Mitten im Sturm
Noch-Bundespräsident Christian Wulff hat offenbar mit einem Einschüchterungsversuch gegen die Bild-Zeitung deren Berichterstattung über seine privaten Kreditgeschäfte verhindern wollen. Jetzt kam die Sache ans Licht, doch Wulff schweigt, die Regierung auch, und die beiden größten Oppositionsparteien reagieren milde.
Von Nina Brenthäuser (2012-01-03) +++Update siehen unten+++
Er hatte die Chance, nach Bekanntwerden seiner Darlehensaffäre reinen Tisch zu machen und sogar einigermaßen würdevoll zurückzutreten, doch Christian Wulff zog es vor, die Öffentlichkeit, sein Volk gar, im Unklaren zu lassen, als er sich kurz vor Weihnachten 2011 für das ominöse Kumpaneigeschäft für sein Eigenheim entschuldigte.
Nun, nachdem er gegenüber BILD versucht haben soll, Einfluss auf die Pressefreiheit zu nehmen und - wie es vor allem die Süddeutsche Zeitung und die FAZ zuerst berichteten - dem Chefredakteur von Deutschlands auflagenstärkstem Boulevardblatt den "Krieg" in Aussicht gestellt habe, falls der zulasse, die Darlehensaffäre publik zu machen, dürften auch die Omis und Opis dieses Landes ein anderes Bild von diesem Präsidenten haben.
Wie dämlich jemand sein muss, der auf einem Anrufbeantworter deftige Worte hinterlässt, die ihm hinterher um die Ohren fliegen, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Dass aber der Inhalt - wenn es stimmt, denn bisher hat BILD die Aufnahme noch nicht vorgelegt - konträr zu dem steht, was der Bundespräsident als einer der Hüter des Grundgesetzes tunlichst zu verhindern hat, nämlich einen Angriff auf selbiges, zeigt endgültig, dass der Mann nicht in dieses Amt gehört.
Schon einige von Wulffs Vorgängern gerieten in schwere Wasser, so Heinrich Lübke (1959-69), der drei Monate vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit zurücktrat; Karl Carstens (1979-84), der sich als äußerst unfähiger Literaturkritiker gegenüber Heinrich Böll erwies; und Horst Köhler (2004-10), der gar vier Jahre vor Ablauf seines zweiten Mandats das Handtuch warf und somit den Weg ins Amt für Wulff erst ermöglichte. Doch keiner seiner Vorgänger leistete sich derart höfisches Gehabe bei gleichzeitiger Blendung der Öffentlichkeit.
Erstaunlich sanft gehen die beiden derzeit größten Oppositionsparteien - SPD und Grüne - mit Wulff um. Das Amt solle nicht beschädigt werden, heißt es. Was für ein Unfug! Ein Amt kann gar nicht beschädigt werden, nur die Person, die es ausübt. Offenbar fürchten SPD und Grüne, dass es auf sie zurückfallen könnte, wenn sie Rücktrittsforderungen formulierten.
Bedeckt hält sich auch die Piratenpartei. Womöglich aus den gleichen Gründen, oder aus Mangel an Interesse, was bedenklich wäre. So bedurfte es bislang einzig der Linkspartei und des bayrischen FDP-Manns Erwin Lotter, Wulff den Rücktritt nahezulegen. Dabei hätten nach diesseitiger Auffassung bereits die Umstände um den Kredit vom Kumpel dafür ausgereicht.
Wulffs Glaubwürdigkeit ist im Keller, der Schlossherr aus dem Bellevue offensichtlich der Realität entrückt, und niemand aus der Regierung traut sich, ihn anzugehen. Zu groß scheint die Angst, dass Kanzlerin Merkel in den Abwärtsstrudel gezogen werden könnte, schließlich war sie es, die ihn in dieses Amt drückte.
© Nina Brenthäuser
© GeoWis (2012-01-03)
Update (4.01.2012): Inzwischen trauen sich Politiker von SPD und CDU, aus der Deckung zu kommen. So fordert SPD-Sprecher Thomas Oppermann sanft, Wulff solle sein Amt ruhen lassen. Inwieweit dieser Kniff überhaupt zulässig ist, sagt er nicht. CDU-Politikerin Vera Lengsfeld fordert Wulffs Rücktritt. Kanzlerin Merkel, taktisch auf Kohl-Niveau, erwartet vom Bundespräsidenten eine Erklärung. Die hat Wulff für den heutigen Nachmittag angekündigt.