Von der Rolle
Deutschlands Politikerkaste bietet ein desaströses Bild. Greift hier die Evolutionstheorie schon so weit, dass unsere Kabarettisten bald arbeitslos wären?
Von Reiner Tiscz (2013-01-11)
In der Politsatiresendung heute show (ZDF) verwendet Anchorman Oliver Welke gerne den Begriff "Vollpfosten", wenn Politiker oder Prominente mal wieder sinnfreie Phrasen von sich gegeben haben. Urban Priol konzentriert sich in seiner Sendung Neues aus der Anstalt (ZDF) häufig auf seine Lieblingsfeinde aus dem Regierungslager. Volker Pispers - oft mit Berufskollegen - seziert regelmäßig auf der Bühne und in den Sendern der ARD das politische Geschehen im Land und ist ein echter Weiterbilder.
Ob Jürgen Beckers Mitternachtsspitzen (WDR), Olaf Schubert (Bühnenprogramm, heute show, Radio), Martina Hill (Knallerfrauen, heute show), Dieter Nuhr (alles und überall) oder Didi Jünemann (Frühstückspause mit Becker im WDR 2 Radio) - sie alle und noch viele mehr leben mehr oder weniger von der desolaten Darbietung der politischen Kaste. Häme, Verhöhnung, beißende Kritik schlägt den amtlichen Politdarstellern entgegen.
Das ist insofern bemerkenswert, als unsere Mandatsträger, vor allem die mit einem Amt bedachten, als MinisterInnen, Landesmütter und -väter, längst so viel Realsatire- und Kleinkunstformat bieten, dass es Kabarettisten und Satiriker beinahe Sorgen bereiten müsste, greifen die mit Besoldungs- und Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes ausgestatteten Politikdarsteller doch massiv ins die Sujets der selbständigen Unterhaltungskünstler ein.
Wenn das so weitergeht, muss man sich fragen, warum man noch teuer Geld für eine Eintrittskarte zahlen soll? Weshalb seine Zeit vorm Fernseher verschwenden? Wieso sich die Titanic oder den Eulenspiegel kaufen, wenn doch Politikerauftritte in den Nachrichtensendungen oder in Talkshows so viel Lachhaftes anbieten, dass man sich Gedanken darüber machen muss, ob die Krankenkasse die Kosten für die Operation eines geplatzten Zwerchfells übernähme?
Unsere Politiker sind von der Rolle. Seit Antritt der CDU/CSU/FDP-Regierung (2009) sind die politischen Sitten, die seit Gründung der Bundesrepublik - wie anderswo auch - einem permanenten Evolutionsprozess unterliegen, ins Absurde abgedriftet. Seit Mitte der 1970er Jahre macht die deutsche Politik sogar einen Degenerationsprozess durch; und seit der Wiedervereinigung (1990) befindet sich die Politik in einem Simulationsprozess, der völlig ins Irrationale abgedriftet ist, also ins Bekloppte.
Dazu hat auch die 1998 in die Regierung gewählte Melange aus SPD/Grünen/Bündnis 90 beigetragen. Zwar hat sie - anders als die 16 Jahre amtierende Vorgängerregierung Kohl - nicht den Anspruch geistig-moralischer Erneuerung gehabt, weil sie offenbar Kohls Verblödungspolitik nicht toppen konnte; aber sie hat - aufbauend auf der Kohlschen Verblödungspolitik - dafür gesorgt, dass Unterschicht doch bitteschön Unterschicht bleibe, die aufstrebende und tatsächliche Mittelschicht eingeschränkt wird und signifikante Kapitalbesitzer jetzt mal durchstarten dürfen.
Unter Gazprom-Kanzler-Schröder (SPD) und dessen Vize, Weiberheld Joschka Fischer (Grüne), wurde Basta-Politik gemacht, dass einem Ex-Kanzler Kohl in Nachbetrachtung als Sozialist vorkommen muss. Als die SPD Nordrhein-Westfalens im Frühjahr 2005 die Quittung für die Schröder-Fischer-Hartz-Agenda 2010 bekam, indem sie die Landtagswahl verlor, schmiss der Brioni-Kanzler hin und dehnte Artikel 68 Grundgesetz aufs Äußerste. Was kümmert es den Schaf- oder Ziegenhirten, wenn die Herden blöken oder Mäh von sich geben. Hauptsache sie fressen Gras und koten regelmäßig auf die Wiese. Blök, Mäh, Rabäh.
