Frühstückskost für Eilige
Michio Kaku sieht in seinem aktuellen Buch Physics of the Future einmal mehr in die Zukunft. Kaku folgt der Tradition manch früherer Prognostiker und wirkt wie ein neuzeitlicher Seher.
Von Martin Jasper (2012-10-25)
Katapultieren wir uns spaßeshalber zurück ins 19. Jahrhundert, als der Franzose Jules Verne diejenigen, die damals schon des Lesens mächtig waren und sich für das, was auf sie zukommen könnte, interessierten. Sie schüttelten bei Vernes literarischer Science-Fiction (z. B. 20.000 Meilen unter dem Meer, 1874; Reise zum Mittelpunkt der Erde, 1873; Reise um den Mond, 1873; Eine schwimmende Stadt, 1875; Die Stadt unter der Erde, 1878) wohl mit dem Kopf oder gruselten sich.
Verne war phantasiereich und weitsichtig, und was er (be)schrieb, konnte sich kaum ein Leser als bald eintretend vorstellen. Der Terminus Science-Fiction wurde zwar erst 50 Jahre später kreiert (Felix J. Palmer, 1926), aber was Verne zu Papier brachte, gehörte längst hierzu. Als wäre er ein Seher wie Michel de Nostradamus gewesen, oder ein laut katholischer Kirche "Heiliger" wie Thomas Morus, der mit Utopia (1516) die damals wenigen Lesekundigen entzückte und entrückte.
Auf Verne, zu dessen Zeit auch Nathaniel Hawthorne und Edgar Allan Poe reüssierten, folgten viele Autoren, die sich abseits des Höfischen literarisch an dem, was kommen könnte, abarbeiteten, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. H. G. Wells (Die Zeitmaschine; Krieg der Welten), Robert A. Heinlein (Endstation Mond), Arthur C. Clarke (Aufbruch zu den Sternen), George Orwell (Farm der Tiere), Aldous Huxley (Schöne neue Welt).
Später, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde das SciFi-Genre von Autoren wie Ray Bradbury (Die Mars-Chroniken; Der illustrierte Mann; Medizin für Melancholie), Piers Anthony (Chthon oder Der Planet der Verdammten), Roger Zelazny (Straße der Verdammnis), Curt Siodmak (Hausers Gedächtnis), Kit Pedler/Gerry Davis (Die Plastikfresser) und Philip K. Dick (Und die Erde steht still; Träumen Androiden von elektrischen Schafen?) weitergefüllt. Ein Großteil der Werke dieser - und vieler anderer - Autoren wurde verfilmt.
Meist fußten ihre Romane auf purer Vorstellungskraft und den bis dato aktuellen technologischen, wirtschaftlichen und soziologischen Erkenntnissen, sowie auf dem Bösen im Menschen, das sie in die Prosa miteinfließen ließen. So entstanden teils wundersame Geschichten, die sich wie frische Brötchen verkauften.
Michio Kaku, einst auf einem Edward-Teller-Stipendium geritten (Teller gilt als "Vater der Wasserstoffbombe"), ist kein Seher, tut aber zuweilen so. Noch weniger als ein Seher ist er SciFi-Autor oder Romancier, obwohl er seine populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen oft mit Prosa versieht. Das geht konform mit angelsächsischem Stil und geschieht im Dienste des Verkaufs.
Vor 40 Jahren hat der Physiker Kaku in Berkeley promoviert und danach über 20 Jahre gebraucht, um ein rein wissenschaftliches Werk vorzulegen (Quantum Field Theory, 1993). Seit über dreißig Jahren aber erklärt er vor allem in TV-Dokumentationen - quasi als moderner Nostradamus - die Zukunft, gestützt auf das, was andere erfinden. In Deutschland ist er durch den Endlosschleifen-Sender N24 zu einiger Bekanntheit geraten, der manche der Dokus, in denen Kaku zu Wort kommt, eingekauft hat.
In seinem aktuellen Buch Physics of the Future stellt Kaku die kommenden Entwicklungen in der Computer-, Medizin-, Werkstoff-, Energie- und Militärtechnik vor. Empathisch, fast schon preisend und wenig reflektorisch. Das ist - auch - Journalismus. Allerdings, es ist lediglich für jene Leser interessant, die sich bisher noch nicht vorstellen können, was alles möglich ist. In Fachkreisen werden Kakus hippe Zusammenfassungen gern belächelt.
Für alle die Leser, die im Besitz eines aktuellen Smartphones, eines iPaDs oder anderer moderner elektronischer Gebrauchsgegenstände sind, vielleicht auch noch einen PKW mit State-of-the-Art-Technik fahren, regelmäßig im TV Nachrichten schauen oder eine Zeitung (print oder online) lesen, dürften Kakus Visionen des Faktischen nichts Neues beinhalten. Vieles ist wiedergekäutes Blabla von einem, der als TV-Heiland der Physik in den USA gilt.
Kaku stützt sich auf das, was bislang erforscht wurde - sei es in der Physik, der Astronomie oder zum Phänomen, wieso manche Partikel des Universums so klein sind und das Universum so groß ist. Dass er ein Meister der Zusammenfassung ist, lässt sich ihm nur schwer absprechen. Seine Bücher, auch das aktuell vorliegende, sind aber bestensfalls Frühstückskost für Eilige.
© Martin Jasper
© GeoWis (2012-10-25)