"Vor dem Gesetz sind alle gleich"
Die Hinrichtung von Akmal Shaikh sorgt für Empörung in der westlichen Welt und rückt gleich zwei Problematiken in den Fokus: einerseits die Todesstrafe im Allgemeinen, andererseits die historische Dimension des Drogenschmuggels und -handels in China
Von Jochen Henke (2009-12-29)
Die internationale Empörung - die wesentlich in jenen 95 Staaten evident ist, in denen die Todesstrafe als abgeschafft gilt - über die Vollstreckung des Todesurteils des britischen Staatsbürgers Akmal Shaikh, der heute früh im chinesischen Urumqi, Provinz Xinjiang, durch die Giftspritze hingerichtet wurde, muss im Hinblick auf die Frage, ob die Todesstrafe überhaupt als Urteil in der zivilisierten Welt etwas zu suchen hat, betrachtet werden. Die Mehrheit aller Staaten hat sie noch im Portfolio, wenngleich einige davon schon lange keinen Gebrauch mehr machen.
Laut Amnesty International (AI) und der Webseite todesstrafe.de führt China die Verurteilung zur und Vollstreckung der Todesstrafe an. Im Jahr 2008 richtete das Reich der Mitte 1718 Menschen hin (pro 1.000.000 Einwohner 2,302). Der Iran vollstreckte 346 Todesurteile (0,272/eine Mio. Ew.), Saudi Arabien 102 (0,028/eine Mio. Ew.) und die USA 37 (0,012/eine Mio. Ew.). Weltweit wurden im Jahr 2008 laut AI 2390 Menschen hingerichtet.
Die Bandbreite an Straftaten, die mit der Todesstrafe bewehrt sind, ist vielfältig. Sie reicht von Bankraub (Saudi-Arabien), Menschenhandel (China), Drogenschmuggel und -handel (China, Thailand, Singapur, Malaysia), über Mord und Vergewaltigung (USA, China) bis Korruption (China). Die Vollstreckung erfolgt mit unterschiedlichen Mitteln, die zu diskutieren sich kaum lohnt, wenn man die Todesstrafe obligatorisch ablehnt.
Jene Staaten, die sie im Gesetz verankert haben - die USA haben sie 1977 wieder eingeführt -, bedienen sich beispielsweise der Giftspritze (China, USA), des Elektrischen Stuhls (USA), des Strangs (Japan) oder der Enthauptung mittels Schwert (Saudi Arabien). Immer wieder wurden auch Ausländer hingerichtet, meist wegen Kapitalverbrechen wie Mord oder Drogenschmuggel bzw. -handel.
So in den USA die Brüder LaGrand im Februar und März 1999 im Bundesstaat Arizona oder die Briten Ingram Nichols (April 1995 in Georgia) und John Elliott (Februar 2003 in Texas); in Singapur der Niederländer Johannes van Damme (September 1994) oder der Brite John Martin Scripps (1996). Insbesondere in asiatischen Ländern mit Todesstrafe im Strafgesetzbuch gilt diese häufig auch für das Schmuggeln oder den Handel mit Drogen, vor allem, wenn harte Drogen wie Heroin im (Todes-)Spiel sind.
Die Frage, ob staatliche Gewalt bis zum Äußersten gehen darf, haben sich manche europäische Länder recht spät gestellt. So schaffte Österreich die Todesstrafe endgültig erst 1968 ab, während die Bundesrepublik Deutschland sie bereits 1948 aus dem Strafgesetzbuch strich (West-Berlin im Januar 1951). Schweden schaffte sie endgültig 1973 ab, Frankreich erst 1981 und die Schweiz - schon immer etwas langsamer - gar erst 1992.
Großbritannien richtete im Juli 1955 Ruth Ellis als letzte zur Todestrafe verurteilte Frau hin (als Kinofilm 1985 nacherzählt von Regisseur Mike Newell in Dance With A Stranger; in den Hauptrollen Miranda Richardson als Ruth Ellis und Rupert Everett als adliger Trunkenbold und Liebhaber David Blakeley, den Ellis tötete). Als letzten Mann tötete Großbritannien im April 1962 James Hanratty. Erst im Dezember 1999 war die Todesstrafe im Vereinigten Königreich endgültig abgeschafft worden.
Nun hat China Akmal Shaikh (53) getötet, der im September 2007 von der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe kommend mit gut vier Kilogramm Heroin im Gepäck auf dem Flughafen von Urumqi festgenommen und am 29. Oktober 2008 vom dortigen Supreme Court wegen Drogenschmuggels zum Tode verurteilt worden war.
Vier Kilo sind eine Menge Stoff, Marktwert rund 400.000 US-Dollar (zurzeit ca. 285.000 €), im Straßenverkauf ein Mehrfaches davon. Eine derartige Menge "untergeschoben" zu bekommen, wie offizielle britische Stellen behaupten und als strafmildernde Gründe "Unzurechnungsfähigkeit" von Shaikh anführten, wirft grundsätzlich die Frage auf, wie ausgeprägt diese Unzurechnungsfähigkeit gewesen ist?
Es wirft auch die Frage auf, ob jemand, dem vier Kilo Heroin in einem nicht zuletzt vom illegalen Drogenanbau lebenden Staat wie Tadschikistan untergeschoben worden sein sollen, überhaupt in der Lage gewesen wäre, eigenständig ein Flugticket ausgerechnet nach Urumqi zu kaufen. Und auch die Frage, was Shaikh in dieser gottverlassenen Gegend vorhatte?
Mitte Oktober dieses Jahres hatte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Ma Zhaoxu, darauf hingewiesen, dass durchaus die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass Shaikh zum Tode verurteilt werde. Er wies auch darauf hin, dass weder Shaikhs Familie noch Shaikh selbst eine Krankheitsgeschichte hinsichtlich seiner Psyche habe nachweisen können.
