Papa, Mutti, Seele, Legende
Fritz Rau, eine die Musikindustrie mitprägende Koryphäe des deutschen Konzertveranstaltertums, ist tot.
Von Jochen Henke (2013-08-21)
Man hat ja als Konzertbesucher früher kaum darauf geachtet, wer dafür sorgte, dass Musiker aus anderen Ländern in (West-) Deutschland auftraten. Heute ist das kaum anders. Man war häufig froh, bei Top-Acts überhaupt zu den Glücklichen zu gehören, die eine Eintrittskarte ergattert hatten. Bei manchen Acts war das extrem schwierig. So bei Michael Jackson und Prince in den 1980ern.
Gegenüber den 1960ern und 1970ern hatte sich da nichts geändert. Es gab Acts, für die sich Musikfreunde an den Vorverkaufsstellen und Abendkassen genauso in lange Schlangen stellten wie es seit Jahren etwa beim BVB oder anderen publikumswirksamen Fußballbundesligavereinen zu Heimspielen der Fall ist.
Maßgeblich mitverantwortlich für manch langes Warten und banges Hoffen auf ein Konzert-Ticket war Fritz Rau, der am 19. August 2013 im Alter von 83 Jahren verstarb. Die Rolling Stones, die er mit seinem langjährigen Freund und Geschäftspartner Horst Lippmann (1927-97) in die damalige BRD geholt hatte, sahen in ihm einen "Godfather" als Veranstalter, während er, wie er in seiner 2005 beim Palmyra-Verlag erschienenen Rückschau 50 Jahre Backstage¹ und hernach in Interviews sagte, sie in gewisser Weise als "Schuljungen" betrachtete.
Rau hatte gemeinsam mit Lippmann unzählige Bands unter Tourneevertrag genommen und vielen dadurch erst in (West-) Deutschland zu Bekanntheit verholfen. Die Yardbirds etwa, und später Eric Clapton; die Animals, und auch Eric Burdon; Frank Zappa, Led Zeppelin, Jimi Hendrix, Santana, David Bowie, Peter Maffay, Ton, Steine, Scherben, Tina Turner, die Scorpions, Udo Jürgens, Abba, Udo Lindenberg, Queen, Bob Dylan, Lake … Die Liste ist nahezu endlos.
Dabei waren Pop- und Rock anfangs gar nicht sein Metier. Er war dem Jazz verbunden. Rock und Pop waren noch im Baby-Alter. Mitte der 1950er Jahre hatte er als Neuling in der westdeutschen Konzertveranstalter-Szene einen fulminanten Einstiegserfolg mit dem 2005 verstorbenen Posaunisten Albert Mangelsdorff, wodurch Horst Lippmann, damals bereits etabliert, auf Rau aufmerksam geworden war. 1963 gründeten sie ihre legendäre Firma Lippmann + Rau.
Ohne sein Näschen für den jeweiligen Zahn der Zeit im Musikgeschäft, ohne das Eingehen von Risiken bei der Vorfinanzierung von Tourneen, ohne seine unter Musikern in höchstem Maße geschätzte Fairness und ohne seine Mütterlichkeit und sein unermüdliches Engagement - das alles hatte sich in den Szenen schnell herumgesprochen -, hätten dem nach Auftritten von internationalen Stars gierenden (west-) deutschen Publikum manche Acts kaum ermöglicht werden können.
Fünf Jahre lang in den 1960ern hingen die in Großbritannien und den USA bereits etablierten Stars am Kussmund von Fritz Rau und Horst Lippmann, bevor der ernstzunehmende Mitbewerber Mama Concerts 1968 in den Markt eintrat. Hatten Lippmann und Rau bis dahin eine Quasi-Monopolstellung in der BRD, bekamen sie nun manche Top-Acts nicht.
Marcel Avram und Marek Lieberberg sorgten für Konkurrenz, ohne dass es Lippmann und Rau zu sehr ans Portmonnaie ging. Der Markt war groß und Top-Bands waren wie Pilze aus dem Waldboden geschossen. Tourneen (in der BRD) von Supertramp (1977), Peter Frampton (Comes Alive Tour, 1976), Pink Floyd (Animals Tour, 1977), Adam and the Ants’ Kings Of The Wild Frontier Tour (1981), Rupert Hine (1981), Simple Minds‘ New Gold Dream Tour (1983), The Clashs Out Of Control Tour (1984) oderden Eurythmics (1986) wurden von Mama organisiert. Man war sich nicht unbedingt böse untereinander. Wohl eher darüber froh, dass es potente Mitbewerber gab, denn je bekannter die Band, desto höher die zu leistenden Vorschüsse und Garantien.
