Probleme im Paradies
Die Provinz Hainan, Chinas zweitgrößte Insel, soll zu einem Tourismusziel oberster Güte aufsteigen. Unklar sind die Motive der Planer. Klar dürfte sein, dass die Bevölkerung der Insel-Provinz weitgehend leer ausgeht.
Von Hao Feng und Uwe Goerlitz (2010-12-30)
Noch 1988, als die Insel Hainan (Hainan Dao) den Status einer Provinz - vergleichbar einem Bundesstaat - erhielt, zur ökonomischen Sonderzone (Special Economic Zone/SEZ) erklärt und in den laufenden 7. Fünfjahresplan Chinas (1986-90) eingebunden wurde, lag das Eiland touristisch betrachtet nahezu brach. Hotels, die internationalem Sternestandard entsprechen, gab es lediglich in der im Norden der Insel liegenden Hauptstadt Haikou und marginal in der zweitgrößten, im Süden liegenden Stadt Sanya.
Pläne sind dazu da, eingehalten und umgesetzt zu werden. Kaum ein Land hat das bisher so konsequent realisiert wie China.
Galt die früher zur Provinz Guangdong gehörende Insel außerhalb Haikous als vornehmlich agrarisch geprägt und waren die entlang der Küste liegenden, inzwischen zu mittleren Großstädten gewachsenen Orte von Fischerei dominierte Dörfer und Kleinstädte, so gehören heute neben dem Agrarsektor die verarbeitende Industrie, Energieunternehmen und Tourismus zu den ökonomischen Säulen.
Zu verdanken ist dies vor allem dem 8. Fünfjahresplan (1991-95), der für die wesentlichen Ziele - Ausbau der verkehrlichen, energetischen und touristischen Infrastruktur - den Grundstein legte. An diese Ziele knüpfte der 9. Fünfjahresplan (1996-2000) nahtlos an. Leistungsfähige Elektrizitäts- und Umspannwerke wurden errichtet; im Segment der chemischen Industrie liefern rund 30 Zuckerfabriken den Grundstoff zur Alkoholgewinnung; Kläranlagen, insbesondere in den Küstenorten, wurden gebaut, Straßen asphaltiert; erste Vier- und Fünfsternehotels und -resorts eröffneten.
Gemäß Plan und im Rahmen der gesetzlichen Richtlinien kam ausländisches (Beteiligungs-)Kapital auf die Insel-Provinz, das zwar wesentlich in industrielle Projekte floss, zum Teil aber auch in den Agrarsektor, der im Hinblick auf die Selbstversorgung der ländlichen Bevölkerung noch immer zur tragenden ökonomischen Säule gehört, indes auch im Bereich der Cash Crops - Obst, Tee, Kaffee, Kräuter, Tabak - für den Export zum kontinentalen Mutterland.
Die Absicherung und der Ausbau dieser Bereiche sind für die Provinz-Regierung von essentiellem Charakter, doch der Ausbau des Touristiksegments wurde und wird genauso ernstgenommen. Mit der Eröffnung des Sanya Phoenix International Airport (1994), der über eine 3.400 Meter lange Start-/Landebahn und eine Fläche von rund 460 Hektar verfügt, wurde hierfür ein weiteres wichtiges infrastrukturelles Projekt realisiert. 2009 verzeichnete der Airport laut Unternehmensangaben knapp 60.000 Starts und Landungen.
Von Jahr zu Jahr nehmen seit der Betriebsaufnahme des Airports die Touristenzahlen zu, wobei auch heute noch der maßgebliche Anteil (ca. 98%) aus China stammt. Touristische Hot Spots, wie die strandnahe Tempel- und Parkanlage Nanshan wurden errichtet, die Monolithen-Formationen an Tianyahaijiao (Ende der Welt/Ende des Ozeans) als touristische Attraktion entdeckt (!), die beinahe schneeweißen Strände östlich von Sanya (Yalong Bay) erfolgreich propagiert und exklusive Golfareale in die subtropisch geprägte Landschaft gewalzt, etwa bei Dongshan, Wanning und Qionghai.
Es wurden Stiegen und Wege durch Bambuswäldchen, weitläufige Parcours zum Flanieren und mit exotischen Gewächsen versehene Grünanlagen angelegt, die geeignet sind, das Auge des Betrachters zu entzücken. Auch die Strände sind sauber. Müll zu hinterlassen, ist verpönt.
Vor allem unter den seit etwa zehn Jahren vermehrt anreisenden Surfen aus aller Herren Länder, die im Süden und Südosten der Insel die zu entsprechender Jahreszeit sich auftürmenden Wellen schätzen. Diese Spezies mag zwar Luxus, begnügt sich aber auch mit darunter liegendem Komfort. Sie intereesiert sich für die Wellen.