Auf den Exkrementen der Nutztiere erwuchsen Neuwahlen, die die heutige Kanzlerin, "Kohls Mädchen", an die Macht schwemmten, auch, weil der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, zuvor Schröders Kanzleramtsminister, keine Traute (Titan Oliver Kahn würde sagen: "Keine Eier") hatte, fulminant und mit sozialdemokratischer Vehemenz Wahlkampf zu machen. Steinmeier, ein traditionsloser technokratischer Geselle, der qua Gehabe und Duckmäusertum in jedem Land der Erde Karriere hätte machen könmnen, spielte dann unter Merkel so lange den Juniorpartner, bis die pfiffige Ostbraut in der Lage war, allein zu regieren. Was ihr mit der FDP seit 2009 beschieden ist.
11,83 Millionen hatten für die CDU gestimmt, 9,99 Millionen für die SPD. Die FDP verzeichnete mit 6,32 Millionen Stimmen das beste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik; die Linke kam auf 5,12 Millionen (auch Rekord), die Grünen verbuchten 4,64, die CSU immerhin noch 2,83, und die Piraten konnten 0,85 Millionen Wählerstimmen einheimsen. Als Sieger wurden die Freidemokraten in den Medien gefeiert.
Die schnappten dann schnell über und arbeiteten ihren Klientel-Katalog ab. Kaum hatten sie der Eisdielenkette Mövenpick und Hotelbetreibern Steuererleichterungen in den Kalkstein gemeißelt, fielen sie in der Wählergunst. Von 14,6% zur Wahl 2009 sackten die vermeintlichen Liberalen wenige Monate später erst auf 10% ab, dann erlebten sie Tiefpunkte in Bremen (2,4%), Meck-Pomm (2,7%), Berlin (1,8%) und im Saarland (1,2%).
Bundespolitisch ging es auch weiter nach unten. Plötzlich lag die Partei unter 5%, was es seit 1949 nicht gegeben hatte. Köpfe rollten hie und da. Parteichef Guido Westerwelle, derzeitiger Außenminister und zu Koalitionsbeginn Parteichef und Vize-Kanzler, wurde abserviert. Für ihn kam mit Philipp Rösler neudeutsche Infantilität an die Parteispitze.
Zunächst war Rösler Gesundheitsminister (Nachfolger: Bahr), dann wurde er Wirtschaftsminister, Vize-Kanzler und Parteichef. Längst ist er die Witzfigur seiner Partei, völlig mit seinen Aufgaben überfordert und - merrkt nichts. Die FDP sank immer tiefer, bis gut unter fünf Prozent, kratzte nach zwischenzeitlichen Hochs wieder an der Fünfprozenthürde und krebst aktuellen Umfragen zufolge um zwei Prozent. Wenn einem Satiriker oder Kabarettisten dazu noch was einfiele: Hut ab!
Immerhin kümmert sich die FDP um ihren einzigen noch aus der guten alten Zeit verblieben Granden, Ex- und Rekord-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, ein wahrer Elder Statesman, der so viel politischen Dreck am Stecken hat, dass Kotzen darüber noch zu den erträglichen subjektiven Unannehmlichkeiten zählte. Das Gehabe um so genannte verdiente Partei-Heroen hat sich die FDP von der SPD abgeschaut, die allerdings ihren qualmenden Oberhirten Helmut Schmidt seit einigen Jahrenderart vergöttert - im Verbund mit der Hamburger Medienszene, dass man sich fragen darf, ob sie ihn totlieben möchte.
Unter der CDU/CSU/FDP-Regierung wurden erstmals auch die akademischen Meriten einiger Politiker entlarvend thematisiert. Vor allem deren Doktorarbeiten gerieten durch fleißige Plagiatsjäger ins Gerede. Silvana Koch-Mehrin (FDP), Jorgo Chatzimakakis (FDP) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verloren ihren Titel. Der von Bundesbildungsministerin Schavan steht auf dem Prüfstand. Urban Priol fasste manche dieser Fehlleistungen so zusammen: „Man kann gar nicht so viel fressen wie man kotzen möchte.“
Mutti Merkel, die gerne in Hitlerscher oder Obamascher Manier (You name it!) lächelnd den Arm zum Gruße erhebt, und ihre Partei scheinen von all den Unfähigkeiten ihrer politischen Kontrahenten nur zu profitieren. Gut so. Deutschland braucht Muttis. Allerdings frische. Junge Frauen, die sich füllen lassen oder so. Darf man doch sagen, oder?
Die eigene Unfähigkeit von Mutti Merkel, kinderlos, rückt in den Hintergrund. Euro-Krise? Gemeistert. Uns geht’s gut. Was kümmern uns die anderen? Souveränitätstransfer an die EU-Mafia? Haben wir doch im "Grüff". Investitionspolitik? Was soll das denn bedeuten!? Wir müssen sparen! Astronomie? Wenn der Wolf den Mond anheult, ist das noch lange kein Lied. Wir Deutschen singen da nicht mit. Und überhaupt: Gibt es entsprechende Notenblätter?
