Desertiert zu den Frauen
Es gibt Romane, die nicht schon nach einem Jahr im Ramsch landen. Einer davon ist Das goldene Zeitalter.
Von Mariam Backes (2010-08-25)
Fünfundzwanzig Jahre hatte es gedauert, bis Ferenc Karinthys 1972 in Ungarn erschienene Novelle Aranyidö erstmals im Westen auf den Markt kam. 1997 erschien sie in Frankreich bei Éditions Mille et Une Nuits unter dem Titel L'Age d'or, übersetzt von seinen Kindern Judith Karinthy und Pierre Karinthy. Weitere neun Jahre vergingen, bis das Buch auf Deutsch verfügbar war.
Es ist, soweit es das Haptische betrifft, ein dünnes, beinahe zartes Büchlein, in Leinen gebunden, Lesebändchen und Schutzumschlag. Der Text ist 106 Seiten lang, das höchst informative Nachwort von Marion van Renterghem und die Zeittafel benötigen weitere zehn. Gerade 200 Gramm bringt es auf die Waage. Man kann es bequem in Händen halten, zwischen Zeige- und Mittelfinger die aufgeschlagenen Seiten fixieren und mit dem Daumen umblättern.
Budapest im Dezember 1944. Die Rote Armee hat die Stadt umzingelt. Die faschistischen Pfeilkreuzler sind an der Macht. In der Stadt befinden sich noch um 200.000 Juden, die wegen der Umzingelung nicht deportiert werden können. Also bringen die Faschisten sie mehr und mehr ans Donau-Ufer und exekutieren sie dort. Immer wieder gibt es Luftangriffe und die Budapester versuchen sie in Luftschutzkellern zu überstehen.
In der Stadt befinden sich unter der Zivilbevölkerung fast nur noch Alte, Kranke, Kinder und die zur Deportation Vorgesehenen. Die Jungen sind an der Front. Außer Józsi Beregi, Ungar, Jude, Fußballfan, Schwerenöter und Deserteur. Er will natürlich nicht den Faschisten in die Hände fallen und versteckt sich oder besser: quartiert sich beim weiblichen Geschlecht ein.
Das goldene Zeitalter ist kein Kriegsroman, wie man bei dieser Rahmenhandlung vermuten könnte. Eher schon eine Burlesque, denn Józsi sorgt sich nicht allzu sehr darum, ob er entdeckt werden könnte. Seine Gedanken kreisen vielmehr ums Fleisch in beiderlei Hinsicht. Er isst gerne welches, doch Fleisch ist in jenen Tagen rar; und er mag das der Frauen, der Lust, was nicht so rar ist.
Zunächst kommt er bei der Prostituierten Nelli in deren Mietwohnung unter, die ihn versorgt, ihn mit Profanem zuplaudert, über ihre Nachbarinnen lästert und sich von ihm nehmen lässt. Die Liebesdienste sind des Schwerenöters Gegenleistung für die Obhut, die Nelli ihm gewährt. Im Luftschutzkeller des Mietshauses nähert er sich dann der Frau eines ungarischen, zum faschistischen Regime gehörenden Frontoffiziers, die ihm von ihren vergangenen Liebesabenteuern und ihrem untreuen Gatten erzählt.
Frau Ferenczy, so heißt die gutbürgerliche Offiziersgattin, ist bemüht, ihrer heranwachsenden Tochter Adrienne eine gute Erziehung angedeihen zu lassen - das Mädchen ist im Lolita-Alter - und angetan von Charmeur Józsi. Sie hat Fleisch für ihn. Józsi, den man zu anderen als den miserablen Kriegszeiten wohl als Gigolo bezeichnet hätte, erfüllt der Dame lange entbehrte Wünsche, hat aber bereits ein Auge auf deren Tochter geworfen.
In sie verliebt er sich leidenschaftlich und stößt auf Gegenliebe. Frau Ferenczy darf das nicht erfahren, und so leben Adrienne und Józsi ihre Leidenschaft rege heimlich aus. Abends muss er dann die Mutter befriedigen, die ihm intellektuell anspruchsvollere Stunden bietet als zuvor Nelli, und die ihn vor den Pfeilkreuzlern zu beschützen versucht.
Das misslingt schließlich. Józsi Beregi wird von der attraktiven Pfeilkreuzlerin Elsa Mikucz festgenommen, die entschlossen ist, ihn an der Donau zu exekutieren. Es gelingt ihm, sie frivol-charmant um den Finger zu wickeln, der Exekution zu entkommen und mit ihr in ihrer Wohnung und im Bett zu landen.
Sie breitet nach und nach ihr desolates Leben vor ihm aus, erzählt von den Exekutionen am Donau-Ufer; er stellt fest, dass sie säuft. Eines Tages kommt sie nicht mehr in ihre Wohnung zurück, in der Józsi geblieben ist.
Der Krieg ist aus. Für Józsi beginnt ein neues Leben. Er nimmt sich zweier Waisenkinder an, deren einzig verbliebener Verwandter er ist, und verabschiedet sich von Nelli, die ihn immer noch liebt, aber nicht mitkommen kann, weil sie an ihrer Wohnung hängt, in der sie erst mal aufräumen will.
Ferenc Karinthy ist mit dieser Novelle ein frivoles, in hohem Maße amüsantes wie fiktives Werk gelungen, das zwischen den Zeilen den Krieg auf die Schippe nimmt, denn der Protagonist Józsi kümmert sich nicht um ihn. Er will auf fleischeslustige Art überleben. Das gelingt ihm nonchalant.
Mariam Backes
GeoWis (2010-08-25)
Ferenc Karinthy: Das goldene Zeitalter. Übersetzt von György Buda. Mit einem Nachwort von Marion van Renterghem. Hardcover/Broschur, 120 S., ISBN 987-3-86555-031-6, SchirmerGraf, München, 2006.