Damenwitz
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle soll einer Stern-Journalistin zu nahegekommen sein. Die schreibt ein Jahr später darüber und gerät selbst in die Kritik.
Von Jochen Henke (2013-01-24)
Am Abend vor dem FDP-Dreikönigstreffen 2012 an der Bar der Stuttgarter Luxusherberge Maritim soll Rainer Brüderle der Stern-Journalistin Laura Himmelreich, damals 28, anzügliche Avancen gemacht haben, nachdem sie ihn mit der Frage konfrontiert hatte, wie es für ihn sei, im fortgeschrittenen Alter als Hoffnungsträger seiner Partei zu gelten?
Brüderle habe einen "Blick auf ihren Busen" geworfen und gesagt, sie könne "ein Dirndl auch ausfüllen"; er habe ihre Hand genommen und diese geküsst, woraufhin Himmelreich die bahnbrechende Feststellung gemacht haben will: "Herr Brüderle, Sie sind Politiker, ich bin Journalistin." Brüderle soll gesagt haben: "Politiker verfallen doch alle Journalistinnen." Die Journalistin konterte: "Ich finde es besser, wir halten das hier professionell." Spötter könnten geneigt sein, diesen Satz mehrdeutig auszulegen.
Himmelreich schreibt über die Bar-Begegnung mit Brüderle im aktuellen Stern (24.01.2013) unter dem Titel "Der Herrenwitz". Die Online-Ausgaben von Spiegel, Welt, SZ und anderen haben gestern darüber vorab berichtet, die des Sterns titelte "Der spitze Kandidat". Erneut tritt der deutsche Medien-Mainstream somit eine Sexismus-Debatte los. Vor einigen Monaten war es Spiegel-Reporterin Annett Meiritz, die sich von Piraten angemacht fühlte. Meiritz hatte immerhin zeitnah nach den Begebenheiten geschrieben.
Himmelreich brauchte ein Jahr, um der Öffentlichkeit Brüderles offenbar chauvinistische Attitüden mitzuteilen. Zur Begründung twitterte sie gestern Nachmittag, "eine Geschichte über das 'neue Gesicht' der FDP habe nun eine andere Relevanz."
Hat sie überhaupt Relevanz? Zumindest sagt sie viel über die Unprofessionalität und Naivität der Journalistin aus. Schon die Fragestellung an Brüderle würde jedem Erstsemester wegen Belanglosigkeit eine schlechte Note einbringen. Unprofessionell ist auch, sich abends in Hotelbars herumzutreiben, um Politikern Fragen zu stellen. Man weiß, da wird gerne einer über den Durst getrunken.
Die oft hierfür herhaltende Argumentation, die Atmosphäre sei entspannter und man könne von Politikern mehr als bei offiziellen Gesprächsterminen erfahren, mag auf einige erfahrene JournalistInnen zutreffen, obwohl auch dann nicht von Professionalität gesprochen werden kann. Politiker nutzen eine derartige Vertrautheit gerne, um Interna auszuplaudern und machen sich Journalisten zu Komplizen. Hinterher liest es sich dann etwa so: "Wie aus Kreisen des Parteivorstands zu hören war, gibt SPD/FDP/CDU/CSU/Grüne/Linke/Piraten-Chef XYZ ...". Setzen! Sechs!
Dass ausgerechnet eine Journalistin der Illustrierten Stern, deren Print- wie Online-Ausgabe häufig Schlüpfriges darbietet, im mutmaßlichen Brüderle’schen Chauvinismus Story-Gehalt sieht und die Chefredaktion den Tratsch durchgehen lässt, ist ein journalistisches Armutszeugnis, zumal sich Himmelreich spätestens nach dem Dirndl-Spruch aus der Bar hätte entfernen müssen. Das wäre professionelles journalistisches Verhalten gewesen.
© Jochen Henke
© GeoWis (2013-01-24)