Keine Kohle
Eine kleine Gruppe von Kohlenträgern trat im September 1910 wegen abgelehnter Lohnforderungen in den Streik und lernte die wilhelminische Staatsmacht kennen.
Von Martin Jasper (2012-01-16)
Sieben Pfennig mehr pro Stunde lautete die Forderung von 141 Kohlenarbeitern der Firma Kupfer und Co., die zum Imperium des Mülheimer Industriellen Hugo Stinnes gehörte. Den Kohlenträgern sei es im Vergleich mit Industriearbeitern bei Siemens-Schuckert, AEG und Borsig hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingugen und Entlohnung schlechter ergangen, so der Herausgeber und Autor Udo Achten, der mit diesem Buch - im Verbund mit weiteren Autoren - einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterschaft leistet.
Gewerkschaften und Arbeiterverbünde waren der wilhelminisch-preußischen Obrigkeit ein Dorn im Auge und Streiks wurden wie ein Angriff gegen sie und das freie Unternehmertum verstanden. Den Kohlenträgern kam zudem eine lokale Schlüsselrolle zu, zumindest zu der von ihr gewählten Jahreszeit. Im September - spätestens - kellerte man für den Winter ein.
Den Streikenden sei es neben der Lohnerhöhung und besserer Arbeitsbedingungen auch "ums Prinzip" gegangen. Während sie wenig zu verlieren hatten, stand für ihren Kontrahenten Stinnes, dem es ebenfalls ums Prinzip gegangen sei, mehr auf dem Spiel als lediglich ein paar Pfennige Lohnerhöhung zu gestatten. Er hatte einen Ruf zu verlieren und wollte es sich daher nicht leisten, gegenüber seinen Industriellen-Kollegen und der Staatsführung als Nachgeber dazustehen.
Da eingekellert werden musste, sind Streikbrecher aus Hamburg herangekarrt worden, während die Streikenden rigorose Bekanntschaft mit der Polizei machten. Sie wurden niedergeküppelt, es wurde auf sie geschossen und man steckte sie ins Zuchthaus. Die Schuld wies man der Sozialdemokratische Partei und den Gewerkschaften zu und versuchte das mit Hilfe einer geradezu obrigkeitshörigen "Scharfmacherpresse" (Achten) der Öffentlichkeit zu verkaufen.
Herausgeber und Autoren ist es mit diesem Buch gelungen, ein sozialgeschichtliches Kleinod abseits Knopp'scher Geschichtsschreibung vorzulegen. Vor allem die Rolle der Pickelhaubenträger wird intensiv besprochen, und zahlreiche Illustrationen, Karikaturen und Fotos geben dazu einen tiefen Einblick in die damalige Zeit, die von Arbeiteraufständen, Unruhen, Dekadenz und Desolation geprägt war.
© Martin Jasper
© GeoWis (2012-01-16)
Udo Achten (Hg.): Nicht betteln, nicht bitten. Moabiter Streikunruhen 1910. Hardcover, 196 S., ISBN 978-3-8375-0614-3, Klartext Verlag, Essen, 2011.