Die Angeschmachteten
Hinter einem berühmten Song steht meistens eine Frau. Aber von wem handeln eigentlich Angie, Lola oder Something? Wer waren die Frauen, was ist ihre Geschichte und ihre Verbindung zur Band bzw. dem Songwriter? Und: Was machen sie heute? Ein neues Buch gibt mit einer Auswahl von 50 Liedern darauf Antwort.
Von Ralf Mai (2010-09-24)
Was täten Songschreiber nur ohne Frauen? Ohne Herzschmerz, Liebeskummer und Gefühlswirrungen wären wohl die meisten Songs nie geschrieben worden. Aber für wen wurden sie geschrieben? Und wie sah die Frau aus den Träumen jeweils aus? Woher kannte der Songwriter die Angebetete überhaupt? Und was machen die Damen heute? Michael Heatley, seit vielen Jahren für verschiedene Blätter als Musikjournalist tätig und Autor recht heterogener Biographien (Neil Young, John Peel, Michael Jackson, Backstreet Boys …) präsentiert in diesem Buch die weibliche Seite der Songs.
Die Auswahl der Lieder muss natürlich subjektiv bleiben. Es sind sowohl alte Gassenhauer dabei, zum Beispiel Suzanne (Leonard Cohen), Angie (Rolling Stones), Maggie Mae (Bob Dylan), Lola (The Kinks), als auch ein paar weniger populäre, etwa Jennifer Juniper (Donovan), Hearts and Bones (Paul Simon), Femme Fatale (The Velvet Underground). Über die Wahl der Songs könnte man trefflich streiten, und warum gerade dieses Lied ausgewählt wurde und kein anderes, beispielsweise Brilliant Disguise (Bruce Springsteen). Aber es dürfte trotzdem für jeden etwas dabei sein.
Nicht gleich verständlich ist, weshalb der Schwerpunkt so sehr auf die 1960er und 70er Jahre gelegt wurde. Lieder aus späteren Jahren oder gar aktuelle sind selten, wie z.B. Wonderwall (Oasis), Moses (Coldplay), Sweetest Thing (U2). Ein Grund könnte sein, dass bei neueren Liedern nicht so ausführlich über die Frauen erzählt werden kann. Sei es aus juristischen Gründen oder aus Rücksichtnahme.
Sprachlich ist das Buch in der deutschen Übersetzung nicht durchgehend überzeugend. Das mag letztlich auch am Original liegen. Die Ausführungen sind manchmal eher banal, wie auch die Infoboxen zu jedem Song. Bands wie die Beatles oder Pink Floyd in wenigen Zeilen darzustellen, bietet den Musikfreunden wenig Neues. Es wirkt, als habe der Autor hier eine Minimalpflicht erfüllt.
Alles in allem findet man aber viele interessante, witzige und rührige Geschichten, die das Buch mit gut ausgewählten Fotos dokumentiert. Man stöbert darin, bleibt immer wieder an einer der kurzen Geschichten hängen und erfährt Randnotizen und Anekdoten der Musikgeschichte.
Etwa, dass Something (Beatles), Layla und You’re Wonderful Tonight (beide: Eric Clapton) alle dieselbe Frau anschmachten; dass Lola ein Transvestit war; dass Diana (Paul Anka) heute ein beschauliches Leben als Rentnerin im kanadischen Ottawa führt; dass Peggy Sue (Buddy Holly) 2008 eine Biographie veröffentlichte, die Hollys Witwe gar nicht lustig fand; dass Sweet Caroline (Neil Diamond) Jackie Kennedy besang; dass die Frau aus Sweet Child O‘ Mine (Guns 'n‘ Roses) nach viel Streit und Aggressionen eine Fehlgeburt hatte und sich danach von Axl Rose trennte; oder wie In The Air Tonight (Phil Collins) entstand.
Aber auch mit unklaren Entstehungsgeschichten, für die es mehrere Versionen gibt, wartet Heatley auf. Und und und… Unwillkürlich summt man beim einen oder anderen Lied mit und wünscht sich insgeheim die CD zum Buch. Das wär noch was! Oder Das Mädchen aus dem Song als Hörbuch. Bis dahin kramen wir einfach die alten Scheiben wieder raus und entstauben den Plattenspieler aus dem Keller.
© Ralf Mai (Unser Autor und Freund verstarb am 16. März 2012 im Alter von 41 Jahren. Er hinterlässt Frau und Kind.)
© GeoWis (2010-09-24)
Michael Heatley: Das Mädchen aus dem Song. Hardcover, 248 S.; ISBN 978-38960-2579-1. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, September 2010.