Wie beim ersten Malbuch
Jazz Covers von Joaquim Paulo liefert einen Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte der Schallplattenhüllengestaltung. Und mehr.
Von Niels Baumgarten (2013-05-17)
Die Frage, ob Schallplattencover verkaufsfördernd wirkten, hat Alex Steinweiss zu Beginn der 1940er Jahre beantwortet. Steinweiss (1917-2011) gilt als Erfinder des Plattencovers. 1939 hatte er bei Columbia Records als Art-Director angeheuert und schnell den Absatz von Schallplatten vorangetrieben, die bis dahin vorwiegend in meist unbedruckter Pappmaché verpackt waren.
Steinweiss, der sich bereits 1972 aus dem Metier zurückzog, hatte eine Lawine losgetreten. Plötzlich waren Grafiker und künstlerisch veranlagte Designer bei den Plattenfirmen gefragt wie nie zuvor. Manche erreichten in den folgenden Jahrzehnten Kultstatus, vor allem in der seit den 1960er Jahren für Mega-Umsätze sorgenden Pop- und Rockmusik.
Wie etwa Roger Dean, der eigenwillige Typographien entwickelte und für seine surrealistischen Landschaftsformationen bekannt war. Auf Dean gehen Plattencover für Yes, Osibisa, Atomic Rooster und - to name but a few - Rick Wakeman zurück. Kultstatus erreichte auch Storm Thorgerson (1944-2013) mit seiner Firma Hipgnosis, die von 1968-85 existierte. Unter Hipgnosis entstanden beispielsweise Cover für Pink Floyd, 10cc, Brand X, Genesis, Peter Gabriel.
Wer sich eine Schallplatte, insbesondere eine Langspielplatte (LP) kaufte, tat das zwar meist wegen der darauf enthaltenen Musik, doch auch die Gestaltung des Covers spielte eine Rolle. Im Jazz- und Swing-Bereich war das kaum anders, wenngleich die frühen Gestaltungen bis weit in die 1950er Jahre aus heutiger Sicht noch etwas hausbacken wirken.
So sehr zuweilen, dass man in ihnen zeitgenössische Kunst jener Jahre sehen kann, wie sich in den beiden Bänden Jazz Covers zeigt. Exemplarisch beim Label Blue Note bei John Hermansader, der 1954 das Cover von George Wallingtons Showcase dreifarbig (Schwarz, Blau, Silber) entwickelte, und beim Label Esquire, auf dem im gleichen Jahr Phil Woods Scheibe Phil Woods New Jazz Quintett in spartanisch gestalteter Hülle erschien (dunkles Magenta und Halbton-Schwarz). Das Spartanische trifft auch auf die Collates von Lester Young zu, die von David Stone Martin dreifarbig gestaltet wurden.
Häufig wurden für die Cover-Designs zuvor Fotografen engagiert, die die Band, den Solo-Künstler oder den Band-Leader ablichteten, dann machte sich der Grafiker ans Werk und simplifizierte. Etwa, indem er lediglich Typo und Schriftzüge hinzufügte. Obwohl viele Jazz-Labels dieser Art Design lange bevorzugten - und es teils noch heute tun -, galt es stets, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden.
Während manche Labels sich am Prinzip Portrait-Foto, Künstlername, Plattentitel orientierten, oft auch die Typo für den jeweiligen Künstler als Wiederkennungsmerkmal beibehielten, engagierten andere Grafiker, Designer und Fotografen, die den im Fluss befindenden Zeitgeist einbrachten und sich die Weiterentwicklung in der Druckindustrie zu Nutze machten.
So hat sich der Designer Bob Ciano (CTI), von dem in Band I ein Interview abgedruckt ist, für Hubert Laws afro-classic (1970) für ein von Pete Turner geschossenes Foto eines mosambikanischen Kolonialforts entschieden und es mit transparentem Türkisblau unterlegt. Die Symbiose von Fotografie und Design brachte auf diese Weise häufig Kunstwerke im LP-Format hervor.
Manche Musiker - oder Labels - aber entschieden sich für bereits existierende Kunstwerke. Etwa die US-Japanerin Toshiko Akiyoshi, die für ihr Album Her Trio Her Quartett (1956) Joan Mirós Composition (1933) aussuchte. Auch Kartoonisten und Comix-Zeichner kamen zum Zuge. Fred Schwab beispielsweise, der für das Album Circle Waltz des Don Friedman Trios (Riverside; 1962) die Feder spitzte.
