Alles da.
Das französische Unternehmen Carrefour ist der Platzhirsch europäischer Super- und Hypermärkte in China. So auch in Chongqing.
Von Uwe Goerlitz und Hao Feng (2013-01-29)
Seit 1995 ist die französische Carrefour-Gruppe in China vertreten. Sie hat zunächst zaghaft in Shanghai begonnen, viel Lehrgeld bezahlt und schnell gelernt, was Chinesen im Allgemeinen für ein Angebot in Supermärkten erwarten und welche Produkte im Besonderen, vor allem im Lebensmittelbereich.
Gerade der chinesische Markt gilt für europäische Supermarkt-Unternehmen als schwierig. Zwar klingt ein potenzieller Markt von mehr als einer halben Milliarde von in Großstädten lebenden Konsumenten verlockend, doch wer regionale Unterschiede in der Erwartungshaltung der chinesischen Verbraucher nicht hinreichend berücksichtigt, hat es schwer.
Die zurzeit größten ausländischen Wettbewerber zu Carrefour (Marktanteil 2011: 9,8%) sind das US-amerikanische Unternehmen Wal-Mart (Marktanteil 2011: 11,2%), das zum Jahresschluss 2012 mit 225 Märkten in China aufwartete, und die französische Auchan-Gruppe, die Ende 2012 direkt 43 Märkte unterhielt und im Joint-Venture mit der taiwanischen Ruentex Group weitere 154. Die britische Tesco-Group, die seit 2004 am Marktgeschehen in China teilnimmt, unterhielt zum Jahresschluss 2012 immerhin 124 Märkte, darunter auch solche, die Drogerie-Produkte im Fokus haben.
Aus deutscher bzw. DACH-Sicht sind weder Aldi-Nord oder Aldi-Süd noch die mächtige Schwarz-Gruppe (Kaufland, Lidl) in China im Wettbewerb. Indes, die Metro-Gruppe, die 1996 in Shanghai startete und Ende 2012 mit 64 Großmärkten aufwartete. Zwölf Großmärkte wurden allein in 2012 eröffnet. Mit einem Umsatz von 1,9 Milliarden Euro (2011) konnte die Gruppe ihren Vorjahresumsatz um gut 18% steigern.
Anders als Wal-Mart, Auchan, Tesco oder Carrefour verfolgen die Düsseldorfer ihr Geschäftsprinzip, nur an gewerbliche Kunden zu verkaufen. Insofern bewegen sie sich in einer lukrativen, ausbaufähigen Nische, zumal sie in den wichtigsten Großstädten Chinas vertreten sind, auch in Chongqing, und mit Verkaufsflächen aufwarten, die an die Carrefours heranreichen. Laut Unternehmensangaben betragen sie zwischen 6500 und 7000 qm.
Seit 2007 gilt für Carrefour die Marschrichtung, jährlich zwischen 20 bis 25 Filialen in China zu eröffnen. Geschuldet ist diese Expansionspolitik auch dem ärgsten Konkurrenten Wal Mart.
Inzwischen besteht ein Netz von 220 Super- und Hypermärkten (zuzüglich zirka 60 auf der Insel Taiwan. Stand: 31.12.2012). Carrefour ist in den meisten großstädtischen Regionen Chinas vertreten und führt in nahezu allen Metropolen mindestens ein Haus. In Shanghai waren es Ende 2012 insgesamt 25, in Beijing 18, in Chengdu (Provinz Sichuan) 13 und in Chongqing Urban Area sechs.
Prominent sind die Franzosen auch in Changzhou, Nanjing, Liyang und Jiangyin (Provinz Jiangsu), in Kunming (Provinz Yunnan), Suzhou (Provinz Anhui), Hangzhou (Provinz Zhejiang) und in eher abgelegenen Regionen wie Bayuquan (Stadt Yingkou, Provinz Liaoning).