Damit das Eiland international noch intensiver wahrgenommen wird, hat sich Hainan inzwischen sechsmal erfolgreich um die Endausscheidung der Miss-World-Wahl bemüht (2002, 2003, 2004, 2005, 2007, 2010), die stets in einem der Vier- oder Fünfsterne-Resorts an der Yalong Bay stattfanden. Ebenso gerne werden in den an weißen Stränden liegenden Resorts Kongresse nationaler und internationaler Unternehmen abgehalten.
Das alles reicht der nationalen Tourismusbehörde Chinas und Hainans Provinz-Regierung noch nicht, zumal die Masse der gut 20 Millionen Touristen, die 2009 nach Hainan kamen (Geschäftsreisende inbegriffen), schlicht nicht genug Geld ausgibt. Chinesen haben ein rationales Verständnis zum Geldausgeben. Zwar bringen sie aus Vorzeigebeweggründen ihrer Verwandschaft stets Souvenirs und urlaubsortstypische Geschenke mit. Indes, sie verzichten im Allgemeinen auf Luxus.
So übernachtet die Masse nicht zwangsläufig in Herbergen mit vier oder fünf Sternen, es sei denn, es gibt eine Special Offer, also ein Sonderangebot. Auch speist sie nicht allabendlich in teuren Restaurants, und wenn doch, dann gibt es meist einen Sonderpreis, denn die preisbewussten Festländer stellen Vergleiche zu ihrem Heimatort an und fragen unverblümt und unvermittelt danach, weshalb es "hier" so teuer sei. Trinkgeld fließt zudem nur in seltenen Fällen.
Zwar machen es die chinesischen Hainan-Touristen vorbildlich, allerdings nicht im Sinne der Hoteliers, Gaststättenbetreiber und Tour-Anbieter. Und erst recht nicht im Sinne der volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz. Ausländische Touristen sind da weniger rational und es gewohnt, mal auf den Putz zu hauen und üppige Trinkgelder zu geben, besonders die aus östlich des Urals Anreisenden.
So stellen die Russen und die aus den GUS-Staaten auf Hainan Urlaubenden auch das größte Kontingent aller ausländischen Touristen. Sie haben den Rubel locker sitzen, der meist nicht analog zum steigenden Alkoholkonsum und daraus resultierenden Fröhlichkeitsfaktor ausgegeben wird, sondern exponentiell. Häufig sehr zum Missfallen des auf Normalität und Freundlichkeit geeichten Service-Personals. Doch chinesische Großkotze und Neureiche stehen den Russen in nichts nach.
Die Brisanz, ein südchinesisches Mallorca-Ballermann auf höherem Niveau zu bekommen, haben die Provinz-Regierung und die Chefs der Landkreise längst erkannt und frühzeitig in Beijing vorgetragen. Während des 11. Fünfjahresplans (2006-10) wurden viele der zuvor bereits erklärten und begonnenen Ziele realisiert. Weitere werden folgen, so dass in der Folge eher ein gigantisches südchinesisches Marbella als ein verruchtes Mallorca zu erwarten ist.
So ist eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Haikou und Sanya gebaut worden, auf der das sichtbarste Symbol chinesischer Moderne, die High-Speed-Züge, mit bis zu 250 km/h verkehren. Rund 200 Milliarden Yuan (ca. 23 Mrd. €)¹ - mehr als das Bruttoinlandsprodukt der Insel - wurden in das Projekt investiert. Für die 308 Kilometer von einander entfernt liegenden beiden größten Städte benötigt der Zug, der am 26.12.2010 seine Jungfernfahrt hatte und in Wenchang, Qionghai und Wanning Halt macht, nur anderthalb Stunden.
Für die von Mindesteinkommen und Durchschnittslöhnen lebende Bevölkerung bedeutet dieser katapultartige Schritt in die Moderne bestenfalls auf lange Sicht auch persönlich steigenden Wohlstand. Zurzeit kann sie sich eine Fahrt mit dem teuren Zug nicht leisten. Und auch die hohen Grundstücks- und Wohneigentumspreise nicht, die in manchen Orten mittlerweile bei 10.000 Yuan (1150 €) liegen, etwa in Dadonghai unweit von Sanya. Für Luxuseigentumswohnungen müssen bis zu 90.000 Yuan (ca. 10.345 €) für den Quadratmeter ausgegeben werden.