Merkels politische Nano-Haut macht es politischen Kontrahenten und Kritikern schwer. Allen voran dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der als Lehrling in Sachen sozialdemokratischer Basisthemen bislang ein Totalversager ist. Ob er überhaupt die Zwischenprüfung schafft, ist fraglich. Der SPD-Kanzlerkandidat, der sich redlich bemüht, den nur in Vietnam gefeierten FDP-Chef Rösler mit norddeutscher Chuzpe zu unterbieten, ist keine wirkliche Konkurrenz mehr für Merkel.
Warum nicht? Steinbrück kann Satire nicht. Fischkopp versteht er. Goldfisch auch. Aber alles andere müsste er sich anarbeiten und verstünde es womöglich doch nicht. Was die SPD-Spitze und deren Basis zwar wissen, aber bislang nichts daran ändern wollen. Nominiert ist nominiert. Gemeinsam sind sie stark, gemeinsam gehen sie unter. Glaubt man aktuellen Umfragen, wählten 25% die Arbeiterverräter. Gemeinsam ... Scheiß auf Deutschland! Wir haben es versucht. Stellt sich die Frage: Warum hat die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufgestellt?
Das, was die Sozialdemokraten einst auszeichnete - ihre Überzeugung vom Sozialstaat -, ist spätestens unter der Regie des Ab-Kanzlers Gerd Schröder den Bach hinabgeflossen. Wie das Blut all jener Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten, die vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für eine bessere und gerechtere Welt kämpften und starben. Schröder hat lediglich am Einlasszaun des ehemaligen Kanzleramtssitzes in Bonn gerüttelt. Super-heroisch!
Nur langsam scheint die SPD aus den Puschen zu kommen. Aber ist da die familiäre Leidensgeschichte des jungen Gabriel etwa das adäquate Mittel? Oder das Gequatsche eines Peer Steinbrück für teuer Geld? Das stallgeruchslose wie sedative Blabla eines Steinmeiers? Das verbale Gehaspel einer Andrea Nahles? Weia, was ist nur aus den Sozialdemokraten geworden? In diesem Jahr wird die SPD 150 Jahre alt. Wenn sie dann wieder Lasalle, Bebel und Brandt herauskramten, dürfte gute Unterhaltung gesichert sein.
Für Negativschlagzeilen sorgt auch der Regierende OB von Berlin, Klaus Wowereit. Der Salonlöwe, als Aufsichtsratsvorsitzender der BER-Flughafengesellschaft jämmerlich gescheitert und vorgestern zurückgetreten, klebt am Stuhl, weshalb er von der Linken folgerichtig als Pattex-OB verhöhnt wird.Der gehorsame Parteisoldat Matthias Platzeck, genauso unfähig, rückt an Wowereits Stelle. In gut vier Jahren, so die Prognosen von Fachleuten, soll der BER-Airport dann betriebsfertig sein.
Was zeigt das? Sozialdemokraten verstehen von Großprojekten genauso wenig wie Christdemokraten. Allerdings: Von der Organisation von Parteitagen verstehen sie viel. Da klappt alles. Die Groß-Displays sind rechtzeitig fertig montiert, fürs Catering ist gesorgt und, klar, die Verteilung von Redezeiten ist auch korrekt durchgeplant.
Das Sozialdemokratische wird, wenn überhaupt, bestenfalls noch von Angela Merkels CDU verkörpert. Der Polit-Kabarettist Georg Schramm (alias Dombrowski) zitiert in diesem Kontext in seinem 2007 erschienenen Buch Lassen Sie es mich so sagen ... den alten Bismarck: "Die soziale Frage lässt alle Regierungen schaudern (…). Um Sozialisten und Sozialdemokraten zu bekämpfen, muss man den berechtigten Teil ihrer Forderungen erfüllen."
Angela Merkel macht allerdings nur das Nötigste. Schramm hätte ergänzen können: Wenn die Beliebtheitsskala einer amtierenden Kanzlerin/eines Kanzlers in Bezug auf ihre/seine desolate Sozialpolitik für sie/ihn statt nach unten nach oben zeigt, wäre ein Großteil des Volkes reif für die Klapse.
Kann gut sein, dass wir ein Volk von Bekloppten sind. Vorsichtshalber sollten wir uns daher mit Äußerungen über andere Völkern zurückhalten. Was aber nicht schaden könnte, ist, dass zur Bundestagswahl 2013 auch mal bei uns internationale Wahlbeobachter einschwebten. Nur um zu sehen, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht. Vielleicht sollten sie bei den Meinungsforschungsinstituten beginnen.
© Reiner Tiscz
© GeoWis (2013-01-11)