Im Durchschnitt haben Carrefours Supermärkte eine Verkaufsfläche von 8.000 Quadratmetern. Der mit 11090 qm bislang größte ihrer Supermärkte wurde im Juni vergangenen Jahres in Shenyang (Provinz Liaoning) eröffnet. Laut Unternehmensangaben weist er eine Batterie von 44 Kassen auf, die größte Kassenanzahl aller Carrefour-Märkte in China, und bietet 1500 Parkplätze an. Auch das ein Rekord.
In Chongqing eröffneten die Franzosen ihren ersten Supermarkt 2006. Mit ihrem in Yangjiaping, Distrikt Jiulongpo, in der Fußgängerzone ansässigen Lebensmitteltempel betreiben sie im Flachgeschoss über 7.000 qm Verkaufsfläche und haben noch 25.000 qm Nutzungsfläche in der Hinterhand. Das sind rein flächenmäßig Hausnummern, an die große deutsche Supermärkte kaum heranreichen.
Die enge Innenstadtlage und die Präferenzen des weiteren Einzelhandels gestehen dem Supermarkt allerdings nur rund 300 Parkplätze zu. Was nicht weiter tragisch ist, denn die meisten Kunden kommen zu Fuß oder nutzen die Infrastruktur des öffentlichen Personennahverkehrs - Bus und die ungleich schnellere Hochbahn.
Auf den schmalen Geldbeutel sind die Carrefour-Märkte meist nicht ausgerichtet, was sich beispielsweise an so einfachen Produkten wie Rosinen erkennen lässt. 220 Gramm grüne kosten (in Chongqing) etwa 0,75 €, schwarze 1,25 € (Stand: Januar 2013). Das sind sechs bis zehn Renminbi und beileibe nicht wenig.
In chinesischen Supermärkten, die längst nicht derartige Verkaufsflächen aufweisen, kosten die Rosinen bestenfalls die Hälfte. In den Tante-Emma-Läden im Straßenviertel noch weitaus weniger. Der Preis für Rosinen ist übertragbar auf die meisten anderen Lebensmittel. Wer, zum Beispiel, 100 Euro im Monat verdient, gibt im Normalfall nicht ein Prozent davon für Rosinen oder anderes Essbares aus.
Carrefour zielt mit seinem Angebot auf die Mittelschicht und in diese aufstrebende Schichten ab und hat sich bezüglich seines Sortiments wie auch typischer Einkaufsweisen auf sie eingerichtet.
Das Angebot ist schier riesig und hält zudem hochpreisige europäische Produkte vor, vorzugsweise dann französische oder international etablierte Marken.
Etwa Spirituosen, die man beispielsweise in Deutschland nur in den Lebensmittelabteilungen exklusiver Kaufhäuser, in Feinkostläden, im einschlägigen Wein- und Spirituoseneinzelhandel oder in Metro-Großmärkten bekommt.
200 Euro für eine Flasche Cognac oder Whiskey sind sicherlich nicht die Kategorie, in der sich die Massen unterwegs sehen. Carrefour hat so etwas - wie auch geräucherte Schweineköpfe - im Sortiment und lockt dadurch auch Kunden aus Oberschicht-Milieus in seine Läden.
Es scheint darüber hinaus, als herrsche eine große Anziehungskraft an dieser Art Supermarkt; als bestätige sich auch in China das, was seit Jahrzehnten in Europa evident ist: Selbst wer wenig Geld hat, geht hinein und kauft irgendetwas. Die Masse macht's. Man kann das in Deutschland ebenso beobachten, etwa bei Burger-Ketten. Obwohl mitunter in Restaurants das Essen preiswerter ist, und es zu Hause zuzubereiten sowieso, laben sich einkommensschwache Schichten gerne am teuren Industriefraß.
Die Carrefour-Märkte haben allerdings etwas, was die chinesischen Supermärkte ihren Kunden bislang oftmals nicht oder nur marginal bieten können: Erlebnischarakter. Ein Spaziergang durch einen dieser Märkte stellt es dem unvoreingenommenen Betrachter unmittelbar unter Beweis.
Weitläufig, mit offenbar unerschöpflichem Angebot, die ganze Bandbreite den chinesischen Gaumen und Magen gewohnter und erquickender Spezialitäten. Alles im Superlativ.