Die steigenden Grundstückspreise bereiten der Regierung zurzeit die größten Sorgen, platze doch schon einmal eine Immobilienblase. Anfang der 1990er Jahre, als die Aufbruchstimmung groß, die vorhandene Infrastruktur rückständig und ausländische Touristen noch nicht in Sicht waren, mussten viele Bauprojekte, darunter auch halbfertige Luxushotels, eingemottet werden.
Nicht ausgeschlossen, dass sich Derartiges wiederholt, wenn es nicht gelingt, die im nun aufgelegten 12. Fünfjahresplan (2011-15) vorgegebenen Ziele erfolgreich umzusetzen, zu denen die Transformation des großenteils noch rückständigen Agrarsektors hin zu einer modernen Landwirtschaft ebenso gehört wie der Ausbau des marinen Sektors, die Ansiedlung neuer Industrien und die touristische Nutzung der Insel, wie He Guoqiang, Mitglied des Politibüros der KP Chinas, während einer vom 4.-8.12.2010 durchgeführten Inspektionsreise auf Hainan sagte.
He erklärte an, dass die Entwicklung wirtschafts- und sozialwissenschaftlich begleitet werden müsse und ökologische wie konservatorische Präferenzen zu beachten seien. Ende 2008 gabe es auf Hainan 179 naturgeschützte Reservate. Den Landkreisregenten schrieb er ins Handbuch, vor dem Hintergrund des alljährlich wiederkehrenden Monsuns für entsprechende Infrastruktur zu sorgen, die die Landwirtschaft und Bevölkerung besser als bisher schütze. Und die Touristen.
Um die Vorgabe zu erfüllen, Hainan bis zum Jahr 2020 - und damit bis zum Ende des erst noch kommenden 13. Fünfjahresplans - in die internationale Oberliga touristischer Zielgebiete zu befördern, sei auf die internationalen Ansprüche einzugehen. Ökologische und infrastrukturelle Nachhaltigkeit gehörten dazu. Weltweit sind daher chinesische Delegationen unterwegs, um sich schauen Tourismusprojekte anzusehen, Konzepte erarbeiten zu lassen - sogar im touristisch eher unterbelichteten Dortmund - und Anregungen zu holen.
Dass man es ernst meint, lässt sich auch daran ablesen, dass der Hainan-Ableger der Bank of China (BOC) dem Projektentwickler Agile Properties eine Kreditlinie von knapp 3,1 Milliarden Yuan (ca. 356 Mio. €) eingerichtet hat, um an der Clearwater Bay dessen Raffles Qingshui Bay Resort im Lingshui Bezirk unweit von Sanya mitzufinanzieren. Mit im Boot von Agile sitzt die 1997 gegründete Jumeirah-Gruppe, die zur Dubai-Holding gehört. Die Scheichs sind für finanzielle Superlative bekannt.
Chen Zhuo Liu, Vorstandschef von Agile Properties, schätzt sich glücklich über die Zusammenarbeit mit den Scheichs, die ihr Geld lieber verbauen als es im heimischen Wüstensand zu verbuddeln. Man habe mit Jumeirah einen Partner gefunden, mit dem man in die Weltklasse (...) aufsteige.
Für architektonisch Herausragendes und Auffallendes insbesondere im Hotel- und Resortdesign sind es die WTAG Architects mit Sitz in Honolulu. Die Architekten, die in 160 Ländern unterwegs sind, gelten in Asien und dem pazifischen Raum als große Nummer. Allein auf Hainan stehen sie für das Hilton Sanya Resort & Spa, das Kempinski Sanya, das Ritz-Carlton Sanya, das Sheraton Qingyuan Lion Lake in Qingyuan und das Baolian Resort in Qionghai. Für das Clearwater-Bay-Projekt wurden sie mit Entwurf und Desgign des Raffles Qinshui Bay Resort beauftragt, das neben dem Flaggschiff - dem Beach Resort - auch luxuriöse Wohneinheiten beinhaltet.
Ob die Zielsetzung, Hainan in die Chensche Weltklasse der touristischen Zielgebiete unter Berücksichtigung der Heschen Vorgaben zu führen, verwirklicht werden kann, hängt nicht nur vom Investitionsvolumen und -verhalten von In- und Ausländern ab. Maßgeblich ist die weitere weltwirtschaftliche Entwicklung und das Verhalten der Finanzmärkte. Sollte erneut eine globale Papiergeld- und Festwertevernichtung stattfinden wie in den Jahren 2007-2009, könnte so manches teure Projekt platzen.
Als problematisch könnte sich auf Sicht auch die gigantische Geldwäsche erweisen, die Hainan längst erreicht hat. So glaubt der mit Mandarin Capital Partners kooperierende Finanzmanager Alberto Forchielli, dass "Schatteneinkommen" bereits fünfzehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Hainan ausmachen. Zwar lässt sich hierunter der im deutschen Sprachraum gebräuliche Begriff 'Schwarzarbeit' verstehen, doch bietet er Interpretationsspielraum.
