Permanenter Lauschangriff auf die Demokratie
Die National Security Agency (NSA) späht die globale Kommunikation aus. Neu ist das nicht. Aber für jeden Einzelnen potenziell gefährlich und teuer. Die deutsche Bundesregierung und Präsident Gauck haben dem nichts Substanzielles entgegenzusetzen.
Von Nina Brenthäuser (2013-06-19) +++Update siehe unten+++
Die Monsterbehörde NSA, die auf dem Globus rund eine Million Leute beschäftigt, ist mächtig ins Gerede gekommen, seit der IT-ler Edward Snowden von Hongkong aus, wo er untergetaucht sein soll, seine Erkenntnisse zu deren globaler Abhörpraxis publik machte. Als wichtiges Spionageinstrument gilt dabei ein Programm namens PRISM (Prisma).
Von der kritischen Internet-Gemeinde und Datenschützern wird ihm seither Respekt gezollt, mancherorts wird er als Held gefeiert, und er hat viele Menschen dazu bewegt, gegen die NSA auf die Straße zu gehen. Nicht alle sehen den permanenten globalen Lauschangriff der NSA so kritisch, am wenigsten die Schnüffelbehörden.
Ihnen gilt Snowden als Verräter, wie jeder als Verräter und nationales Sicherheitsrisiko abgestempelt wird, der sich dem militärisch-geheimdienstlich-industriellen Komplex der USA gegenüberstellt. Das Totschlag-Attribut hat beispielsweise Wolfgang Büscher im Welt-Online-Titel zum Beitrag "Warum die ganze Welt einen Verräter verehrt" übernommen.
Verräter? Snowden hat nichts weniger als die schon früh in George Orwells Roman 1984 und Aldous Huxleys Roman Brave New World thematisierte vollkommene Kontrolle des Individuums durch die Übermacht des Staates als allgegenwärtig im nicht mehr jungfräulichen 21. Jahrhundert ins Blickfeld gerückt.
Snowdens bisher bekannten Äußerungen lässt sich entnehmen, dass es ein pervertiertes Überwachungssystem der internationalen Geheimdienste gibt, an dessen Spitze die NSA steht. Selbst manche Politiker in Deutschland geben sich plötzlich empört über die Schnüffelpraxis der NSA, wenngleich Bundesinnenminister Friedrich sich merklich mit Kritik zurückhält. Wie Friedrich will niemand aus der Riege jeweils nationalen Verantwortlichen für Datenmissbrauch als Doofmann dastehen.
Dabei hat Edward Snowden sie alle als Doofmänner (und Dooffrauen) bloßgestellt, indem er lediglich etwas bekannt gemacht hat, was ohnehin jeder, der es wissen wollte, auch wissen konnte, zumal in Zeiten des Internets. Schließlich ist die NSA nicht erst nach 9/11 entstanden, sondern existiert als militärischer Nachrichtendienst der USA bereits seit 1952. Lang genug offenbar, um sich eine Schaustätte wie das National Cryptic Museum in beschaulicher Umgebung einzurichten. Auf US-Steuerzahlerkosten.
Seit 1952 versucht der Supra-Geheimdienst stets die intelligentesten Köpfe aus so ziemlich allen Disziplinen zu rekrutieren. Am liebsten Mathematiker, Kryptologen, Linguisten, Chemiker, Biologen, Psychologen, Politik-, Ökonomie-, Literatur- und Geowissenschaftler. Dazu Dolmetscher zu fast allen offiziellen Sprachen der Welt und zu vielen Regional- oder Zweitsprachen. Bantu? Kein Problem. Hindi? Locker. Urdu, Kisuaheli, Ketchua, Navajo, Maorisch, rauestes Schottisch, Samisch, Mittelhochdeutsch, Plattdütsch, Tahitianisch oder irgendeine südostasiatische Bergsprache? Logo.
Die in den gesamten USA mit Niederlassungen präsente Schnüffelbehörde kostet die US-amerikanischen Steuerzahler neben den geschätzten 110 Milliarden Dollar für die CIA um - konservativ geschätzt - 150 Milliarden Dollar pro Jahr. Sie ist längst ein Staat im Staate geworden, die sich jeder demokratischen Kontrolle entziehen kann. Auch deshalb, weil noch kein US-Präsident oder US-Verfassungsorgan es gewagt hat, sich dagegenzustemmen.