Gewürze, Seetang, Algen - frisch, getrocknet, lose oder verpackt; jede Art von Fleisch ebenso. Es wird Hirn verschiedener animalischer Gattungen angeboten; geplättetes Blut, das aussieht wie Schweineleber; Hühner-, Gänse- oder sonstige Geflügelfüße und -schenkel; unzählige Sorten von Sesam; sämtliche beste Sorten an Reis in großen Schöpfkästen, aus denen der Kunde mittels einer Schüssel eine Kunststofftüte füllt und sie dann - wie uns bei Obst und Gemüse hinlänglich bekannt - abwiegt.
Wie auch in chinesischen Supermärkten beherzigt Carrefour das Prinzip der Frische. Was nicht mehr lebt, kann nicht frisch sein. In Aquarien und Becken schwimmen Fische und andere Meeresfrüchte aus regionalen Fanggebieten und aus Chinas Meeresregionen. Vor Publikum werden sie herausgefischt, in Gänze verkauft, verkaufsgerecht filetiert oder anderweitig behandelt. Berge von Eis und entsprechende Temperaturen herrschen in den Frischfischabteilungen Carrefours vor.
Kaum anders verhält es sich bei Fleisch. Zwar werden weder Schwein noch Rind oder andere fleischgebende Tiere im Supermarkt lebend vorgehalten, doch vor den Augen der Kunden werden massige Anteile der zuvor getöteten Tiere direkt verarbeitet.
Man hat nicht den Eindruck, dass sie gerade aus den Kühlkammern geholt wurden. Eher weisen die zur Kleinteilung und zum Verkauf gereichten Fleischteile just-in-time-Charakter auf.
Carrefour hat erkannt, was chinesische Verbraucher mögen wollen, sobald sie es sich leisten können. Die volle Bandbreite an psychologischen Verkaufstricks inbegriffen. Banalstes Beispiel: Organgensaft. 100 Prozent aus Orangen gepresst oder 100 Prozent aus Orangensaftkonzentrat bestehend? Für Chinesen bedeutet Orangensaft, dass er aus 100 Prozent gepressten Orangen besteht. Carrefour allerdings führt auch die verwässerte europäische Variante im Sortiment.
Das vom Südwesten von Paris aus, Boulogne-Billancourt, international operierende Unternehmen mit weltweit inzwischen rund 420.000 Mitarbeitern in 33 Ländern und zirka 9800 Läden, darunter 1452 Hypermärkten (Hypermarchées) und 3000 Supermärkten - die restlichen gut 5400 sind Magazine, also kleinere Läden -, hat in China längst ein Standing, das so schnell von branchenspezifischen Wettbewerbern aus Europa nicht eingeholt werden kann.
86,6 Milliarden Euro betrug der weltweite Umsatz des Lebensmittelkonzerns gemäß Geschäftsbericht im Jahr 2012. Mehr als ein Fünftel generierte er in China. Thierry Garnier ist für das China-Geschäft (inklusive Taiwan) zuständig. Folgt man den Geschäftsberichten, macht der Mann einen sehr guten Job.
Vorschnelle Kritiker könnten meinen, Carrefour kolonialisiere auf subtile Weise den Lebensmittelmarkt in China und somit in Konsequenz auch das Ernährungsverhalten der Chinesen. Dass das kaum zu befürchten ist, zeigt das Angebot Carrefours. Überwöge das Europäische, wäre Carrefour in China recht bald am Ende.
In Chongqing, wie auch in allen anderen chinesischen Filialen Carrefours, wird das Angebot der Franzosen geschätzt. Es ist ein Zusatzangebot zu dem, was von chinesischer Seite dargeboten wird. Ein Angebot in illuminierten Räumlichkeiten mit Aha-Effekt. Es ist, das muss man sagen, auch eine Herausforderung für chinesische Supermarktketten, die den Erlebnisfaktor in ihren Lebensmittelmärkten bislang vernachlässigt haben.
© Uwe Goerlitz; Hao Feng
© GeoWis (2013-01-29)
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