Blick aus dem Glashaus
Die westliche Welt fordert außerhalb ihres christlichen Geltungsbereichs die Trennung von Kirche und Staat. Sie selbst hält es damit nicht so genau. Beispiel: Verbot der öffentlichen Aufführung von Filmen an christlichen Feiertagen.
Von Jochen Henke (2013-07-11)
Orthodoxen Christen war der seit 1979 immer wieder aufgeführte Film Das Leben des Brian stets ein Dorn im Auge. Brian, geboren in Judäa, stolpert auf der Flucht vor dem regionalen römischen Statthalter Pontius Pilatus durchs Morgenland und weiß nicht, wie ihm geschieht, als er für einen Heilsbringer gehalten wird und sich um ihn scharende Anhänger von ihm Heil oder Wunder versprechen.
Brian, im Stall neben dem von Jesus zur Welt gekommen, versteht sich als Widerstandskämpfer gegen die römische Besatzung. Er ist andauernd zur richtigen Zeit am richtigen Ort, aber immer der falsche Mann. Oder der 13. Apostel (!).
Am Ende erwischen die Häscher des Pilatus ihn. Brian wird, wie es damals bei der Verhängung der Todesstrafe in der Region üblich war, neben Anderen ans Kreuz genagelt. Gemeinsam singen die Gekreuzigten den hernach zum Hit gewordenen Song „Always Look On The Bright Side Of Life“.
Bislang hat kein Kinofilm es geschafft, das Thema christlicher Prophetenlegenden besser auf die Schippe zu nehmen als dieses von der ehemaligen Monty-Python-Truppe (Graham Chapman, Terry Jones, Terry Gilliam, John Cleese, Michael Palin, Eric Idle) erschaffene Klamauk-Satire-Werk.
Zu dem es beinahe nicht gekommen wäre, weil die Plattenfirma EMI aus dem Filmprojekt ausstieg und eine Finanzierungslücke von zwei Millionen Pfund riss. Ex-Beatle George Harrison, Mitinhaber der Firma HandMade Films, leistete sich als Monty-Python-Fan das bislang teuerste Kino-Ticket weltweit, indem er die Lücke stopfte sein erstes Kinofilmwerk unter der rasch erfolgten Gründung von HandMade Films auf den Markt brachte.
Seit Erscheinen in (West-)Deutschland wurden in den ersten Jahren Kinonächte mit Monty-Python-Filmen in allen westdeutschen Großstädten abgehalten, monatelang zum Beispiel im Essen-Krayer Programmkino Klick, in West-Berliner Szene-Kinos, in Düsseldorf, Dortmund oder Hamburg. Die Nächte bestanden meist aus: Jabberwocky, Das Leben des Brian (auch im Original: Life of Brian), Die Ritter der Kokusnuss, Wunderbare Welt der Schwerkraft, Flying Circus.¹
Man stelle sich vor, einen Film wie Das Leben des Brian hätten die Monty Pythons über Mohammed gemacht. Nicht auszudenken, welche Reaktionen aus islamistisch geprägten Ländern es schon vor über dreißig Jahren hätte geben können.
Doch auch bei der Katholischen Kirche kam der Film nicht besonders gut an, obwohl laut der Autobiographie der Monty Pythons Graham Chapman das fertige Drehbuch einem Kanoniker der Queen vorgelegt habe, der sich amüsiert gezeigt und keine Einwände gehabt haben soll.
Schwierigkeiten gab es dennoch. Keinen Sinn für Humor hatten etwa britische christliche Fundamentalisten, die im Vorfeld der kommerziellen Uraufführung gegen den Film polemisierten und ihre Anhänger mobilisierten. Das Buch zum Film hatte Probleme, einen Verleger zu finden.
Um nicht komplett in die gnadenlose Hetze christlicher Fundamentalisten zu geraten, legte Graham Chapman das fertige Drehbuch zusammen mit einem Gutachten auch der britischen Zensurbehörde für Film (British Board of Film Censors) vor, die sich nicht wagte, den Film zu zensieren.
