Blass, einsam und akzentlos
Horst Köhler hat heute während einer Pressekonferenz an seinem Amtssitz Schloss Bellevue in Berlin der Öffentlichkeit seinen Rücktritt erklärt. Zuvor hatte grundgesetzkonform die Verfassungsorgane darüber informiert.
Von Nina Brenthäuser (2010-05-31)
Der Vorgang ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwar gab es schon einmal einen Rücktritt eines deutschen Bundespräsidenten, dies aber mit Ankündigung. Drei Monate vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit trat Heinrich Lübke 1969 zurück, nachdem er dies rund acht Monate zuvor, im August 1968, angekündigt hatte.
Ähnlich farblos, mitunter rhetorisch missverständlich und einsam wie Lübke agierte Köhler, seit 2004 im Amt und im Mai 2009 darin bestätigt. Köhler, eher Monetarist als Politiker, führte als Begründung für seinen Schritt die Kritik an seinen umstrittenen Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr an, die er am vorvergangenen Samstag in einem Interview mit Christoph Ricke im Deutschlandradio von sich gab.
Auch als Bundespräsident müsse man Kritik aushalten, sagte etwa Linke-Parteichef Gregor Gysi. Ähnlich äußern sich Vertreter der Grünen. In der Tat erscheint die Begründung ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Naheliegender ist da schon die Blöße, die sich der Ex-Bundespräsident mit seinen Äußerungen gegeben hat, wonach der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auch dazu diene, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren (...)".
Blamabel dann sein Zurückrudern. Am vergangenen Donnerstag ließ er erklären, dass sich die Äüßerungen auf den Einsatz gegen See-Piraterie bezog, die unter dem Rubrum Atalanta im Indischen Ozean vor der Arabischen Halbinsel und den Gewässern vor Nordost-Afrika gefahren werden. Nur: Das hätte Köhler bereits im Interview mit Ricke deutlich machen können.
Sein Rücktritt ist zwar mutig, wirft aber die Frage auf, ob nicht der eine oder andere Politikakteur dies auch längst hätte für sich in Erwägung ziehen sollen. Doch er drückt eine Hasenfußhaltung aus. Man darf den Bundespräsidenten nicht ungestraft beleidigen, schließlich ist er ein Verfassungsorgan. Kritisieren aber darf man ihn. Dies nicht nur wegen seines kryptischen Satzbaus und der darin verborgenen Gedankengänge zu Deutschlands Kriegseinsätzen, sondern auch, weil er monarchisches Gehabe an den Tag gelegt hat.
Im Volk war Köhler - glaubt man Umfragen - überwiegend beliebt, weil er gelegentlich die Regierenden und die zügellosen Finanzakrobaten anging. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, zuletzt im Zuge des monströsen 750-Milliarden-Euro-Währungsstützungsprogramms Deutschlands Beitrag dazu - zirka 148 Milliarden Euro - abzusegnen. Hier muss die nähere Zukunft noch abgewartet werden, inwieweit sich diese Unterschrift als fahrlässig erweist.
Besondere Akzente konnte Horst Köhler in seinem sechsjährigen Wirken als oberster Deutscher nicht setzen, wenngleich er als bürgernäher galt als etwa seine Vorgänger Roman Herzog (1994-99) und Richard von Weizsäcker (1984-94), dennoch nie an das Ausgleichende und Seelenwärmende von Johannes Rau (1999-2004) heranreichte.
Mit dem nun erfolgten Rücktritt aber ist ihm ein Aperçu zum obligaten Geschichtseintrag sicher. Wie der insgesamt ausfallen wird, darf mit Spannung erwartet werden, vor allem im Hinblick auf Köhlers jüngste Äußerungen und seinem Umgang damit. Nicht auszuschließen, dass ihm Feigheit oder Dünnhäutigkeit, Akzentlosigkeit und Blässe in der Amtsführung attestiert werden.
30 Tage bleiben jetzt, um die Bundesversammlung einzuberufen und die Vakanz des Amtes mit einem Nachfolger zu besetzen. So sieht es das Grundgesetz vor. Schon wird spekuliert, ob der nordrhein-westfälische Wahlverlierer und Noch-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ein geeigneter Kandidat wäre. Auch Roland Koch (CDU), Noch-Ministerpräsident von Hessen, wird schon ins Spiel gebracht.
Köhler war der erklärte Kandidat der CDU/CSU und der FDP, und der von Kanzlerin Angela Merkel, die sich damals alles andere als ein starkes Staatsoberhaupt wünschte und in dem ehemaligen Weltbanker daher einen idealen Kandidaten sah. Das hat Horst Köhler gewusst und gespürt und so manches Mal Spitzen gegen ihre Regierung losgelassen. Spitzen allerdings, die eher populistischen Charakter hatten.
Schlimmer als diese Spitzen muss die CDU/CSU/FDP-Regierung der nun erfolgte Rücktritt treffen, passt er doch vorzüglich in das regierungspolitische Chaos, das an völlige Orientierungslosigkeit grenzt. Kopflos ist das politische Deutschland dennoch nicht. Einstweilen ist Bremens Bürgermeister und amtierender Bundesratspräsident Jens Böhrnsen nach Artikel 57 Grundgesetz mit sofortiger Wirkung das Ersatz-Staatsoberhaupt. Einen sich als Monarch verstehenden Bundespräsidenten hingegen braucht Deutschland nicht noch einmal.
© Nina Brenthäuser
© GeoWis (2010-05-31)
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