen. Kaum friert und schneit es, versagt die Technik? Wie will man damit Hochgeschwindigkeitszüge Nordamerikanern, Kanadiern, Russen und Chinesen schmackhaft machen?
Und was sagen die Schweden, deren High-Speed-Zug X2000 fährt und fährt, obwohl es dieser Tage in Sundsvall -20° C hat? Erstmal reflektieren sie das Snökaos i hela Europa (Schneechaos in ganz Europa; Svenska Dagbladet v. 19.12.2009). Dann gehen sie schlittschuhlaufen. Daß der X2000 irgendwo steckengeblieben wäre - Fehlanzeige.
Wer allerdings bei diesen Temperaturen nicht rechtzeitig eine warme Unterkunft gefunden hat, was vor allem für die Millionen Obdachlosen in der Europäischen Union eine Überlebensnotwendigkeit ist, erfriert. Wie jedes Jahr, wenn die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen. Rund eine Million Obdachlose - juristisch-archaisch: Nicht-Seßhafte - gibt es in Deutschland. Und die ersten Toten auch schon, etwa den 62-jährigen Frankfurter (Main), der am vergangenen Mittwoch im rheinland-pfälzischen Bendorf in einer Pfadfinderhütte erfror.
Natürlich ist es auch die Zeit, in der man kostenslos seine politischen oder anderweitigen Überzeugungen vermitteln kann. Auf Gehwegen und Autoscheiben lassen sich trefflich Statements und Parolen malen oder schreiben, die zumindest so lange Bestand haben, bis Fußabdrücke, Scheibenwischer oder Tauwetter sie beseitigen.
Daß es um diese Jahreszeit klirrend kalt werden kann und in Nordamerika Schneestürme - wie gegenwärtig - den Menschen das Leben schwer machen, war stets normal. Anormal waren eher die milden Temperaturen in den vergangenen dritten Dezemberwochen. Normal allerdings ist gemäß des Klimaforschers und Meteorologen Horst Malberg der Klimawandel. Die meteorologisch-geowissenschaftlich kaum vorgebildeten Klimaskeptiker des deutschen, rechtsliberalen Magazins Cicero spannten Malberg sogar für sich ein, weil der den CO²-Faktor (des Menschen) für nicht so relevant halte.
Zitat (aus Malberg-Interview mit Cicero, 17.12.2009): "Der Ansatz der anthropogenen Erwärmung durch die Treibhausgase ist bislang durch nichts empirisch bewiesen und nur eine Arbeitshypothese. Die Daten, die ich untersucht habe, wurden von Wetterstationen gesammelt. Ich arbeite also nicht mit Modellen, wie die meisten anderen Klimaforscher, sondern mit empirischen Daten. Und dort gibt es klare und nicht widerlegbare statistische Zusammenhänge."
Malberg als Klimaskeptiker heranzuziehen, ist gewagt, denn er verneint weder den Einfluß des Menschen mit dem CO²-Ausstoß ("20-30%"), noch den Klimawandel, wie er in seinem Lehrbuch umfangreich darlegt, wonach Klimawandel etwas Normales sei.
Es ist kalt auf der Nordhalbkugel. So kalt, daß der sibirische Permafrost ein wenig vom Auftauen abgehalten wird (-40° C in Ostsibirien am 19.12.2009), und so kalt, daß man berechtigt hoffen kann, ausreichend Wespen- und Mückenlarven erfrören, damit im Frühjahr und Sommer ungeplagt Speiseeis vertilgt werden kann.
Ähnlich kalt wie in Ostsibierien ist es längst auch in Alaska, dessen Hauptstadt Anchorage eingeschneit ist. Na und? Die Alaskaer kennen das. Sie lassen die Autos weitgehend eingeschneit stehen, satteln ihre Schneemobile oder spannen die Huskies vor den Schlitten - und bestreiten ihren Tag. Alles normal.
© Hubertus Molln
© GeoWis (2009-12-19)