Gelungene Premiere
Am vergangenen Samstag fand zu 17. Mal die Open-Air-Veranstaltung Rock in den Ruinen in Dortmund statt, erstmals auf dem Gelände von Phoenix-West.
Von Uwe Goerlitz (2011-05-02)
Es war ein Samstag der Superlative in Dortmund. Mehr als 27.000 tanzten in den Westfalenhallen während der Mayday ab, 80.000 BVB-Fans feierten im Stadion die Meisterschaft des hiesigen Fußballbundesligisten und zogen anschließend in die Innenstadt, wo sie auf weitere geschätzte 30.000 Fußballbegeisterte stießen. Wall und Borsigplatz wurden Stätten von Sit-ins. Laut Polizeiangaben habe es weder unter den Borussenfans noch bei den Ravern und Abrockern nennenswerte Störungen oder gar Ausschreitungen gegeben.
Seit der Mittagszeit war das Open-Air-Fest Rock in den Ruinen im Gange, zu dem sich bis zum frühen Abend um 9.000 Rockfans eingefunden hatten, die nach Aussage von Mitveranstalter Patrick Arens rund 70 Hektoliter Brinkhoff's No. 1 durch ihre Kehlen fließen ließen. Erstmals fand die 1995 auf der Hohensyburg als Minifestival begonnene Veranstaltung auf der Industriebrache der ehemaligen Kokerei- und Hochofenanlage Phoenix-West im Stadtteil Hörde statt.
Das diesjährige Line-up konnte sich sehen lassen. "Arschtretender Sound", so die Vorankündigung im Veranstaltungsheft, von Guitarshop Asshole (Recklinghausen) bildete zur Mittagszeit den Auftakt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich nur wenige hundert Rockfreunde auf dem weitläufigen Gelände eingefunden, so dass die Mitarbeiter in den Bierwagen und rollenden Hütten mit kulinarischem Angebot (Braut- und Currywurst, chinesische Schnellgerichte) noch wenig zu tun hatten.
Auch die Ruhrpott-Punkrocker Tony Gorilla spielten wie der eine starke Show abliefernde Mike Zero (Dortmund) und die Hardrocker Enemy of The Sun (Dortmund) - "Wollt ihr, dass wir diesen Scheiß jetzt spielen?" - noch vor kaum tausend Leuten. Das machte aber nichts, denn erstens war allen klar, dass an diesem Samstag die Konkurrenz in der Stadt groß wäre, da der BVB gegen Nürnberg die Meisterschaft einfahren konnte, und zweitens war es ein sonniger Tag, in den so mancher noch vom Vortag hineinschlief oder - wie in Deutschlands Metropolen an Wochenenden seit Jahren üblich - in Lokalen noch bis nachmittags frühstückte.
Doch so langsam begann sich das Gelände zu füllen. Viele Rockfans hatten ein Transistorradio am oder Stöpsel im Ohr, um die zweite Halbzeit der Liga am Radio mitzuverfolgen. Was bei der Beschallung nicht einfach war. Mit dem Auftritt des dänischen Sextetts Kellermensch (Esbjerg) schien diese noch zuzunehmen. "120.000 Watt" bringe die Anlage, sagte Sebastian Kopietz, stellvertredender Stadtbezirksvorsitzender der SPD Dortmund-Hörde, gegenüber GeoWis.
Der Ortsverein ist der Hauptveranstalter des Festivals und hatte seine Stände unter einem roten Sonnenschutz aufgebaut, unter dem die Jusos fleißig Gespräche zum schnellen, aber bedachten Ausstieg aus der Atomkraft und zur parteipolitischen Konkurrenz durch die Linke führten und um Mitglieder warben, sowie Anti-AKW-Buttons, rote Kondome, Kugelschreiber, Feuerzeuge und Flyer verteilten.
Einen sechsstelligen Betrag im unteren Bereich koste die Veranstaltung, teilte Kopietz auf Anfrage nicht ohne Stolz mit. Der Betrag könne natürlich nicht allein vom Ortsverein getragen werden, so Kopietz. Sponsoren seien dabei behilflich. Ohne Sponsoren gehen größer angelegte kulturelle Ereignisse in diesen Zeiten nicht mehr. Schön, dass sie auch Geld für Musikfestivals ausgeben, die den Eltern der Besucher inzwischen oder womöglich Hörstürze bescheren.
Kellermensch, die ihren Namen nach Fjodor Dostojewskis 1864 erschienenem Roman Aufzeichnungen aus dem Untergrund abgeleitet haben, legten satt los und boten eine interessante Show, für die vor allem zwei ihrer Mitglieder standen. Sänger Christian Sindermann lieferte in violettem Business-Hemd und schwarzer Lederkrawatte eine schweißtreibende Performance, während Bassist Claudio Suez seinen Bass in gelassener, geradezu coolen Haltung zupfte.
Richtig gut trat auch die deutsche, aus Würzburg stammende Rockkombo The New Black auf, die eigens ihren Mischer mitgebracht hatten und demzufolge die 120.000 Watt sauber nutzten.