Früh schon fanden auch Erotik und das Frivole, unter Jazzern und Swingern eine schon immer willkommene Begleiterscheinung zur musikalischen Darbietung, die von später folgenden Generationen der Rock- und Popmusik gerne aufgegriffen wurde, den Weg aufs Plattencover. Ein Wagnis, jedoch ein verkaufsförderndes.
Zwar war das sittlich Anstößige und Verruchte schon in der Prä-Jazz-Zeit unter Künstlern allgegenwärtig, wie etwa der Film Ragtime (1981; Regie: Milos Forman) zeigt, indes hieß das nicht, dass man ohne Weiteres Schallplatten mit Covern in die Läden bringen konnte, auf denen nackte, halbnackte oder auf andere Weise anregende Damen zu sehen waren, zumal in den eher als prüde und bigott verschrienen USA.
Einige dieser gegen die damals geltenden Moralvorstellungen der Heile-Welt-USA verstoßenden Plattencover hat Joaquim Paulo in diesen zwei Bänden, die mehr als 600 Abbildungen umfassen, zusammengetragen. So Wein, Women & Song von George Wein (1955) und Playboys von Chet Baker & Art Pepper (1956).
In den 1960er Jahren gab es bei der Covergestaltung eine Revolution in Farbgebung und Typo. Psychedelisch war in, auch im Jazz, dessen Drogen bis dahin Alkohol, Heroin und Kokain waren. Nun kamen vermehrt Typographien zum Einsatz, die sich an denen der dem Marihuana und LSD zugeneigten Musiker und Grafiker orientierten. Zum Beispiel beim Album Wind, Sky And Diamonds von Gabor Szabo And The California Dreamers (Impulse!; 1967). Robert und Barbara Flynn zeichnen für das Design verantwortlich.
Doch nicht nur psychedelisch Buntes war am Start, wie sich in Paulos vorliegendem Werk nachschauen lässt. Der Designer Heinz Bähr, der von 1991-2000 Professor für Typographie an der Köln International School of Design war, verwendete für das Album All Smiles von The Kenny Clarke Francy Boland Big Band (MPS; 1968) ein Foto von Sam Haskins, das auffiel: eine barbusige Grazie in überbelichtetem Halbton, die elegant in einem Korbstuhl sitzt.
Paulos Zweibänder, der Plattencover von den 1940ern bis den 1990ern abbildet, ist eine grandiose Fundgrube nicht nur für Liebhaber des Jazz- und Swing, sondern ebenso für Anhänger der Plattencover-Kunst. Zu Letzterer zählt auch die Gestaltung des Albums Black, Brown And Beautiful von Oliver Nelson, das 1969 beim Label Flying Dutchman veröffentlicht wurde.
Anders als beim Impulse!-Label nutze Robert Flynn die durch die aufkommende Bewegung der sexuellen Revolution erweiterte Toleranzschwelle und bildete das Foto eines nackten, schwarzen Frauenkörpers gemäß eines Fotos von Charles Stewart auf dem Cover ab. In den Südstaaten der USA kam das womöglich nicht gut an. Bei Jazzern und deren Anhängern, die stets als cool und tolerant galten, sicherlich.
Neben der Auswahl an Plattencovern und einigen Interviews, darunter mit Rudy van Gelder (Blue Note), Creed Taylor (Impulse!) sowie dreisprachigen Erläuterungen und Steckbriefen (Englisch, Deutsch, Französisch) zu Künstlern und Covers ist Toleranz der Rote Faden dieses überaus wichtigen Kompendiums, anhand dessen sich ein Teilbereich moderner Musikhistorie sowohl in musikalischer Hinsicht als auch in gestalterischer erschließen lässt.
Jazz Covers kann beim erwachsenen Leser bzw. Betrachter jenen Aha-Effekt hervorbringen, der vielleicht zuletzt im Kindheitsalter Gefühle und Phantasien bei ihm auslöste, als man sein erstes Mal- oder Märchenbuch erhielt. Unter Jazzmusiksammlern kann das Werk indes genauso gut Sehnsüchte wecken, dann nämlich, wenn sie ihre Sammlung durchgehen und feststellen, welche Originale ihnen noch fehlen.
© Niels Baumgarten
© GeoWis (2013-05-17)
Joaquim Paulo und Hrsg. Julius Wiedemann: Jazz Covers. Volume I und II. 2 Bände, Hardcover, LP-Format im Schuber. Zusammen 560 S.; ISBN 978-3-8365-2406-3. Taschen, Köln, 2012.