Niemand aber konnte auf Dauer allein überleben. Nach dem Tod von Horst Lippmann hatte Fritz Rau viel zu stemmen, wie er in seiner Rückschau durchblicken lässt. Es gab zuvor bereits weitere potente Konkurrenten, die teils regional, teils überregional operierten oder als örtliche Veranstalter fungierten, während die Tourneeleitung bei den Großen lag.
So die Agentur von Peter Rieger (Köln; z.B. Tears For Fears, Sporthalle Köln, 15. März 1990), HPS Promotion (Düsseldorf; z.B. Dave Stewart, Live Music Hall, Köln, 6. November 1991), Sunrise (Hamburg; z.B. The The, Philipshalle Düsseldorf, 7. September 1989), Albatros (Berlin; z.B. The Cure, Neue Welt, 14. Oktober 1980; Iggy Pop im Metropol, 27. April 1980), und dazu jede Menge lokale Veranstaltungsgrößen, die ihrerseits Top-Acts heranholten.
Wie die Zeche (Bochum), wo in den 1980ern Tuxedomoon, Gun Club und Jazz Butcher auftraten, oder das Essener Logo, wo der, durchaus erfolgreiche, Underground stattfand und Bands wie Medium Medium oder Shriekback ihr Publikum fanden und später den einen oder anderen Hit auf den Markt warfen. Für Fritz Rau war das aber kein Problem, denn er holte seit Jahrzehnten Bands heran, die Hallen und Stadien füllten. Und er organisierte Festivals auf geschichtsträchtigem Terrain.
Wie zum Beispiel am 1. Juli 1978 auf dem - damals wie heute - mit monumentaler Nazi-Architektur versehenen Zeppelinfeld zu Nürnberg, wo als Top-Acts Bob Dylan, Eric Clapton, Chicken Shack und Lake aufspielten. Damals war Mit-Präsentator RTL-Radio. Rau präsentierte gemeinsam mit Hermjo Klein in der Berliner Waldbühne, im Sommer 1983, David Bowies Serious Moonlight Tour. Die Waldbühne war vollbesetzt.
Rau hatte David Bowie schon Jahre zuvor nach Westdeutschland geholt, so 1976 (David Bowie On Stage!). Damals stellte Bowie, von dem viele Besucher sich erhofften, er mache noch mal den Ziggy Stardust, sein Album Station To Station vor, brachte Songs von Young Americans und Alladin Sane, und ja, auch einige Stücke aus Diamond Dogs und The Spiders From Mars.
Rau hatte auch Carlos Santana mehrfach nach Westdeutschland geholt, wie auch die Rolling Stones. Deren Welttour zum rechtzeitig in Westdeutschland erschienen Live-Album Still Live - American Concert 1981, löste geradezu einen Hype um die damals bereits als "alte Säcke" bezeichneten Musiker aus und setzte Maßstäbe beim Ticketing.
Vorbestellungen mussten gemacht werden, wobei man nicht wusste, ob man auch eine Karte erhielte. So bewarben sich manche Stones-Fans gleich für mehrere Auftrittsorte und hatten dann das Glück oder Pech, eine Tour durch die Bundesrepublik zu machen, wenn alle Kartenbestellungen durchgingen.
Bei dieser Tour traten Peter Maffay und die J. Geils Band im Vorprogramm auf. Während die JGB gut ankamen, wurde Maffay bei einigen Auftritten mit Tomaten und anderem Gemüse beworfen, weshalb sich Rau veranlasst sah, auf die Bühne zu kommen, um das Publikum zu ermahnen. Besonders krass war Maffay bei den Stones-Fans in Köln angekommen. Dort gaben die Briten zwei Konzerte (4./5.07.1982) im Müngersdorfer Stadion. Köln aber war bei Deutschrock BAP-Land.
Doch schon einen Monat zuvor, als die Stones im Niedersachsenstadion zu Hannover auftraten (7.06.1982) und im Olympiastadion zu München (10.06.1982), hatte Maffay einen schweren Stand und musste sich mit Gemüse bewerfen lassen. Es waren die finstersten Auftritte Maffays. Rau hätte wissen müssen, dass der ihm am Herz liegende Maffay damals noch nicht soweit war, als Vorprogramm der Stones zu bestehen. Aber er bezahlte ihn gut.
