Armselige Vorstellung
Der wegen einer Reihe von moralischen und möglicherweise strafrechtlich relevanten Vorwürfen zurückgetretene Ex-Bundespräsident Christian Wulff bekommt den vorgesehenen Ehrensold.
Von Jochen Henke (2012-03-02) +++Update siehe unten+++
Transparency International führt Deutschland auf ihrem Korruptionsindex hinter Hong Kong und Singapur gleichauf mit Japan auf Platz 14. Das ist bezeichnend, ist Japan doch bekannt dafür, dass dort geradezu symbiotische Zustände zwischen Regierung und Wirtschaft herrschen. Als bestes Beispiel jüngeren Datums dient hierzu das unsägliche Krisenmanagement zur Tsunami- und Kernschmelzenkatastrophe ab dem 11. März 2011.
Selten zuvor wurden - ausgenommen Mexiko - in einem Industrie- und OECD-Land die korruptiven Bettgeschichten zwischen Kapital und Politik derart prominent sichtbar, dass selbst die stoisch auf ihre Regierung vertrauenden Japaner richtig missmutig wurden und ihrer Regierung kaum noch Glauben schenken.
Platz 14 ist so ziemlich das Allerletzte für Deutschland. Er erschüttert den Glauben an eine Republik, deren Bevölkerungsmehrheit - folgt man Umfragen - Korruption stets mit Diktaturen, Entwicklungsländern Putins Russland oder China assoziieren. Der Korruptionsskandal von Siemens unter der Leitung von Heinrich von Pierer war gestern; der Mannesmann-Vodaphone-Deal vorgestern; und die vielen Strafverfahren gegen kommunale Baudezernenten und Auftragsvergeber liegen gefühlte 5000 Jahre zurück. Doch in Deutschland herrscht nach wie vor Korruption. Sonst würde das Land nicht auf Platz 14 geführt.
Lange funktionierte Korruption hierzulande subtil und lief im Stillen ab. Seit der nun verkündeten Feststellung des Bundespräsidialamtes zum Ehrensold für den aus offenkundigen Verfehlungen und staatsanwaltlichen Ermittlungen am 17. Februar 2012 vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetretenen Osnabrückers Christian Wulff fällt Licht auf den Schatten. Nie zuvor fiel das Korruptions-Mikroskop auf einen Bundespräsidenten.
Durch die Zusprechung des Ehrensolds wird nun noch genauer hingeschaut, was da für ein Mann im Schloss Bellevue war. Möglich wurde dies durch den Wulff-Spezi und Leiter des Bundespräsidialamtes, Lothar Hagebölling, der den Ehrensold nebst allen sonstigen Privilegien in die Lohnbuchhaltung gab.
Der Speyerer Staatsrechtler Hans-Herbert von Arnim stellte dazu im WDR-Radio 2 fest, dass "ausgerechnet die, deren Dienstherr er (Anm. d. Vf.: Wulff) war, entscheiden", ob Wulff der Ehrensold zustehe. Der langjährige professorale Korruptionswächter von Arnim stellt sich klar gegen das Pampern auf Steuerzahlerkosten, indem er sagt, der Rücktritt Wulffs wurzele in "seiner Person". Wäre dem so, hätte Wulff keinen Anspruch auf Ehrensold, Büro, Chauffeur etc.
Christian Wulff hat als Bundespräsident nicht viel geleistet. Seine Aussage, "Muslime gehören zu Deutschland", wird vielleicht in positiver Erinnerung bleiben. In negativer Hinsicht aber wird seine armselige Vorstellung bezüglich seiner Erklärungsversuche zu seinen Vermengungen aus Privatem und Beruflichen bleiben. Offenbar hat er mitgenommen, was ging.
Angesichts dessen, dass deutsche Arbeitsgerichte Kündigungen von Arbeitgebern bestätigten, die Arbeitnehmer auf Grund der Mitnahme oder des Verzehrs von abgestandenen Frikadellen oder der vermeintlichen Unterschlagung von Getränkbons entlassen haben, wirkt die Versorgung Wulffs wie eine Kreissäge im Baum der Gerechtigkeit. Warum sollte Wulff, der sich für keine Entgegennahme zu schade war, nicht stempeln gehen? Eine Anwartschaft hat er längst erworben.
Kaum zu glauben, aber wahr: Christian Wulff zeigt bisher auch nach seinem Rücktritt, den er aus "politischen Gründen" vollzogen haben will, keine Größe. Eher Armeligkeit, indem er nicht freiwillig auf seine Apanage verzichtet. Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der parlamentarischen Linken der Sozialdemokraten im Bundestag, stellt im Hamburger Abendblatt fest: "Das System von Ehrensolden erinnert mitsamt den Apanagen an vordemokratische Strukturen, die wir überprüfen müssen."
Einfach wird das nicht. Sollte Wulff wegen potentiellen Falschaussagen im niedersächsischen Parlament irgendwann verurteilt werden, böten sich vielleicht Chancen, die Ehrensold-Gewährung vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten. Ob es überhaupt zu einer Klage kommt, ist ungewiss, denn über die Annahme der von der niedersächsischen SPD eingereichten Klage gegen den Ehrensöldner entscheidet Wulff-Freund Jörn Ipsen, Präsident des dortigen Staatsgerichtshofes.
Allzu große Sorgen um sein vom Steuerzahler aufzubringendes Einkommen braucht sich der zweifelhafte Politemporkömmling Wulff offensichtlich nicht zu machen, hat doch der Haushaltsausschuss des Bundestags heute entschieden, die 199.000-Euro-Apanage sei rechtens. So kommt man von Platz 14 kaum runter.
© Jochen Henke
© GeoWis (2012-03-02)
Update (2012-03-03): Wie heute bekannt wurde, beansprucht Wulff trotz seines schmählichen Scheiterns als Bundespräsident die neben dem Ehrensold bislang all seinen Vorgängern zugestandenen Privilegien: Büro, Sekretariat, Dienstwagen, Fahrer, Security. Die Kosten für den Steuerzahler beziffertn sich damit auf zusätzliche 200.-350.000 Euro pro Jahr. Wulff, der sich wenige Monate vor seinem Amtsantritt für eine Beschneidung der Apanage und Privilegien öffentlich stark gemacht hatte, gerät mit seiner post-präsidialen Haltung immer mehr in die Kritik.
Wie ferner bekannt wurde, will Ex-Ex-Bundespräsident Horst Köhler künftig auf seinen Ehrensold verzichten, da er sich mit seinen bisher erworbenen Pensionsansprüchen aus seinen prä-bundespräsidialen Tätigkeiten (Weltbank; Sparkassen- und Giroverband) offenbar ausreichend versorgt sieht und sich nicht des Verdachts ungebührlichen Zusatzeinkommens aussetzen will.