Big Bubbles - Das Verdrängen von Wirklichkeit durch virtuelle Realitäten
Die hier besprochene Sammlung von Essays wurde erstmals vor 49 Jahren veröffentlicht. In unserem Zeitalter der Reizüberflutung durch Konsumwerbung, politischer Gehirnwäsche sowie von Massenmedien zu Giganten aufgebauschten „Stars und Superstars“ erscheint sie aktueller denn je.
Von Wolfgang Körner (2010-10-18)
Nein, begeistert waren amerikanische Medien keinesfalls, als 1962 Daniel Boorstins Essays im Buch The Image veröffentlicht wurden, das zunächst den Untertitel What Happened To The American Dream? trug. So schrieb das Time Magazin in seiner Besprechung zu The Image, dass der Autor vor Veröffentlichung dieser "Verleumdung", wie es hieß, Amerikas das Land verlassen hat.
Dass Boorstin lediglich, keinesfalls zum ersten Mal, einen Lehrauftrag im Ausland wahrzunehmen hatte, blieb - journalistisch handwerklich verwerflich - unerwähnt. Dabei war der 1994 verstorbene Jurist und Historiker längst nicht mehr dem politischen linken Spektrum zuzuordnen. Ganz im Gegenteil.
Zwar war er in den 1930er Jahren kurze Zeit Mitglied der Kommunistischen Partei der USA, aber spätestens seit seinem Auftritt vor dem McCarthy-Ausschuss für unamerikanische Umtriebe (1953), mit dem er kooperierte, gehörte er zweifellos zu den Konservativen. Allerdings zu jenen Wertkonservativen, die den Werten der amerikanischen Verfassung verpflichtet sind und sich laut melden, wenn ihnen diese Werte gefährdet erscheinen. Aus dieser Richtung hatte dem Establishment Boorstins fundierte Analyse und Kritik besonders missfallen, denn sie ließ sich kaum als unamerikanisch diffamieren.
Kern seiner Kritik und Beobachtung ist, dass Massenmedien nicht nur über tatsächliche Vorkommnisse berichten -was ihre Aufgabe wäre - , sondern mehr und mehr über Pseudo-Ereignisse, die vorwiegend planmäßig veranstaltet werden, damit die Medien darüber berichten.
Zu solchen Pseudo-Ereignissen gehören zum Beispiel Presse-Informationen, in denen oft unerhebliche Events, Behauptungen und Ansichten zu wichtigen Ereignissen aufgeblasen werden, wie auch gesellschaftliche Ereignisse, etwa Pressebälle oder obskure Auszeichnungen, die vorwiegend der Berichterstattung und Selbstbeweihräucherung dienen. Jüngst bestens auf Kosten von Gebührenzahlern des öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehens mit der Veranstaltung zum Deutschen Fernsehpreis und dazugehöriger Sendung dargestellt. Dasselbe Prinzip gilt für zahlreiche Interviews von Politikern wie für so genannte prominente Film-, Pop- und Literaturstars bis hin zu so genannten Wirtschaftsgrößen. Hier knüpft der zweite Essay dieses Bandes, From Hero to Celebrity. The Human-Pseudo-Event, an.
Vor der Erfindung des schnellen Rotationsdrucks war der Ruhm eines Menschen meist das Ergebnis seiner Leistung oder erheblich herausgehobenen sozialen Stellung. Was immer man von Militärs wie Napoleon Bonaparte, Pionieren wie dem Atlantik-Überflieger Charles Lindbergh, Wissenschaftlern wie Albert Einstein oder Malern wie Pablo Picasso halten mag: ihr Ruhm ist das Ergebnis eigener herausragender Leistung. Er wuchs allmählich, überdauert dann aber Jahrzehnte und Jahrhunderte.
Gänzlich anders verhält es sich mit dem angeblichen Ruhm von Pseudo-Persönlichkeiten, die von Massenmedien ge- und erschaffen werden und von ihnen, oft nach einer Saison, wieder in jener Obskurität und Versenkung verschwinden, in der sie ihr Leben lang verblieben wären. Wenn William Shakespeare heute lebte, meint Boorstin sinngemäß, würden sich viele nach seinem Presseagenten erkundigen.