In den 1980er Jahren wurde das Business härter. Viele Bands, die von Rau und anderen befördert worden waren, bekamen plötzlich den Hals nicht voll, wollten erheblich höhere Vorschüsse oder wurden damit gelockt. Ein gutes Beispiel dafür sind die Simple Minds. Ihre Sons And Fascination Tour im Frühjahr 1982 (z.B. Wartburg, Wiesbaden, 6.03.) war von der Agentur Sunrise organisiert worden. Sie traten in kleinen Hallen auf. Ein Jahr später hatte Mama Concerts sie zur New Gold Dream Tour unter Vertrag und mietete große Hallen für die Jungs an, die stets ausverkauft waren.
Lippmann und Rau konnten nicht überall mithalten. 1989 fusionierten sie mit Mama Concerts, die gerade selbst Probleme hatten, weil Marcel Avram und Marek Lieberberg sich trennten. Lieberberg nahm einige Bands mit, so die Simple Minds, für die er deren Tournee Street Fighting Years im Sommer 1989 leitete, und neue unter Tourneevertrag, etwa Big Country. Im Verbund mit Mama Concerts konnte Rau weiter Top-Acts unter Vertrag nehmen und auch gegen einen weiteren großen Marktteilnehmer, MCT, bestehen, zumal MCT sich auf - teils höchst profitable - Bands des Indyrock konzentrierte, beispielsweise B-52’s (1989), The Creatures (1990), The Psychedelic Furs (1991).
Fritz Rau war lange im Geschäft und hatte das Glück, zu einer Zeit aktiv zu sein, als die Dinge noch überschaubar waren. Doch ohne Sponsoren ging bei ganz großen Bands auch schon vor dreißig Jahren nicht alles. So trat als Präsentator des Stones-Konzerts in Hannover (1982) der japanische Speichermedienhersteller TDK auf. Zur Hell Freezes Over Tour der Eagles (1996) hatte er örtliche Sponsoren, in Dortmund etwa die Ruhr Nachrichten, ins Boot geholt.
Damals war er bereits im Rentenalter und auf dem Rückzug vom Geschäft. Vier Jahre später gab Marcel Avram Mama Concerts auf und verband sich mit der wenige Jahre zuvor massiv mit eingesammeltem Kapital an der Börse in den Markt getretenen Deutschen Entertainment AG (DEAG), die zum schweizer Unternehmen Deag Global Entertainment gehört und der in Deutschland Peter Schwenckow, CDU-Mitglied und einstiger Abgeordneter, vorsteht.
Avram, der sich nach Absitzen einer Haftstrafe in Deutschland aufgrund von Steuervergehen glücklich schätzte, weiterhin von Israel aus operieren zu können, brachte 30 Prozent ein, wie er der Berliner Zeitung verriet², und wurde Geschäftsführer der zur DEAG gehörenden Entertainment One. Das war alles nicht mehr Raus Welt. Er trat selten in Schlips und Kragen auf und fühlte sich in der von Aktionären zunehmend beherrschten Konzertveranstaltungswelt nicht wohl.
Er war seinen Musikern verpflichtet. Es hatte ihnen möglichst an nichts fehlen sollen, was zu Anfang auch nach Kassenlage zu entscheiden gewesen war. Dem nach Interkulturellem in Sachen Musik lechzenden Publikum im deutschsprachigen Raum brachte er Spaß, Freude und - wer weiß das schon genau? - ungezählte Abenteuer während der Konzerte und danach.
Udo Lindenberg äußerte sich laut WDR-2 in typischer Udo-Weise: "Ein letztes Ahoi, mein Abenteurer-Freund und großer Bruder Fritz Rau. Du warst immer schon ein Pionier - jetzt reist du schon mal vor, irgendwann folg ich dir." Und er fordert den Verstorbenen dazu auf, "da oben" schon mal "die Bühnen" klarzumachen. Peter Maffay hält ebenfalls ein Loblied auf Rau, und auch Mick Jagger.
Von den übriggebliebenen großen Marktteilnehmern, etwa DEAG, Marek Lieberberg, findet man auf deren Webseiten zum Tod von Fritz Rau keine Zeile. Das ist ausgesprochen schlechter Stil.
© Jochen Henke
© GeoWis (2013-08-21)
Titelfoto: Privatarchiv Fritz Rau; mit freundlichger Genehmigung des Palmyra-Verlags.
¹ Inzwischen liegt die 5. Auflage vor. Auf Amazon rangierte das Buch am 21.08.2013 auf Platz 144.
² "Es zerreißt mir das Herz". Das Ende von Mama Concerts: Ein Gespräch mit Marcel Avram. Berliner Zeitung, 7.12.2000.