Abgesehen davon, dass es eine derartige Behörde in Großbritannien gibt - die heute British Bord of Film Classification heißt -, ist es angesichts des augenscheinlichen humoristischen Rigorismus‘ der Monty Pythons erstaunlich, dass Chapman diesen Schritt gegangen ist - oder gehen musste. In den Jahren danach ging es entspannter zu, wenngleich es immer brodelte zwischen den Religionen, den Kunstschaffenden, die das Brodeln aufgriffen, und deren Produzenten. Das große Getöse auf maßgeblicher politischer Ebene fand auch nicht mehr statt.
Seit 9/11 gehört es wieder zum westlichen Alltag und bösen Ton, sich weniger mit Staatsformen, hingegen mehr mit Religionseinflüssen auf die jeweilige Regierung und Verfassung zu konzentrieren. Das lässt sich bestens am von den USA initiierten Konzept "Krieg gegen den Terror" (War on Terror) beobachten.
Barack Obamas Vorgänger im US-Präsidentenamt, George W. Bush, ging gemäß frühchristlicher Tradition, aber mit modernen Waffen, daran, seinen privatwirtschaftlich- und steuerfinanzierten heimischen klerikalen und pseudo-klerikalen Hetzern wie auch global in Schlüsselindustrien operierenden US-Unternehmen einerseits ein neues Feindbild zu liefern, andererseits neue oder erweiterte Investitions- und Profitmöglichkeiten.
Von der christlichen Gemeinde der westlichen Welt wurde der völkerrechtlich zweifelhafte Angriff der USA auf Afghanistan (Sprachregelung: "Krieg gegen die Taliban") Anfang Oktober 2001 und der völkerrechtlich nicht gedeckte Angriff auf den Irak (März 2003) ohne nennenswerten Widerstand etwa der Katholischen Kirche hingenommen. Deren Chef, Papst Johannes Paul II (Karel Wojtyla; 1920-2005), war zu jener Zeit schon nicht mehr der Fitteste. Sein - Ende Februar 2013 zurückgetretener - Nachfolger Benedikt VI. (Josef Ratzinger; *1927) bestimmte längst die Glaubenslehre.
Ein paar routinierte Äußerungen zum erhofften Frieden in der Welt und die Anmahnung zur Friedfertigkeit unter den Völkern, hier und dort den Boden küssen und sich in Deutschland wie ein Popstar feiern zu lassen, statt sich konsequent um die im Argen liegenden Verfehlungen und Straftaten von Soutanenträgern zu kümmern, ist eine mickrige Bilanz von Ratzinger. Zur Verständigung unter den verschiedenen Religionen hat er nichts beigetragen. Zur Mäßigung des politischen Westens gegenüber dem Islam ebenso wenig. Stattdessen die Betonung auf "Einzigartigkeit der Katholischen Kirche."
Einzigartig? Man kann sie auch als dogmatisch, fundamentalistisch, starrsinnig, raffgierig und - unter historischen Aspekten - blutrünstig betrachten. Ihr zugeneigte politische Führer und Entscheider handeln im Sinne der christlichen Glaubenslehre und -geschichte, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung. Sobald es gegen den Islam geht, stehen die westlichen Glaubenskrieger wie Halma-Figuren parat, bombardieren, inhaftieren, debattieren. Letzteres gerne in Talkshows, in denen noch keine Kirchenfrau/kein Kirchenmann gesagt hat, dass er es gut findet, wenn Bomben auf die Konkurrenzreligion niedergehen.
Auch manche politische Künstler und Journalisten, die sich gegenüber dem Islam geschmacklich ziemlich vergriffen und den von der Freiheit der Kunst und der Meinung gesetzlich (in West- und Nordeuropa) gegebenen Rahmen überschritten, indem sie eine Religion und deren Anhänger beleidigten, haben sich reflexionsarm in den Dienst des Christentums gestellt. Wie zum Beispiel die dänische Jyllands-Posten mit den bekannten Mohammed-Karikaturen (2005) oder die französische Satire-Schrift Charlie Hebdo, die sich als Reloader des Themas hergab und den C-Movie Die Unschuld der Muslime von Alan Roberts² adelte (2012).