Mit dem Medium Zeitung entstanden die „Celebrities“, Personen, "die für ihren Bekanntheitsgrad bekannt sind". Nach der Einführung des Fernsehens ist ihr Bekanntsheitsgrad sogar unter den Analphabeten gewährleistet. Andy Warhol untertrieb gewiss, als er äußerte, jeder könne heutzutage für 15 Minuten berühmt sein. Manchmal reichen schon zwei Minuten. Doch wer einen fähigen Medienagenten zu bezahlen vermag, bleibt durchaus länger in der Öffentlichkeit präsent, denn der Agent wird für regelmäßige Pseudo-Ereignisse sorgen, die Massenmedien der Berichterstattung wert sind.
Unproblematisch ist ein solcher Celebrity-Status allerdings durchaus nicht. Gewiss kann sich eine durch Massenmedien bekannt gemachte männliche Person durchaus des gesteigerten weiblichen Interesses erfreuen - oder umgekehrt. Das kann zu durchaus unerfreulicher Berichterstattung führen, sobald Massenmedien einen Anlass dafür finden.
Wenn etwa lustige Fotos eines Ministers erscheinen - wie bei Ex-Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, der sich mit seiner Gräfin im Planschbecken vergnügt, ist das nur schlechte Öffentlichkeitsarbeit. Wenn ein der Vergewaltigung angeschuldigter Meteorologe – wie im Falle des Jörg Kachelmann - vor Gericht landet, ist seine Existenz zerstört. So bereitwillig Massenmedien jede Imagekampagne unterstützen - eine die Auflage oder Einschaltquote fördernde Berichterstattung zu unterdrücken, vermag gewöhnlich der fähigste Medienagent nicht.
Was Boorstin zu den Methoden der Werbeagenturen ausführt, ist spätestens nach Vance Packards The Hidden Persuaders (1957; dt. Die geheimen Verführer, 1958) weithin bekannt. Sicher, noch immer kaufen einfältige Verbraucher Produkte, die eine Celebrity empfiehlt, doch da sind inzwischen die Methoden der Verführer raffinierter geworden.
Ähnliches gilt für Boorstins Untersuchung des Massentourismus', der es - zumindest bei der Gruppenreise mit Reiseführer - nahezu unmöglich macht, dass ein Tourist ein fremdes Land wirklich kennen lernt. Nach wie vor überzeugend erscheint mir Boorstins Analyse des Starsystems, in der er sich auch ausführlich zu Bestsellerlisten äußert, die es (in den USA) seit 1897 gibt. Er hält auch sie für Pseudo-Ereignisse und definiert Bestseller als "a book which somehow sold well because it was selling well".
The Image ist ein noch immer höchst lesenswertes und lehrreiches Buch, nach dessen Lektüre der Leser die von Massenmedien ge-hypte Pseudo-Ereignisse ebenso durchschaut wie von zu Ikonen aufgeblasene Personen, die dafür bekannt sind, bekannt zu sein. Dass sich virtuelle, künstlich geschaffene Welten immer mehr mit natürlich entstandener Wirklichkeit vermengen, ist postmoderne Einsicht. Das bereits vor 50 Jahren erkannt und dargestellt zu haben, ist und bleibt das Verdienst Boorstins.
© Wolfgang Körner
© GeoWis (2010-10-18)
Daniel J. Boorstin, The Image. A Guide to Pseudo-Events in America. Tradecover, ISBN der hier besprochenen Ausgabe: 0-679-74180-1, Vintage, Randomhouse, New York, September 1992. Die 1987 veröffentlichte 25. Jubiäumsausgabe des Titels ist als Vintage Paperback noch immer im Handel. Die deutschen Lizenzausgaben von 1964,1984,1991, erschienen bei Rowohlt, sind nur noch antiquarisch erhältlich.
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