Hochmut kommt vor dem Fall
Offensichtlich hat Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beim Verfassen seiner Doktorarbeit reichlich gemogelt, wie ein Bremer Professor herausfand.
Von Hubertus Molln (2011-02-16)
An mindestens neun prominenten Stellen soll zu Guttenberg von anderen Autoren abgeschrieben haben. Acht davon hat der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano ermittelt. Fischer-Lescano habe sich für das Verfassen einer Rezension, die in der von ihm mitherausgegebenen Fachzeitschrift Kritische Justiz Ende Februar erscheint, mit zu Guttenbergs Dissertation - Verfassung und Verfassungsvertrag - beschäftigt und routinemäßig geprüft, ob sich "der Autor bei anderen bedient" habe, wie es in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung (SZ) heißt, die die Passagen zum Vergleich auf ihre Website gestellt hat.
Danach bzw. nach Fischer-Lescanos Recherchen hat sich zu Guttenberg beispielsweise bei dem Politologen Hartmut Wasser, der Autorin Klara Obermüller (Neue Züricher Zeitung/NZZ), dem Autor Wilfried Marxer, der Autorin Gret Haller und dem Tübinger Juristen Martin Nettesheim unlauter bedient. Wie jüngst auch bekannt wurde, soll er bei der Autorin Barbara Zehnpfennig (Frankfurter Allgemeine Zeitung/FAZ) für die Einleitung seiner Dissertation abgeschrieben haben.
"Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus", zitiert die Online-Ausgabe der SZ Karl-Theodor zu Guttenberg. Er sei aber bereit zu prüfen, ob "bei über 1200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten." Bei dieser Aussage ist Obacht geboten. Bislang behauptet nämlich niemand, die Dokterarbeit sei in Plagiat. Vielmehr seien Plagiate in der Arbeit zu finden.
Dabei handelt es sich nicht lediglich um "nicht oder nicht korrekt gesetzte" Fußnoten, wie der um klare Worte selten verlegene Verteidungsminister die Sache zu relativieren versucht, sondern um teils vollständig übernommene und teils allenfalls geringfügig veränderte Passagen mit Aussagekraft. Deutschlands renommierteste Plagiatsjägerin, die Berliner Professorin für Medieninformatik, Deborah Wulff-Weber, hält dies für "quellenlose Eins-zu-Eins-Kopien".
Natürlich kann es vorkommen, dass bei einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit oder einer Dissertation Fehler bei der Zuordnung von Fußnoten auftauchen, zumal bei einer Schwarte von 475 Seiten, die laut Fischer-Lescano "viel Politsprech" beinhalte. Allerdings hat es eine andere Qualität, wenn ganze Passagen übernommen werden, ohne sie als Zitat oder Langzitat kenntlich zu machen. Dem Leser wird auf diese Weise vorgegaukelt, dass es sich um eigene Erkenntnisse und den eigenen Wortlaut des Promovenden handele.
Dass Ex-Promovend zu Guttenberg die eine oder andere Fußnote zu den Plagiaten mit dem Hinweis "Vgl." versehen hat und im Literaturverzeichnis der Arbeit ohne näheren Bezug zum Text Autoren aufführt, reicht zur Abgrenzung der eigenen Leistung nicht aus. Eher ist es ein Indiz dafür, dass zu Guttenberg sich diese Angaben wohlüberlegt hatte, um nicht in den Ruch des Plagiators zu geraten, andererseits aber die aussagekräftigen Passagen als die seinen darzustellen.
Für die Referenten und Professoren der juristischen Fakultät der Uni Bayreuth, die des Verteidigungsministers Dissertation betreut und ihn promoviert haben, dürfte die Angelegenheit besonders peinlich sein, wirft sie doch ein denkbar schlechtes Licht auf deren Arbeitsauffassung. Sie haben die Doktorarbeit mit der höchsten Auszeichnung - summa cum laude - bedacht und müssen sich nun fragen, inwieweit sie dem adligen zu Guttenberg möglicherweise aus Standesdünkel und Verblendung das Konvolut derart herausragend benotet haben.
Für den schneidigen KT, wie zu Guttenberg auch genannt wird, dürfte es der persönliche Supergau sein, der ihn angesichts seiner öffentlichen Stellung nach den noch nicht endgültig geklärten Vorkommnissen zum Tod eines deutschen Soldaten in Afghanistan und zu den Todesfällen auf der Gorch Fock auch politisch weiter ramponiert und den angeblichen Star innerhalb der Bundesregierung wie eine Sternschnuppe wirken lässt.
Was zu Guttenberg im Hinblick auf seine Doktorarbeit fabriziert hat, ist keine Kleinigkeit. Ausgelassene oder inkorrekt bezeichnete Fußnoten, fehlende Kenntlichmachung von Zitaten und Langzitaten, nicht zuzuordnende Literaturangaben und die daraus abzuleitende Vereinnahmung fremder Erkenntnisse, für die die plagiierten Autoren ihrerseits recherchiert haben dürften, sind schon starker Tobak, der die Säulen der Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse stärker angreift als jede Art von Witterungseinflüssen.
Neben diesen bereits für einen Rücktritt von allen Ämtern ausreichenden Plagiatsvorwürfen kommt hinzu, dass sich zu Guttenberg auch mit urheberrechtlichen Ansprüchen der Plagiierten auseinanderzusetzen hätte. Da es sich hierbei um ein Antragsdelikt handelt, müssten die in ihrem Urheberrecht Verletzten allerdings Klage einreichen und - für die gemäß § 106 UrhR mit bis zu drei Jahren Haft strafbewehrte Handlung - Anzeige erstatten.
Gemäß § 97 UrhR könnten auf den Minister auch Unterlassungs- und Schadensersatzforderungen zukommen. Auf den Verlag - Duncker & Humblot, Berlin - könnten gemäß § 98 UrhR Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf der für 88 Euro feilgebotenen Dissertation zukommen. Der Verlag könnte seinerseits Schadensersatzansprüche an zu Guttenberg geltend machen, denn die Doktorarbeit dürfte keine Relevanz mehr unter mit Staats-, Europa- oder Verfassungsrecht befassten Juristen haben. Fischer-Lescano attestiert ihr im Tenor "kaum neue Erkenntnisse."
Viel Stress für einen, den die deutschen Konzernmedien in den vergangenen zwei Jahren - seit dessen Ernennung zum Bundeswirtschaftsminister am 9. Februar 2009, und noch mehr, seit er am 28. Oktober 2009 als Verteidigungsminister vereidigt wurde - als politischen Überflieger feierten. Viel Stress auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die es sich nicht leisten kann, dass ihr ein weiterer wichtiger Akteur aus den eigenen Reihen von der Fahne geht.
Sie sehe, wie es etwa laut SZ im Kern heißt, die Angelgenheit beim Ombudsmann der Uni Bayreuth in guten Händen. Dass die Uni Bayreuth bemüht sein wird, den Rufschaden für ihre Fakultät und Hochschule zu begrenzen, liegt nahe. Ob sie sich hingegen in diesem Fall nicht eher nachhaltig schadete, sollte sie zu Guttenbergs Vergehen an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu relativieren versuchen, bleibt abzuwarten.
© Hubertus Molln
© GeoWis (2011-02-16)
Update (2011-03-01): Karl-Theodor zu Guttenberg trat heute um 11.15 Uhr von allen Ämtern zurück.