Der Reißleinenmann
Der mächtig ins Gerede gekommene Aufsichtsratschef des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER), Matthias Platzeck, beruft Hartmut Mehdorn als neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung. Das könnte gut gehen.
Von Martin Jasper (2013-03-08)
Renate Künast (Die Grünen/Bündnis 90) zeigte sich "entsetzt" über die Personalie; FDP-Generalsekretär Patrick Döring bescheinigt Mehdorn zwar Führungsstärke, ist aber skeptisch, ob er auch "Führung im Detail" vermöge, und der Ansicht, dass "er allein" das Projekt nicht retten könne, wie er dem Tagesspiegel sagte.
Die Verpflichtung Mehrdorns, der mehr als 30 Jahre in der Luftfahrtbranche tätig war (VFW, MBB, DASA, Airbus), bevor er Bahn-Chef und danach Vorstandsvorsitzender von Air Berlin wurde, klingt eher nach Hoffnung als nach Aufbruch.
Der Mann gilt als beratungsresistenter Dickschädel, als kampflustig, wenn er es mit Gewerkschaften zu tun hat, als rücksichtsloser Sanierer und bundesweiter Kläger.
Legendär sind seine Auseinandersetzungen mit dem einstigen Lokführergewerkschaftschef Manfred Schell und sein Auftritt in der Talkshow Anne Will. Da befand er sich bereits im Rentenalter, ließ seine Vitalität und seinen Scharfsinn hingegen deutlich durchblicken und die Moderatorin nicht allzu gut aussehen.
Offenbar ist er zurzeit der einzige deutsche Top-Manager, der für die vergleichsweise schlecht vergütete, dazu schwierige Aufgabe anzutreten bereit war. Sein Vorteil liegt dabei nicht etwa in seinem Ruf, ein "harter Hund" zu sein, sondern in seiner Erfahrung als Bahnchef, sich mit den diffizilen Strukturen der Politik und der volatilen Gemengelage deren Protagonisten und Entscheidern auszukennen.
Als er 1999 den Chefsessel der Bahn übernahm, befand sich das Unternehmen in einer seit 1993 chaotisch eingeleiteten Pseudo-Privatisierungsphase, die der ehemalige AEG-Chef Heinz Dürr und Mehdorns Vorgänger, der Politiker Johannes Ludewig, zu meistern versuchten. Zudem lag das Image des ICE nach dem bis dahin in Deutschland beispiellosen Unfall in Eschede (1998) am Boden. Das der Bahn ebenso, weil sie sich jahrelang, dann unter Mehdorn, gewunden hatte, ordentliche Entschädigungen für die Opfer zu zahlen.
Unter Mehdorn gab es harte Sparzwänge, eine Bespitzelungs- und Datenschutzaffäre bei der Bahn, die zu staatsanwaltlichen Ermittlungen geführt hatte, und unter ihm begann das Projekt Stuttgart 21 aus dem Ruder zu laufen.
Andererseits hat der Mann fürs Grobe die jahrzehntelang defizitäre Bahn in die Gewinnzone geführt, von der sein ehemaliger Büroleiter Rüdiger Grube als heutiger Bahnchef profitiert, und den neuen Hauptstadtbahnhof zügig erbauen und in Betrieb nehmen lassen.
BER-Aufsichtsratschef Matthias Platzeck könnte mit Mehdorn, der einen Dreijahresvertrag erhielt, neben dem medialen vielleicht sogar ein inhaltlicher Coup gelungen sein. Der neue BER-Macher, der am 11. März seinen Dienst antritt, wird sich wahrscheinlich nicht lange damit aufhalten, wer an der Misere alles Schuld trägt, sondern die bereits von Technikchef Horst Amman augenscheinlich rigoros begonnene Bestandsaufnahme der Mängel forcieren und Handlungsstrategien entwickeln. Alles andere wäre, wie die Rheinländer zu sagen pflegen, Kokolores.
In Amman soll Hartmut Mehdorn Medienberichten zufolge, darunter der Tagesspiegel, auf einen Gleichgesinnten treffen. Zwei hemdsärmlige Dickschädel also? Womöglich ist es genau das, was BER braucht. Beide Typen wissen, dass Politiker kommen und gehen und wie sie mit ihnen umzugehen haben. Am Ende zählt die Aufgabe, und die lautet: den Flughafen so zu gestalten, dass er zeitnah in Betrieb genommen werden kann.
Doch die Verpflichtung Mehdorns hat einen Beigeschmack. Laut Platzeck habe man sich mit Mehdorn bereits am 6. März geeinigt. Erfahrungsgemäß stehen Einigungen am Ende eines Gesprächsprozesses.
Von daher ist nicht auszuschließen, dass sich der ehemalige Fraport-Chef Wilhelm Bender, der den BER-Chefsessel abgelehnt, indes seit wenigen Wochen als Berater fungiert hatte, nicht einzig wegen der Öffentlichmachung seines - nicht üppigen - Honorars zurückgezogen hätte, sondern auch wegen der Mehdorn-Personalie.
Vielleicht sogar wegen der insgesamten Gemengelage und deren verbliebenem Protagonisten Platzeck, der von Großbauprojekten genauso wenig Ahnung zu haben scheint wie der mittlerweile nicht mehr dem Aufsichtsrat angehörende Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit.
Wenn es Mehdorn gelingen sollte, die Reißleine zu ziehen und das BER-Projekt endlich in vernünftige Bahnen zu befördern, hätte Platzeck doch noch ein richtiges Händchen gehabt. Wenn nicht, ist seine Wiederwahl als Ministerpräsident (2014) massiv gefährdet.
© Martin Jasper
© GeoWis (2013-03-08)