Feinde im Innern
Die deutschen Verfassungsschützer sind durch die Zwickauer Terrorzelle mächtig ins Gerede gekommen. Inzwischen stellen sie eine Gefahr für die Demokratie dar und gehören abgeschafft. Teil 1
Von Tom Geddis (2012-02-02)
Verfassungsschützer haben die Aufgabe, die Verfassung zu schützen. So steht es im Bundesverfassungsschutzgésetz (BVerfSchG). Alljährlich legen die Verfassungsschützer, die den jeweiligen Innenministern unterstehen, ihre Berichte vor, in denen sie umfangreich Zahlen über so genannte Verfassungsfeinde, politisch motivierte Straftaten, Demonstrationen und die potentielle Gefahrenlage listen und interpretieren. Es sind gewissermaßen die zusammengefassten Arbeitsnachweise und Rechenschaftsberichte, die die Notwendigkeit der Existenz der Ämter untermauern sollen.
Ihr Versagen in der Gefahrenabwehr ist darin allerdings nicht beschrieben. Unter den Augen etwa des thüringer und des sächsischen Verfassungsschutzes konnte die zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zählende rechtsextreme Zwickauer Neonazi-Zelle über Jahre hinweg - glaubt man den ermittelnden Behörden - rauben und morden und erhielt Geld aus dem Steuersäckel. Jüngst wurde bekannt, dass auch zahlreiche Mitglieder des deutschen Parlaments seit Jahren von den Schlapphüten überwacht wurden, vorzugsweise gewählte Abgeordnete der Linkspartei.
Wer sind diese Leute, die sich einerseits anmaßen, Mitglieder des Bundestages zu überwachen, auf der anderen Seite Neonazis, Kriminelle und Kapitalverbrecher zu unterstützen und offensichtlich zu einer Gefahr für das demokratische und öffentliche Leben in diesem Land heranreifen konnten? Es sind Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, bezahlt nach entsprechenden Tarifverträgen und dem Anspruch auf zusätzliche Altersversorgung.
Es sind Analysten, die viel Zeit mit dem Lesen von allerlei Artikeln, politik- und sozialwissenschaftlichen Aufsätzen und Studien und deren Auswertung verbringen. Es sind Bürokraten und Technokraten, die sich gemäß ihrer Hierarchiestufe schon aus dienstrechtlichen Gesichtspunkten bei ihren jeweiligen Vorgesetzten absichern müssen. Vielfach sind es auch Leute, die ihre Arbeit etwa so unprätentiös verrichten, wie es die zigtausenden von Bürokraten während des Dritten Reichs taten, jene folgsamen Rädchen, die später im Rahmen der Entnazifizierungsprozeduren als Mitläufer klassifiziert wurden.
Rund eine halbe Milliarde Euro kosten die Schlapphüte inklusive Ausgaben für Sachmittel die Steuerzahler jährlich. Um 5000 Bedienstete stehen in Sold und Gehalt, um die Verfassung zu schützen. Doch tun sie das? Sind sie dazu überhaupt in der Lage und ihr Geld wert? Oder wird die Verfassung nicht viel besser durch aufmerksame Bürger, manch redliche Politiker und das Bundesverfassungsgericht geschützt? Braucht man das Relikt Verfassungsschutz aus dem offiziell beendeten Kalten Krieg überhaupt noch oder ist es schon seit 20 Jahren überflüssig?
Tatsache ist, dass die Verfassungsschützer, denen so gerne - und fast schon euphemistisch - bescheinigt wird, sie seien auf dem rechten Auge blind, hinter jeder sozialkritischen Äußerung marxistisches, leninistisches oder maoistisches Gedankengut vermuten. Die Angst vorm alten Marx, der dem Kapitalismus die Leviten las und der kleinen rechtsintellektuellen und der ihr angeschlossenen schöngeistigen Welt vor rund 150 Jahren Erkenntnisse lieferte, die bei Goethe, Schiller, Kant und Hegel nicht zur Reife gekommen waren, sitzt im (west-)deutschen Verwaltungs- und Politikbetrieb, vor allem aber bei den Schlapphüten so tief, dass das zu schützende Grundgesetz, das der Publizist Jakob Augstein als "links" einschätzt, nur noch als hinderlich begriffen wird.
Klar ist, dass die Bürokraten aus der Kölner Schlapphüte-Zentrale und den 16 Landeshauptstädten rechtsextremen Terror der vergangenen gut 20 Jahre nicht verhindert haben, obwohl ihnen seit den frühen 1970er Jahren sämtliche Instrumente - entwickelt für die Bekämpfung linksextremistischen Terrors - stets upgedated zur Verfügung stehen. So die Mittel zur Rasterfahndung, zum Lauschangriff, zum Datenabgleich von den Einwohnermeldebehörden, über die Telekommunikation bis zu den Sozial- und Rentenkassen. Bewegungsprofile können zudem über Mobiltlefone und Navigationsgeräte jederzeit erstellt werden.
