Im Bann von Schwarzgelb
Redakteure der Westfälischen Rundschau, deren Dortmunder Redaktion jüngst aufgelöst wurde, haben mit Gelbfieber ein Buch vorgelegt, das die Bedeutung des BVBs für Dortmund und sein Einzugsgebiet auf höchst lesenswerte Weise darstellt.
Von Roman Siertes (2013-02-26)
In Deutschland befindet sich Dortmunds Signal-Iduna-Park (früher: Westfalenstadion) mit 80.645 Plätzen (davon 15.055 zum Stehen auf der Süd) an Nummer eins, in Europa auf Platz fünf und weltweit auf Rang zehn der größten Fußballstadien ohne Laufbahn. Da das Stadion bei Spielen des BVB meist ausverkauft ist, rangiert es in Europa vor Barcelonas Camp Nou (99.354 Plätze) und Londons Wembley (90.000 Plätze) auf Rang eins. Die britische Times hat es im vergangenen Jahr zur globalen Nummer eins erkoren.
Das reicht zwar nicht, um den emotionsbehafteten Titel "Fußballhauptstadt" angeheftet zu bekommen, ist dem aber nicht abträglich. Im vorliegenden Buch, das Schulatlasformat hat, liefern die Autoren, Gastautoren und Interview-Partner die Höhen und Tiefen Borussia Dortmunds und ordnen den Stellenwert ein, den dieser Verein in Stadt, Region und längst auch im ganzen Land hat.
Zu dem trugen zweifellos bisher acht Meisterschalen, drei DFB-Pokale, ein Europapokal der Pokalsieger, eine Champions-League-Trophäe und ein Weltpokal bei, doch genauso wichtig sind eine Reihe von zweiten und dritten Plätzen in der Meisterschaft, manch verlorenes Finale oder Halbfinale auf europäischer Ebene, Ab- und Aufstiegskampf und legendäre Spiele wie das 5:2 im Pokal (2012) gegen den FC Bayern München zum gelebten Mythos BVB.
Für Dortmunds Oberbürgermeister Ulli Sierau etwa sei das zweite Relegationsspiel gegen Fortuna Köln am 17. Mai 1986 ein "unvergleichliches Ereignis" gewesen, wie er im Interview sagt. Der BVB gewann mit 3:1. Aki Schmidt erinnert sich an das Endspiel um die Meisterschale gegen den VfR Mannheim (1949), das vor mehr als 90.000 Zuschauern im damaligen Neckarstadion ausgetragen wurde und als Hitzeschlacht von Stuttgart in die Annalen einging. Schmidt habe es am Radio verfolgt und nach dem 3:2-Sieg der Mannheimer (nach Verlängerung) "ordentlich geheult."
Deutschlands erfolgreichste Sprinterin, Annegret Richter, Dortmunderin und BVB-Fan, kommt zu Wort; DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (Fan von Fortuna Düsseldorf) berichtet von seiner ersten Begegnung mit dem BVB, und Signal-Iduna-Vorstandschef Reinhold Schulte erinnert sich ans Rückspiel des Europapokals der Landesmeister gegen Benfica Lissabon (1963): "5:0 wurden die Portugiesen nach Hause geschickt (…). Das war wie ein Rausch."
In den 1970ern und 1980ern war die große Ernüchterungsphase des BVB eingetreten, die erst zu Ende ging, nachdem man zur Saison 1991/92 den 1972 zur deutschen Olympiaauswahl (als Spieler) und Jahre später in der Schweiz zum Klassetrainer avancierten Ottmar Hitzfeld verpflichtet hatte. Der Mann, den nur Fachleute kannten, schlug ein und bescherte dem BVB überwiegend traumhafte 1990er und einen Fußballgott namens Jürgen Kohler.
Eine ähnliche, finanziell bisher risikolosere Ära ist mit der 2008 erfolgten Verpflichtung von Jürgen Klopp als Trainer begonnen worden. Zwei Schalen und ein Pokal, dabei erstmals in der Vereinsgeschichte das Double (2012), untermauern das.
Der Titel "Fußballhauptstadt", der ausdrückt, dass nirgendwo im Land Fußball so gelebt werde und bedeutungsvoll erscheine wie in Dortmund und ein Großteil der Bevölkerung der Westfalenmetropole nebst Einzugsgebiet die Zeit zwischen Saisonende und -anfang als die langweiligste des Jahres versteht, erhält 2014 auch von offizieller Seite seine Berechtigung. Dann soll das DFB-Fußballmuseum am Königswall gegenüber des Hauptbahnhofs eröffnet werden.
Dortmund hatte sich schon zur WM 1974, für die das Westfalenstadion gebaut und mit einer 3:0-Niederlage gegen Schalke eingeweiht worden war, als erstklassiger Gastgeber präsentiert. Zaire (heute: Kongo), Bulgarien, Brasilien, Schweden, Uruguay waren zu Gast, und die Niederländer, die drei Spiele hier austrugen und gewannen.
Damals lagen die Fußballanhänger noch nicht im Stadtgarten übereinander oder zelebrierten inoffizielle Weltjugendtage überall in der Stadt wie während der WM 2006, als die tanz- und feierfreudigen Fans aus Trinidad, Brasilien, Ghana, Togo, Schweden, der Schweiz, Polen, Italien, Japan und - klar - Dortmund und dem Rest der Republik ihre Mannschaften im Stadion, auf dem Friedensplatz oder in Kneipen und Restaurants anfeuerten und Party machten. Es war vielleicht die entscheidende Qualifikation für den Titel "Fußballhauptstadt".
Dank des BVBs ist Dortmund auf der internationalen Fußballlandkarte und darüber hinaus bekannt. Hätte die Stadt nicht diesen Verein, müsste sie enorm viel Geld in die Hand nehmen, um diesen Bekanntheitsgrad zu erwirken und zu halten. Für Stadt und Region ist der BVB so betrachtet geradezu ein Glücksfall, für die Bundesliga ebenso, ist dem Rekordmeister und -pokalsieger Bayern München doch ein dauerhafter Rivale am Platz.
Den Autoren ist es neben dem Zusammentragen von Fakten gelungen, ein auch textuell emotionales Geschichtsbuch über den BVB und seine bis in die Gegenwart gewachsene Einbettung in Stadt und Region abzuliefern, das seinesgleichen sucht. Angereichert mit reichlich Bildmaterial. Dennoch ist das Buch kein Bildatlas, denn die Textbeiträge sind es, die Anziehungskraft besitzen.
Es ist ein Buch, das so nicht aus der Marketing-Abteilung des BVBs hätte entstehen können, obwohl es eine Fülle an Huldigungen enthält. Das Verdienst der Autoren ist es, letztlich eine sozialgeschichtliche Dimension zwischen dem Fußballverein BVB, der Stadt und seiner Bevölkerung beschrieben zu haben. Dass in der Gesamtschau Dortmund Deutschlands Fußballhauptstadt ist, verdeutlicht das Imperfekt im Buchtitel.
© Roman Siertes
© GeoWis (2013-02-26)
Nils Hotze (Hg.): Gelbfieber - Wie Dortmund Fußballhauptstadt wurde. Gebundene Ausgabe, 160 S., zahlreiche farbige Abb.; ISBN 978-3-8375-0837-6, Klartext Verlag, Essen, 2012.