Das Beste ist immer subjektiv
Wer als Drehbuchautor arbeitet, kennt dieses Buch bereits. Wer plant, Drehbücher zu schreiben, muss es unbedingt lesen.
Von Tom Geddis (2010-09-22)
Der Begriff Kultbuch ist lange strapaziert, vor allem, weil Mainstream-Medien ihn allzu gern verwenden, wenn sie AutorInnen hypen. Zuletzt war im deutschen Sprachraum Helene Hegemanns Axolotl Roadkill mit diesem Attribut belegt worden. Es hat sich zwar vieltausendfach verkauft, doch was bleibt in der Erinnerung? Junge, durchgeknallte Autorin hat plagiatiert, wurde durchgereicht und verbrannte. Ende der Geschichte. Axolotl Roadkill hat keinen Nachhaltigkeitswert.
Ganz anders verhält es sich mit William Goldmans Buch, das im Original Which Lie Did I Tell heißt und vor zehn Jahren erschien, in der deutschen Erstausgabe - man staune - bereits kurze Zeit später, im April 2001. Es ist ein Insider-Buch und knüpft an Das Hollywood-Geschäft an, ebenfalls ein Kultbuch, erschienen drei Jahre zuvor vom gleichen Autor.
Goldman ist nicht irgendein Autor. Und erst recht nicht ist er irgendein Drehbuchautor. Der inzwischen 79-Jährige New Yorker, der L. A. nicht mag, hat eine Reihe von Erfolgen vorzuweisen. Zwei Oscars stehen auf seiner Auszeichnungsliste, dazu etliche andere Drehbuch-Preise. Auf sein Schreiben gehen Filme wie Butch Cassidy and the Sundance Kid, A Bridge Too Far, All the President's Men, The General's Daughter und andere zurück.
No man is an Iland, intire of it selfe, heißt es in Ernest Hemingways Roman To Whom The Bell Tolls (dt.: Wem die Stunde schlägt). William Goldman hat dieses Niemand-ist-eine-Insel-Prinzip beherzigt, zitiert gar Hemingway, obwohl er herausstellt, dass das Schreiben, zumal das Drehbuchschreiben eine einsame Angelegenheit sei. Er hat der Film-Welt großartige Drehbücher geschrieben, von denen eine Reihe verfilmt wurden. Er hat aber auch Drehbücher geliefert, die so genanntes Kassengift waren, Flops, und er hat - und das ist der Punkt - darüber geschrieben.
Daher ist dieses Buch keines jener 'How-to-Bücher' zum Drehbuchschreiben, sondern geht weit darüber hinaus und in die Tiefe. Goldman erzählt, wie er arbeitet, wie er an einen Stoff herangeht, wie er sich vorbereitet und wie der anschließende Prozess abläuft, wenn die erste Fassung dem Studio oder Regisseur oder anderen wichtigen Leuten vorgelegt wird. Er erklärt, was ein Green Guy ist, weshalb Studiobosse auf einem Schleudersitz Platz genommen haben und warum ihre Nachfolger bereits angekaufte Drehbücher nicht realisieren.
Dieser Blick hinter die Kulissen macht das Buch spannend; die Anektoten zu jedem der vierzehn Filme bzw. dazugehöriger Drehbücher macht es sympathisch. Goldman nimmt kein Blatt vor den Mund - im Positiven wie im Abschlachten -, ganz gleich, ob es seine eigenen Drehbücher angeht oder die von Kollegen.
So preist er etwa das Drehbuch von Ed Decter, John J. Strauss und den Farrelly-Brüdern zu Verrückt nach Mary (There's Something About Mary) und den Film als den besten des Jahres 1998, ohne zu versäumen, die Reißverschlussszene, in der Ben Stiller sich den Piepmann einklemmt, als eine der gelungensten der Filmgeschichte im Fach Komödie herauszustellen.
Auch die Orgasmusszene in Harry und Sally (When Harry Met Sally) nach dem Drehbuch von Nora Ephron - Meg Ryan simuliert in einem Restaurant beim Essen mit Billy Crystal lautstark einen Orgasmus und nachdem sie damit fertig ist, ordert eine ältere Dame beim Kellner: "Ich will das gleiche, das sie hatte." -, kommt bei ihm gut weg.
Neben Hintergründen zum Filmgeschäft und zu Szenen, die funktionieren oder nicht funktionieren, gewährt der Autor einen fulminanten Blick auf die Leute, mit denen er zusammengearbeitet hat. Er unterscheidet Idioten von Könnern. Zu Letzteren zählt er Regisseure wie Clint Eastwood, Michael Douglas, Frank Darabont, die Farrellys, Hitchkock, Ingmar Bergman, die Cohn-Brüder und einige andere, etwa SchauspielerInnen wie Frances McDermond (Fargo), Gene Hackman (Absolute Power) oder Jack Nicholson (Chinatown). Zu allen hat er in Bezug auf deren Arbeit und Arbeitsweise Hintergrundinformationen.
Beinahe beiläufig erfährt der Leser das Einmaleins des Drehbuchschreibens, auch, weil Goldman beispielhaft gelungene und misslunge Szenen liefert und sie analysiert. Und nicht nur das. Am Beispiel von Absolute Power (nach einem Roman von David Baldacci) wird deutlich, was es braucht, bis ein Drehbuch so gut ist, dass der Film auch funktioniert. Er hat sich gequält, drei Fassungen abgeliefert und sich erst wieder wohlgefühlt, nachdem Clint Eastwood (Regie; Hauptrolle) zwei kurze Bemerkungen gemacht hatte. "Das Beste ist immer subjektiv", sagt Goldman.
© Tom Geddis
© GeoWis (2010-09-22)
William Goldman: Wer hat hier gelogen? Oder: Neues aus dem Hollywood-Geschäft. Softcover, 528 S.; ISBN 978-3-404-94010-5, Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach, April 2001.