Wie beispielsweise in Mexiko, der Karibik und Spanien sind touristische Projekte, vor allem wenn es um Luxusprojekte geht, ein beliebtes Investitionsziel für die Abermillionen an ungewaschenen Dollars, Euros, Yens oder Yuans des Organisierten oder individuellen Verbrechens. Richtig gehandhabt, kommen am Ende saubere Scheinchen aus den Waschmaschinen, mit denen es sich dann offiziell groß auftreten lässt.
Bevor die Wäsche gewaschen werden kann, muss man sie in die Maschine stecken. Da werden Yachten schon mal bar bezahlt. In Koffern und großen Taschen hätten etwa chinesische Kohlenminenbesitzer auf der jüngst abgehaltenen ersten Hainan International Boat Show ihr Geld mitgebracht, wie Matt Hodges in China Daily European Weekly schreibt. Wenn Minenbesitzer (!) mit Geld anreisen, kann es nur schwarz sein.
Es gebe eine Menge reiche Leute in China, die "nach Wegen suchen, ihr Geld auszugeben, um ihren Status zeigen zu können", sagt Shen Yan, Managerin bei der für die Yacht-Schau zuständigen Hainan Wanbo Exhibition Company. Ihre Kollegin, Yang Yen, die VIPs bei der China Auto Show betreut hat und nun auf der Bootmesse Ähnliches tut, ergänzt laut Matt Hodges: "Es gibt kein Problem bei der Nachfrage, sondern eins der Verfügbarkeit."
Mancher mit Geldkoffern zur Bootmesse Angereisten scheint dabei völlig abgehoben zu sein, wie Yang vermittelt. So sei ein aus der armen Bergbauprovinz Shanxi eingeflogener mittelalter Mann an einen europäischen Bootsbauer mit den Worten herangetreten: "Ihr habt meine Lieblingsyacht nicht hier, obwohl ich diese Tasche mit Geld dabeihabe."
Bei dieser Haltung, die angesichts der Bevölkerungsanzahl Chinas und sich daraus ergebender Multimillionäre und Milliardäre Ausmaße annimmt, die mit nichts auf dem Globus vergleichbar sind, muss sich niemand wundern, wenn harsche Urteile gegen Erwischte gefällt werden. Wundern muss man sich darüber, weshalb Hainan bis 2020 zu einer Luxusinsel ausgebaut werden soll.
Zwar entstünden vielfach Arbeitsplätze für die Bevölkerung, doch die im Zuge der wirtschaftlichen Prosperierung bereits seit fünfzehn Jahren eingesetzte Zuwanderung von Festlandschinesen verstärkte sich. Womit der ökonomische Kuchen kleiner würde. So propagiert Wei Liucheng, Vorsitzender des Volkskongresses, unermüdlich, dass die ländliche Entwicklung weiter vorangetrieben werden müsse. 700 Milliarden Yuan (ca. 80,5 Mrd. €) wurden hierzu schon bereit gestellt.
Es hört sich gut an, dass die chinesische Zentralregierung und ihr Hainan-Ableger der Insel-Provinz ein modernes Kleid schneidern wollen. 1998 hatte man dazu eine Reihe von Regeln aufgestellt, die in dem Büchlein Hainan Basic Facts - herausgegeben vom Informationsbüro der Inselregierung - festgehalten sind. Darunter acht Regeln für die Ansiedlung fortgeschrittener und zukunftsträchtiger Industrien. Von Luxustourismus ist darin keine Rede.
Wenn nun auf dem Rücken der ländlichen und marginalisierten städtischen Bevölkerungsschichten bis 2020 eine touristische Exklave aufgebaut werden soll, die sich an den Bedürfnissen extrem wohlhabender In- und Ausländer orientiert, ohne die damit einhergehenden klassischen Probleme - Zuwanderung, Arbeitsmigranten, mangelder Wohnraum zu erschwinglichen Preisen - zu lösen, dann darf getrost davon ausgegangen werden, dass Hainan zu einer wunderschönen Waschmaschine verkommen wird, deren Luke dem Kapital von Spekulanten und Geldkofferträgern offensteht, während die Hainaner ihre Wäsche zum Waschen an die Flüsse tragen müssen.
¹ Umrechnungskurs als Mittelwert vom 30.12.2010: Ein Euro gleich 8,7 Yuan.
© Hao Feng; Uwe Goerlitz
© GeoWis (2010-12-30)
Links zu Hainan
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