Die rechtsextremistischen Anschläge in Hoyerswerda (September 1991), Rostock (August 1992), Mölln (November 1992; 3 Tote), Solingen (Mai 1993; 5 Tote) oder Lübeck (Januar 1996; 10 Tote) haben die Schlapphüte ebenso wenig verhindern können wie die zahlreichen Übergriffe von Neonazis gegen friedliche, stets als links apostrophierte und rüde behandelte (Gegen-)Demonstranten. Gleichwohl haben die Verfassungsschützer bisher nicht dazu beigetragen, etwa die Polizeien und die Bundeswehr von Rechtsradikalen zu befreien.
Im Zeitalter der totalen Vernetzung, im Zeitalter der völligen Hingabe an so genannte soziale Netzwerke und im Zeitalter eines offenbar dahinsiechenden Prekariats und einer intellektuell darniederliegenden Mittelschicht, die ihr geistiges Update seit Jahren aus Talkshows und ähnlichem Tingeltangel zu beziehen scheint, haben es deutsche Überwachungs- und Geheimdienste schlechterdings leicht, ausreichend Material über so genannte Systemveränderer und deren Protagonisten zu sammeln und Erkenntnisse zu gewinnen, die als berichtenswert erachtet werden.
Und schon immer, spätestens aber seit Bismarck, gab es willige Helfer, die - sicherte man sie lediglich sozial und finanziell ab - sich als Spurensucher, Informationsbeschaffer und - das vor allem - Denunzianten betätigten und wissentlich oder unwissentlich dem Leitsatz "Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'" folgten. Zu Hunderttausenden trugen diese namentlich kaum in Erscheinung getretenen Helfer dazu bei, dass Millionen von Menschen ermordet wurden.
Ganz nebenbei sorgt eine solche - vorzugsweise im öffentlichen Dienst anzutreffende - Haltung dafür, dass von Freiheit in Deutschland nicht mehr viel übrig geblieben ist, außer der Freiheit, konsumieren zu können, bis der Fettsucht auch kein Arzt mehr helfen kann; und außer der Freiheit, sich freiwillig zu versklaven, indem Kredite und Hypotheken aufgenommen werden, um die eigenen vier Wände, das Auto oder die Yacht finanzieren zu können. An vorderster Front der sich selbst Versklavenden stehen die im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Ihnen bietet der Gesetzgeber das puschelige Bettchen, das vermeintliche Rund-um-sorglos-Paket, verlangt aber dafür einen hohen Preis: Schnauze halten!
Der mittlere und gehobene öffentliche Dienst ist bekannt dafür - Ausnahmen gibt es -, dass gebuckelt, gemobbt und sich geduckt wird. Es gilt, nicht gegen Arbeitsverträge zu verstoßen und keine dienst- oder beamtenrechtlichen Angriffspunkte zu liefern - eine Prämisse, die von den entsprechend Beschäftigten womöglich häufig als wichtiger erachtet wird als gegen das Strafrecht zu verstoßen. Daher kann prinzipiell kein Abteilungsleiter oder gar Amtsleiter mit dem Argument kommen, er hätte vom Tun seiner Untergebenen nichts gewusst. Und kein Innenminister kann damit kommen, sein Amtsleiter hätte ihn nicht über wesentliche operative Vorgänge informiert.
Der aktuelle Bundesinnenminister, Hans-Peter Friedrich (CSU), macht kein Hehl daraus, dass er über die Überwachung der 27-42 Parlamentarier der Linkspartei informiert gewesen sei, ist aber nicht bereit, diese Praktik unverzüglich einzustellen. Rückendeckung erhält er beispielsweise von seinem bayrischen Amtskollegen Zehetmayer (CSU), vom Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe, und vom Fraktionschef der CDU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder.
Während Gröhe, die eigentliche Sirene der CDU mit Hang zu rhetorischer Inkontinenz, die Überwachung mit den Worten "Wer den Systemwechsel fordert, darf sich über Beobachtung nicht wundern" verteidigt und die Linkspartei als "Gefahr für die Demokratie" dämonisiert, bemüht der Kraichgauer Haudrauf Kauder unbekümmert die alte Leier, die Linke sei die Nachfolgepartei der SED. Dem kann man entgegenhalten, die CDU ist die Nachfolgerin der Zentrumspartei der Weimarer Republik, die die Nationalsozialisten unterschätzte, mutlos war und mit dazu beitrug, dass Hitler an die Macht gelangte.
Inzwischen setzt sich in der Bevölkerung die Erkenntnis durch, das radikalkapitalistische Finanzsystem und jene Politiker, die es nicht bändigen wollen und sogar unterstützen, seien eine Gefahr für die Demokratie. Vor dieser Gefahr aber warnen die Schlapphüte - und auch die Kauders und Gröhes dieser Republik - nicht.
© Tom Geddis
© GeoWis (2012-02-02)
Teil 2 >>