Der Dicke, der Alte, der Loser - und die anderen
Seit Hannelore Krafts Wahlsieg in NRW, bei dem sie fast 40% der abgegebenen gültigen Stimmen einfuhr, ist die SPD-Troika um Parteichef Gabriel in Alarmbereitschaft.
Von Simone ten Breck (2012-05-22)
Der Grande der Linken, Oskar Lafontaine, gerade wieder in aller Munde¹, weil er als einziger Retter der Partei auserkoren ist, nachdem die Linke um ihre chaotischen Führungsfiguren Lötsch, Ernst und Bartsch nahezu heil- und konzeptlos in die Nichtwählbarkeit abzudriften droht, dürfte sich ins Fäustchen lachen: Der Dicke (Sigmar Gabriel, SPD-Parteichef), der Alte (Ex-Finanzminister Peer Steinbrück) und der Loser (Ex-Schröder-Berater, Ex-Kanzlerkandidat und Noch-SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier) bekommen Konkurrenz von Hannelore Kraft, die die Neuwahlen in NRW fulminant gewonnen hat. Lafontaine gönnt den ihm intellektuell kaum gewachsenen Partei-Verwaltern den aufkommenden Wind aus Westen.
Die Mülheimer Wirtschaftswissenschaftlerin Kraft, die locker auf Englisch parlieren kann - und erst 1994 zur SPD kam, weshalb ihr ein wenig der seit Jahrzehnten von der Partei als Grundlage für ein Ticket zu Höherem notwendige Stallgeruch fehlt -, ist eine Bedrohung für das Triumvirat Gabriel/Steinbrück/Steinmeier. Geschickt hat sie im Verbund mit Grünen-Chefin Sylvia Löhrmann die Linke im Landtag ausmanövriert, um Neuwahlen herbeizuführen. Krafts - und Löhrmanns - Kalkül: auf diese Weise eine stabile Mehrheit zu erhalten.
In die Karten gespielt hat dem rot-grünen Damen-Duo dabei Ex-Umweltminister Norbert Röttgen, der mit seinem Eiertanz, ob er sich bei einer Wahlniederlage in NRW auf die Oppositionsbank setzte, und seinem mangelnden Bekenntnis zu NRW die eigene Stammwählerschaft massiv vergraulte. Auch das Phänomen Piratenpartei, die mit 7,8% in den Landtag gewählt wurde, erwies sich für Kraft als Vorteil, kegelten die Nerds doch die Linke (2,5%) in die Bedeutungslosigkeit.
Hannelore Kraft hat bewiesen, dass sie strategisch vorzugehen in der Lage ist und hierfür auch die notwendigen Taktiken beherrscht. Ihre Verbundenheit zu NRW steht bei ihren Wählern außer Frage, wobei sich wohl nicht wenige darüber freuten, wenn sie beizeiten zur Kanzlerkandidatin gekürt würde. Nach Erich Ollenhauer (SPD, 1953), Johannes Rau (SPD, 1987), Guido Westerwelle (FDP, 2002) und Frank-Walter Steinmeier (SPD, 2009) wäre Kraft erst die fünfte Person aus NRW, die nominiert würde.
Längst hat sich die SPD-Troika unter dem derben Frauenversteher Gabriel auf Fragen zu einer Kandidatenkürung Krafts die Standardphrase zugelegt, sie, Kraft, habe ein "klares Bekenntnis zu NRW" abgegeben. Offenbar will man im Männerbund vorsorgen, um sie später darauf festnageln zu können. Was aber, wenn der Kanzlerkandidat - wie anno 1997 - per Mitgliederentscheid ausgewählt werden will? Der Verbalkrawallo Gabriel, der Umfragen zufolge zurzeit ohnehin nur geringe Zustimmung erfährt, könnte sich dem kaum entziehen.