Im Gegenteil: Der für einen Arbeitsbesuchgestern Abend kurz nach Berlin eingeflogene US-Präsident Obama, einst als politischer Popstar gefeiert wie vor ihm nur John F. Kennedy und Bill Clinton, hat dafür gesorgt, dass die Schnüffelpraxis ausgeweitet werden konnte. Jedes harmlose Fluchen gegen politische Entscheidungen, zumindest am Telefon, in E-Mails oder im Netz, kann den Absender somit in die Raster der Geheimdienste bringen.
Geradezu erschreckend zur NSA-Spionage ist die Reaktion der seit 2005 amtierenden deutschen Bundesregierung, an deren Spitze die einst DDR-systemkonforme Kanzlerin Angela Merkel steht. Sie gibt sich verblüfft, obwohl sie schon auf Grund der von ihrem Vorgänger im Amt, Schröder, hinterlassenen Übergabe-Informationen wissen müsste, dass jahrzehntelang im bayrischen Bad Aibling die größte ausländische Abhörstation innerhalb der damaligen Bundesrepublik in Betrieb war. Echelon.
Einst während des Kalten Krieges installiert, um den Ostblock abzuhören, wurde nach dessen Zusammenbruchs seit den frühen 1990er Jahren Echelon noch stetig auf den neuesten Stand der Technik gehievt, bis es offiziell im Jahr 2004 außer Dienst gestellt wurde. Da hatte die NSA bereits PRISM.
Seit Bestehen der Horchanlage konnte die jeweilige US-Regierung die zu Echelon gehegten und geäußerten Verdachte zur Wirtschaftsspionage gegen Unternehmen in der Bundesrepublik nie nachhaltig entkräften. Heute existieren noch neun Echelon-Überwachungseinrichtungen, davon fünf Großstationen (zwei in den USA, eine in Großbritannien, zwei von der NSA betriebene). Die vier kleineren befinden sich in Australien, Japan, Kanada und - nochmals - Großbritannien.
Die NSA will laut ihres Chefs Keith Alexander 50 Terroranschläge vereitelt haben, darunter einen auf die New Yorker Börse (NYSE). Das habe er laut Washington Post vor einem US-Kongressausschuss geäußert. Weiter heißt es, dank der Spionagepraxis habe man 2009 einen Anschlag auf die New Yorker U-Bahn schon im Vorfeld verhindern können. Nun sieht es laut Washington Post danach aus, als hätte die NSA erst über Großbritanniens Lauschangriffsergebnisse davon erfahren.
Edward Snowden hat mit seinem Degenstich gegen die NSA bisher zwar noch nicht alles enthüllt, was er möglicherweise enthüllen könnte. Er hat aber einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen, und das ist das zunächst Entscheidende, dass die Schattenwelt der Geheimdienste, insbesondere der NSA, mit demokratischen Werten nichts am Hut hat.
Zu denen zählt die Freiheit des Individuums, das Postgeheimnis, die freie Meinungsäußerung. Themen, die vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck gebetsmühlenartig mal allgemein, mal konkretisiert im Reden-Portfolio an erster Stelle stehen. Doch anstatt Obama diplomatisch deutlich die Leviten wegen PRISM zu lesen und sein Lieblingsthema auf eine internationale Ebene zu heben, entpuppt sich Gauck als Phrasadeur von Nettigkeiten.
Als reichte das an Anbiederung an den Staatsmann mit den größten Lauschern nicht, gibt sich Bundeskanzlerin Merkel 20 Jahre nach Beginn des Internet-Zeitalters heute Obama gegenüber öffentlich erstaunlich ahnungslos: "Das Internet hat uns alle überrascht."
Diese Äußerung verblüfft, lässt sie sich doch so auffassen, als würde Deutschland von einer Riege von Internet-Vollidioten regiert, die die Freiheit der deutschen Bevölkerung konterkariert. Auch, indem sie dem Datensammlungstreiben von Google, Facebook, Amazon und anderen Internet-Unternehmen derart freien Lauf lässt, wie Donau und Elbe ihn fluvial jüngst für sich beansprucht haben.
Es ist eine gute Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, ob man für wichtige mitzuteilende Dinge wieder zum Füllfederhalter oder Kugelschreiber zurückgreifen sollte.
© Nina Brenthäuser
© GeoWis (2013-06-19)
Update (2013-06-21): Wie nun durch Edward Snowden bekannt wurde, späht Großbritanniens Geiheimdienst GCHQ noch intensiver als die NSA das Internet aus, indem er nahezu den gesamten Datenverkehr zwischen Europa und den Americas mitschneidet und temporär speichert. Dabei sollen Snowden zufolge die Briten sich in die Glasfaserkonten gehackt haben. Die deutsche Bundesregierung gibt sich empört.