Das Ende der Ölgesellschaft
Auch wenn es Apologeten und Extremisten gibt, die unseren Planeten für ausgestopft mit fossilen Brennstoffen halten - die Wirklichkeit sieht anders aus. Dieses Buch analysiert die Situation.
Von Wolfgang Körner (2010-08-21)
Unter ernstzunehmenden Geologen ist nicht mehr strittig, dass die Erdölvorräte nicht nur begrenzt sind, sondern weitgehend verbraucht. Es wäre müßig darüber zu streiten, ob der "Oil peak", der Verbrauch von mehr als der Hälfte dieses Rohstoffs, in den 1970er Jahren erreicht wurde oder erst zehn Jahre später. Bereits jetzt wird unter immer schwierigeren und kostspieligeren Produktionsbedingungen in immer unwirtlicheren Gegenden Erdöl gefördert. Die Katastrophe im Golf von Mexiko, ein Resultat maßloser Profitgier und unbegreiflicher Schlamperei, ist keinesfalls die erste und wird nicht die letzte sein.
Kein Wunder, dass längst mit allen Mitteln um Öl und Erdgas gekämpft wird. Noch setzt China friedliche Mittel ein und ist bestrebt, sich durch immer mehr langfristig angelegte Handelsverträge Rohstoffe aus aller Welt, vorwiegend aus Afrika, zu sichern. Die USA hingegen, Urheberin der meisten Kriege des 20. Jahrhunderts, überfällt Förderländer wie Irak und Afghanistan, wo Erdölfelder entdeckt wurden. Wann der Iran unter dem Vorwand der Fortschritte des Staates bei Nutzung atomarer Energie vom Großen Satan angegriffen wird, bleibt abzuwarten - und ob Russland und China das tatenlos zuließen, ist fraglich.
James Howard Kunstler, durch bisherige Arbeiten, wie etwa seinem ersten Sachbuch The Geography of Nowhere (1993), als wertkonservativer Amerikaner ausgewiesen, stellt zuerst überzeugend dar, wie in rund hundert Jahren die Industriegesellschaften mehr als die Hälfte der Öl- und Erdgaslager ausbeuteten und den sogenannten Fortschritt aus fossilen Rohstoffen destillierten. Vom Benzin für Kraftfahrzeuge bis zum Kerosin für Flugzeuge, von Düngemitteln bis zu allen nur vorstellbaren Kunststoffen und zahlreichen Medikamenten - nahezu nichts mehr ist ohne den fossilen Brennstoff Öl und dessen Derivate vorstellbar. Von der Erzeugung von elektrischem Strom für Beleuchtung sowie Erdgas für Heizung einmal ganz abgesehen.
Nun denken wir gewöhnlich, der Menschheit sei schließlich immer etwas mehr oder weniger Geniales eingefallen, wenn es nicht mehr möglich war, wie zuvor weiterhin zu verfahren, doch mit dieser Vorstellung räumt Kunstler gründlich auf. Elektrofahrzeuge, die uns die Industrie verspricht, haben noch immer einen vergleichsweise geringen Aktionsradios. Die Batterien sind zu schwer und auch für ihre Herstellung sind fossile Energien erforderlich. Wind-, Wasser- sowie Sonnenenergie ist stationär gebunden und nicht geeignet, Benzin als Treibstoff zu ersetzen. Einzig für die Stromerzeugung erscheint Kernkraft als Alternative geeignet, aber dagegen sprechen die mit Kernkraftwerken verbundenen Sicherheitsrisiken - auch in den USA.
Neidisch blickt der Autor im Hinblick auf die absehbaren Entwicklungen nach Europa, dessen Städte erhalten und bewohnbar sind. In den USA hat die Zerstörung der Metropolen und die Förderung der suburbia, die Zersiedelung und Versiegelung riesiger Flächen für Highways sowie Einkaufszentren, Lebensverhältnisse geschaffen, die ohne Kraftfahrzeug nicht zu bewältigen sind. Von effektivem öffentlichen Personenverkehr kann in den USA außerhalb der Metropolen ebenso wenig die Rede sein, wie von einem effektiven Eisenbahnnetz.
Kein Zweifel, die USA stehen vor keinesfalls geringeren Veränderungen als Europa, wobei Hungerkatastrophen ebenso wenig ausgeschlossen werden können, wie großflächige Zusammenbrüche der Stromversorgung, Was die Beheizung von Wohnungen und Produktionsstätten während der Wintermonate betrifft, so erfahren wir bereits durch einen Blick auf die jährlichen Nebenkostenabrechnung, was auf uns zukommen wird.
Kunstlers Sachbuch wurde vor fünf Jahren erstveröffentlicht (und liegt inzwischen in der 2. Auflage vor), also noch vor der Krise der Weltfinanzwirtschaft. Das macht seine Hochrechnung der Folgen der Energiekrise noch überzeugender. Eine überzeugende und stringente Darstellung, wie unsere vertrauten Verhältnisse von der Realität vernichtet werden. Wo das Rettende herkommen könnte, das sich angeblich einfinden soll, wenn die Not am größten ist, steht allerdings in den Sternen – solange sie trotz Treibhauseffekt noch sichtbar sind. Ziehen wir uns warm an, das Petroleum geht zur Neige.
© Wolfgang Körner
© GeoWis (2010-08-21)
James Howard Kunstler: The Long Emergency. Surviving the End of Oil, Climate Change, and Other Converging Catastrophies of the Twenty-first Century. 2. Aufl. mit einem Epilog d. A. Softcover, 328 S., ISBN 978-0-8021-4249-8, Grove Press, New York, 2006.