Auch Peer Steinbrück, der vor einigen Monaten von der Grauen Eminenz der SPD, Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (*1918), mit den Worten "Er kann es" geweiht wurde müsste eine Niederlage fürchten, käme es zu einem Mitgliederentscheid. Der Verfechter rigoroser Sparpolitik zuhause und großzügiger Ausgabenpolitik bei Euro-Rettungsschirmen ist im Rentenalter, etwas, was man seinem Vor-Vorgänger als Bundesfinanzminister, Oskar Lafontaine, genüsslich vorhält, weil der noch mal für die oberste Linke-Position antreten will.
Und dann ist da noch Steinmeier. Der 56-Jährige, schon einmal als Kanzlerkandidat gegen Amtsinhaberin Merkel gescheitert, ist ein zahnloser Tiger, ein geradezu Idealtypus eines Weicheis - Frauen können nicht auf Weicheier -, der am liebsten keinen Stress haben will und von der ehemaligen Arbeiterpartei weiter entfernt ist als der Saturn von der Erde. Er ist Liebhaber einer Großen Koalition, einer Regierungskonstellation also, die für die Bewahrung des Status quo steht, nicht aber für Innovation, Bewältigung von Zukunftsaufgaben und dem Spirit für sozialgesellschaftlichen Aufbruch. Steinmeier, der Wahlverlierer, ist so ziemlich das Letzte, was Deutschland an der Spitze braucht.
In der Männerwelt an der SPD-Spitze - und im Hintergrund - tummeln sich noch einige andere Loser, die es Hannelore Kraft kaum gönnten, Kanzlerkandidatin zu werden. Klaus Wowereit etwa, der mehr Zeit in Talkshows verbringt als in seinem Job als Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER). Auch er macht sich Hoffnungen, bleibt aber angesichts der jüngsten Ereignisse um das Flughafenprojekt erst mal still. Der - in Anlehnung an die 1982er LP der Au Pairs - für Sex, Sinn und Sensualität zuständige Regierende Bürgermeister von Berlin, der als fröhlicher Party-Hengst verschrien ist, ist der Eberhard Diepgen (CDU) der SPD. Er verwaltet die Stadt, der er den unsäglichen Slogan "Arm, aber sexy" oktroyiert hat.
Nicht so der Partei-Veteran Klaus von Dohnanyi (*1928). Der Rechtsausleger der Partei, ehemals Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im Kabinett Willy Brandts und Erster Bürgermeister von Hamburg (1981-88), gibt noch in der mickrigsten Talkshow seinen Senf zur Ausrichtung der Partei ab. Vor der NRW-Landtagswahl 2010 warnte er vor einem Linksbündnis und sah den Untergang der SPD herannahen. Die angebliche "moralische Instanz" der Partei (Der Westen) meinte gar: "Wer in dieser globalisierten Welt die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft untergräbt, gefährdet die Demokratie."
Hannelore Kraft ist sich ihrer Gegner gewahr, zumal ihr die Breitseite des rigorosen Rechtsauslegers und Ex-Wirtschaftsministers Wolfgang Clement vergegenwärtigt bleibt, die sich gegen seine Parteifeindin Andrea Ypsilanti im hessischen Landtagswahlkampf (2008) richtete. Clement riet damals davon ab, die SPD zu wählen, was ihm ein Parteiausschlussverfahren einbrachte. Er bekam nur eine Rüge, was ihm missfiel. Daraufhin trat der Partei-Pharisäer, der schon damals mit der Energiewirtschaft liebäugelte, in der er schließlich eine ökonomische Heimat fand, aus der SPD aus.
Bis zum kommenden Bundesparteitag - spätestens - hat Kraft Zeit, sich durch eine sowohl dem Sozialen als auch der Wirtschaft annehmende Politik für die Kanzlerkandidatennomierung zu empfehlen. Um den Männerblock auszumanövrieren, wird sie den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen dürfen. Sie wird, wenn sie ambitioniert ist, rechtzeitig auf Angriff schalten müssen, zumal sie derzeit und auf Sicht die einzige ist, die Mutti Merkel das Kanzleramt streitig zu machen vermag.
¹ Am Abend des 22. Mai wurde bekannt, dass Lafontaine nicht wieder für den Parteivorsitz kandidiert.
© Simone ten Breck
© GeoWis (2012-05-22)