Nichts als die Freiheit
Mit The Crazy Never Die hat Klaus Bittermann sechs renitenten Querköpfen der amerikanischen Sub- und Popkultur ein Denkmal gesetzt.
Von Hubertus Molln (2011-04-28)
Amerika hat viele Helden hervorgebracht, von denen die offiziellen mit der Medal of Honor und - die im Krieg verwundeten - dem Purple Heart ausgezeichnet werden. Im anderen Amerika, dem der populären und Subkultur, erhalten die Helden in der Regel keine staatlichen Auszeichungen. Sie werden, wenn es gut läuft, mit Preisen des Kulturbetriebs bedacht. Manche lehnen Preise generell ab, wie zum Beispiel der Autor Thomas Pynchon.
Klaus Bittermann, Autor und Verlagschef der in Berlin ansässigen Edition Tiamat, hat sich für seinen Essayband The Crazy Never Die sechs Protagonisten des amerikanischen Sub- und Popkulturbetriebs ausgesucht, von denen nur noch einer lebt: Kinky Friedman. Vier sind durch ungewöhnliche Umstände zu Tode gekommen. So wurde Abbie Hoffman 1989 tot aufgefunden; Hunter S. Thompson jagte sich 2005 eine Kugel in den Schädel; Lenny Bruce starb 1966 an einer Überdosis Heroin; Lester Bangs ereilte der Sensenmann 1982 durch einen Medikamentenmix. Lediglich Raucher und Schauspieler Robert Mitchum starb - 1997 - mit knapp 80 Jahren eines natürliche Todes, an Lungenkrebs.
Im weiten Feld der subkulturellen Helden Amerikas hätte sich Bittermann nach Belieben bedienen können, hätte etwa Essays über den Suffkopp Charles Bukowski (1920-94; Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang), den Autor Jim Dodge (*1945; Fup), die Anti-Kriegs-Aktivisten Jerry Rubin (1938-94) und David Dellinger (1915-2004), die anarchischen Musiker Alan Vega und Martin Rev, die die Band Suicide gegründet hatten, oder die Acid Heads um Ken Kesey (1935-2001; Einer flog über das Kuckucksnest), die Merry Pranksters, schreiben können.
Doch warum sollte er, zumal einige dieser Figuren in Querverweisen berücksichtigt werden? Die von ihm ausgewählten Helden des Anti-Establishments, allesamt Großmäuler mit der Ambition, das real existierende US-Establishment anzupissen wann immer und wo immer es die Gelegenheit dazu gab, sind längst zu Legenden geworden und aus den teils noch ungeschriebenen Geschichtsbüchern zur amerikanischen Kultur-Anarcho-Szene nicht wegzudenken.
"Sie verkörpern Widerstandsgeist, Provokation und Dissidenz, und das alles auf einem extrem hohen Drogenniveau", schreibt Bittermann in seiner Vorbemerkung zum Buch. "Sie waren die Jungs, die die normalen Bürger Amerikas, die brav Nixon, Reagan und Bush wählten, am liebsten in irgendein Drittweltland abgeschoben hätten, am besten zu den Vietcong, um sie für immer los zu sein (...)."
Bittermann hat eine gute, höchst subjektive Wahl getroffen und zeichnet hervorragende Psychogramme dieser amerikanischen Legenden, die weit über das hinausgehen, was sich über sie auf Wikipedia oder anderen Online-Enzyklopädien finden lässt. Man hat den Eindruck, der Autor hätte mit seinen Helden jahrelang zusammengelebt. Ein Eindruck, der auch dadurch entsteht, weil Bittermanns Schreibe flüssig, unprätentiös und direkt ist.
Er verzichtet konsequent auf literarisches Geschwurbel, wenngleich manche Satzkonstruktion das eine oder andere Komma mehr vertrüge, und belohnt den Leser mit einer sprachlichen Frische, die ziemlich nahe an die ungefilterte Wortwahl der von ihm beschriebenen Protagonisten heranreicht. Einzige Ausnahme: Robert Mitchum. Der war meist wortkarg.
Die sechs Essays sind jeder für sich eine Hommage an die teils wegweisenden, nichts als die Freiheit propagierenden Rebellen der amerikanischen Sub- und Populärkultur. Hommages, die es so in deutscher Sprache bislang nicht gab. Zyniker könnten versucht sein, die Rolle der sechs zu relativieren, indem sie anbrächten, es sei leicht gewesen, gegen das Establishment und das Hillbilly-Amerika aufzubegehren, da sich das Land in Kriegen befand.
Ihnen müsste entgegengehalten werden, dass es in einer sich als freiheitlich und demokratisch verstehenden Nation, die sich in permanenter Mobilmachung und seit 1941 in Kriegen befindet, genauso schwer ist, sich gegen das etablierte Unrecht zu erheben, wie in einer Diktatur. Indem Bittermann den sechs Rebellen ein Denkmal in deutscher Sprache setzt, unterstreicht er das.
© Hubertus Molln
© GeoWis (2011-04-28)
Klaus Bittermann: The Crazy Never Die. Amerikanische Rebellen in der populären Kultur. Klapp-Softcover, 274 S., ISBN 978-3-89320-153-2. 1. Auflage, 2011. Edition Tiamat, Berlin.