Drummer Christoph Weiß band als Referenz an den deutschen Fußballmeister einen BVB-Schal um eine Trommel. Später knubbelte er ihn um seine Stirn. Gitarrist Fabian Schwarz, zuvor Backstage noch lammlieb, zog im Verbund mit seinen Band-Kollegen, vor allem mit Gitarrist Christof Leim ("Leimsen") eine furiose Performance ab, die nichts zu wünschen übrig ließ.
Die Band, die erst seit drei Jahren in dieser Form existiert und bereits im Juni letzten Jahres im Vorprogramm beim AC/DC-Konzert in Dresden groß auftrat, stellte ihr zweites Album II: Better In Black vor und brachte - wie schon zu vielen Gigs - ihre Fotografin Claudia Rose mit, die mit einem Mega-Tele fleißig Bilder schoss.
Mit schwedischem Schwermetall namens Wolf ging es weiter, allerdings kam der übersteuerte Sound etwas breiig rüber und erreichte - leider - nicht das Niveau von The New Black. Wolf, 1995 gegründet, machten musikalisch das, wofür sie bekannt sind: ordentliches Heavy Metal made in Sweden. Mehr aber auch nicht. Längst hatte sich das Phoenix-West-Gelände gefüllt. An den Bierwagen und Mampfbuden bildeten sich Schlangen.
Clawfinger, ebenfalls aus Schweden und seit 1991 im Geschäft, standen jetzt auf dem Programm. Nun konnte man doch einen qualitativen Unterschied zu einigen der vorherigen Bands feststellen, wenngleich keinen allzu großen. Die erfahrenen Metallrocker um ihren britischen Sänger Zak Tell, zu deren Repertoire die Genre-Hits The Truth und Nigger gehören, gelten als europäische Crossover-Pioniere und unterstrichen dies in Dortmund.
Es war gut nach halb neun, die Sonne ging langsam unter und das Durchkommen zur Bühne war selbst mit Backstage-Pass nicht einfach, als Clawfinger loslegten und Zak Tell begann, sich warmzusingen. Zwanzig Minuten später hatte er Höchstform erreicht - wie auch eingefleischte Clawfinger-Fans -, turnte auf der Bühne wie ein Zebulon herum und bot wie erwartet eine eindrucksvolle Show.
Es war die perfekte Bodenbereitung für die Hauptdarsteller des Festivals, New Model Army. Die Briten, die nicht auf Deutschland-Tour sind, sondern sich nur für diesen Gig verpflichten ließen, wohlwissend, dass sie in Deutschland stets mehr als ein Heimspiel haben - immerhin ist hier ihre größte Fangemeinde auf dem Kontinent - brachten gewohnt Solides, allerdings nichts Neues.
Zwar gaben sie wie immer alles und Justin Sullivan, Kopf der Band, war wie so oft in den vergangenen 30 Jahren routiniert gut, aber der letzte Kick fehlte diesmal. Der Funke wollte nicht so richtig überspringen. Dennoch: neun Bands, darunter Top-Acts wie Mike Zero, The New Black, Kellermensch, Clawfinger und New Model Army vereint zu sehen und zu hören, und das für den sozialen Eintrittspreis von 13 Euro, ließen diesen Tag abseits des BVB als gelungen erscheinen.
Dass in Dortmund auch offiziell Wert auf kulturelle Tradition gelegt wird, muss man der Stadt und den Veranstaltern hoch anrechnen. Das Phoenix-West-Gelände hat sich für die Ausrichtung von Großveranstaltungen als absolut tauglich erwiesen, was auch seitens der Polizei bestätigt wird. Das Sicherheitskonzept, dem der langjährige Stammplatz an der Hohensyburg - auch vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse der Love-Parade-Katastrophe zu Duisburg 2010 - nicht mehr standhiehlt, ist in Hörde weitaus besser umsetzbar.
Zudem ist ein Gelände ausgewählt worden, das nolens volens dank seiner historischen Industriefragmente zu einem Musikfestival wie Rock in den Ruinen passt. Selbst die modernen Freilicht-Pissoirs - ein intelligentes Werk deutscher Industriedesigner -, neben denen die Aufreihung von Kabinenklos für das weibliche Geschlecht anachronistisch wirkten, können als Erfolg gewertet werden. Anders als bei vielen Großveranstaltungen der Fall, pinkelte das männliche Geschlecht nicht wild in die Botanik.
Oberbürgermeister Ulli Sierau (SPD), gelernter Raumplaner und insgeheim ein Rock'n Roller, fand im Geleitwort für Rock in den Ruinen passende Worte, die für einen Politiker recht unprätentiös klingen: " Der 30.04.2011 verspricht ein großer Tag zu werden und ich freue mich besonders auf ein Wiedersehen mit Bands, die bereits seit Jahrzehnten stilprägend unterwegs sind." So alt, Ulli Sierau, waren die Jungs, die in Hörde aufspielten, dann doch nicht.
Auf jeden Fall war es eine gelunge Premiere auf Phoenix-West. Mal sehen, ob das Gelände für Rock in den Ruinen und ähnliche Veranstaltungen auch bestehen bleibt, wenn das neu entstehende Mittelschichtsviertel um den Phoenixsee Realität geworden ist. Vielleicht muss der Ulli dann noch mal ran.
Kleines Titelfoto zeigt Christof 'Leimsen' Leim (UG/GeoWis).
© Uwe Goerlitz
© GeoWis (2011-05-02)
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