Den Einlassungen, auch von britischen Stellen, das Heroin sei Shaikh ohne dessen Wissen zugesteckt worden und Shaikh sei nicht im Vollbesitz seiner psychischen Kräfte gewesen, folgte das Gericht demnach nicht und entschied gemäß den Artikeln 48 und 347 des chinesischen Strafgesetzbuches auf die Höchststrafe, die ab 50 Gramm Heroin angewendet werden kann.
Dass Shaikh Ausländer war, interessierte das Gericht nicht. "Vor dem Gesetz sind alle gleich", unterstrich ein Gerichtssprecher heute. In chinesischen Blogs wird dies überwiegend goutiert. Ungeachtet dessen, dass die Todesstrafe nicht in die Strafgesetzbücher zivilisierter Staaten gehört - als ein solcher versteht sich China -, kann man die Vollstreckung der Todesstrafe an Shaikh nicht lediglich als Abschreckungsmaßnahme verstehen, sondern auch in einen historischen Zusammenhang bringen.
China hat schlechte Erfahrungen mit Drogen gemacht und darüber zwei Kriege führen müssen. 1760 brachten die Briten in größerem Stil Opium nach China und begannen die Bevölkerung zu dopen. Unter Kaiser Dàoguâng (chin.: Mínníng) eskalierte der Opiumschmuggel, gefördert von der britischen East India Company, in den Jahren 1826-38. Chinas Herrscher der Qing-Dynastie wollte kein dauerbekifftes Volk und begann den Drogenschmuggel und -handel zu bekämpfen, konfiszierte etwa 1400 Tonnen Opium und versenkte es im Meer. Die Briten ließen sich dies nicht gefallen. Was folgte, war der 1. Opiumkrieg (1839-41).
Die Briten obsiegten und führten weiter Opium nach China ein. Zudem begannen sie sich auch territorial in China breitzumachen. In ihrem Windschatten kamen weitere Besatzer, etwa aus Frankreich, Deutschland oder Japan. Auf Kaiser Dàoguâng folgte Xiánfêng (chin.: Yizhu), der von 1850-61 herrschte. Auch ihm missfiel der Opiumhandel. In seine Regentschaft fiel der 2. Opiumkrieg (1856-60), den Briten und Franzosen mit ihm ausfochten. Auch Xiánfêng verlor.
Daraufhin wurde der Opiumhandel auf Druck der Kriegssieger legalisiert. Chinas Wirtschaft wurde durch massenhaft gedoptes, dadurch bräsiges Beamtentum geschwächt und erlebte einen Niedergang, der den Europäern und Japanern zupass kam. Die massenhafte Bedröhnung schwächte das Land sogar auf Dauer und ließ es hilflos erscheinen, als Japaner und andere Kolonialisten es von mehreren Flanken bedrohten und schließlich in Kriege verwickelten und besetzten. Erst unter Mao Zedong konnte sich das Reich der Mitte von seinen Besatzern und dem Opium befreien.
Noch wenige Jahrzehnte zuvor war etwa Heroin - genauso wie der lebensbedrohliche und die Leber zersetzende Schnaps Absinth - in Europa legal. Es sollte Zigtausende das Leben kosten. Die Firma Bayer, Dependancen Wuppertal-Elberfeld und New York City, warb sogar damit, dass Heroin-Hydrochlorid Husten vorbeuge oder eliminiere.
Hatte China nach Vertreibung der Besatzer unter Mao Zedong auf die Todesstrafe bei Rauschgiftschmuggel verzichtet, führte das Land sie im 21. Jahrhundert wieder ein. Hierbei schien die Geschichte Pate gestanden zu haben. Wie die Online-Ausgabe der US-Zeitung The Nation im Juni 2006 berichtete, seien im Jahr 2005 über 1500 Drogendealer verhaftet worden. Die meisten wurden den chinesischen Triaden zugeordnet.
34 Drogenlabore seien damals ausgehoben worden. 2,3 Tonnen Opium, 2,34 Millionen Ecstasy-Tabletten, 6,9 Tonnen Heroin und 5,5 Tonnen Methamphetamine (hier ein Plus von 154% gegenüber 2004) sichergestellt. 785.000 registrierte Drogenabhängige, davon 89 Prozent (699.000) Heroinsüchtige, seien zu verzeichnen gewesen.
Damals schon wurde die Dunkelziffer auf das Fünf- bis Sechsfache geschätzt. Für das Jahr 2008 bezifferte die Online-Ausgabe der chinesischen Zeitung People's Daily (am 29. Oktober 2009) 1,22 Millionen registrierte Drogensüchtige. Knapp 78 Prozent davon seien heroinsüchtig (mithin 947.000). Die Dunkelziffer dürfte auch hier beim Fünf- bis Sechsfachen liegen. Der Anstieg der registrierten Drogensüchtigen von 2005 bis 2008 betrug demnach 55 Prozent; der der registrierten Heroinsüchtigen immerhin noch 35 Prozent.
Dass China kein Déjà-vu in Sachen Drogensucht und -schmuggel erleben will, dürfte angesichts der historischen Erfahrungen, die das Land damit gemacht hatte, nachvollziehbar sein. Dass es allerdings die Todesstrafe noch im Strafgesetzbuch führt, ist nicht nachvollziehbar, zumal dann nicht, wenn es als zivilisierter Staat von Europa anerkannt werden will. Indes, auch jene US-Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe noch im Gesetzbuch steht, haben hier Nachholbedarf.
© Jochen Henke
© GeoWis (2009-12-29)