Mit derart dem Christentum nutzenden und an den Tag gelegten Prozedere wird ein Beitrag zum Erhalt einer vor allem vom Vatikan dominierten, global agierenden christlichen Glaubensgemeinschaft geleistet. Dazu wird einer, von recht alten Männern geleiteten und an Skandalen reichen Kirche das Wort geredet, in der sich Pius-Brüder und Päderasten befinden, und womöglich, folgt man Vatileaks, Korruption zum Geschäftsmodell gehört.
Doch wenn man der christlichen Glaubensgemeinschaft mit Satire, Popanz oder Fotomontagen gemäß dem Satire-Magazin Titanic begegnet, das den ehemaligen Oberhirten der Katholiken, Josef Ratzinger, mit einem Urinfleck auf der hellen Soutane auf dem Titel abgebildet hatte, ist die oft von Mainstream-Medien initiierte Empörung groß. Sogar der Presserat rügte die Titanic-Macher wegen des Titelbilds.
Die im deutschen Grundgesetz verankerte Aussage zur Trennung zwischen Staat und Kirche (Artikel 140 GG), die von Teilen der SPD über die Jahrzehnte immer wieder unter dem Stichwort "Säkularisierung" angemahnt, selbst aber unter ihrer Regierungsverantwortung in Bund oder Land nicht einmal ansatzweise durchgreifend realisiert wurde, existiert de facto nicht. Was sich etwa in der Posse um die Aufführung von Das Leben des Brian an Karfreitag 2013 in Bochum zeigte.
So berichtete die Online-Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung/WAZ (DerWesten.de), der Veranstalter Bochumer Atheisten habe gegen das Feiertagsgesetz von Nordrhein-Westfalen verstoßen. In dem heißt es unter § 6 Absatz 3, Satz 3: "An Karfreitag sind zusätzlich verboten: (…) die Vorführung von Filmen, die nicht vom Kultusminister oder der von ihm bestimmten Stelle als zur Aufführung am Karfreitag geeignet anerkannt sind, bis zum nächsten Tag 6 Uhr."
Dieser im Kern gegen die Meinungsfreiheit gerichtete, Zensur bedeutende Satz, der in Nordrhein-Westfalen auf weitere fünf christliche Feiertage weitgehend übertragbar ist, bevorzugt die (katholischen) Christen gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften. Ähnlich verhält es sich in Bayern. Im diesbezüglichen Feiertagsgesetz (FTG) sieht es ähnlich aus, hört sich aber anders an.
Unter Artikel 3 Absatz 2 heißt es, "öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen" seien "nur dann erlaubt, wenn der diesen Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt ist." Eine öffentliche Aufführung von Das Leben des Brian an Karfreitag in Bayern hätte genauso wenig eine Chance wie eine Satire über den Propheten Mohammed an einem der islamischen Feiertage oder irgendeinem anderen Tag.
Verstöße gegen das Feiertagsgesetz können bis zu 10.000 Euro Bußgeld nach sich ziehen. Die Bochumer bekamen tausend Euro aufgebrummt. Neben dem zensorischen Impetus der deutschen Feiertagsgesetze, die überwiegend die Befindlichkeiten christlicher Glaubensgemeinschaften berücksichtigen, seit einigen Jahren auch hebräische, kommt gerade in diesem Bereich der Gesetzgebung zum Ausdruck, dass es in Deutschland keine Trennung von Kirche und Staat gibt. Sie von anderen Ländern zu fordern, wie etwa aktuell von Ägypten, ist albern. Wie Das Leben des Brian.
¹ Seit 1982 ist Live at the Hollywood Bowl, seit 1983 auch Der Sinn des Lebens im Monty Python-Filmnächteprogramm deutscher Szene-Kinos.
² Alan Roberts ist ein Pseudonym. Das Drehbuch zum Film schrieb Nakoula Basseley Nakoula.
© Jochen Henke
© GeoWis (2013-07-11)