Königin des Mittelmaßes gewinnt
Die Bundestagswahl 2013 hat Merkel mit ihrer CDU als stärkste Partei gewonnen. Ihr Koalitionspartner FDP ist raus. 64 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland steht einmal mehr fest: Alles (fast) wie gehabt.
Von Jochen Henke (2013-09-22)
Ironisch fragte heute am frühen Nachmittag ein Wähler in der Dortmunder Ricarda-Huch-Realschule, in der ein Wahllokal mit jeweils einer Wahlurne in drei zur Verfügung stehenden Räumen für die Wähler zur Verfügung stand, eine junge Wahlfee, wo denn die UN-Wahlbeobachter seien. Sie blickte ihn verblüfft an. "Kleiner Scherz", sagte der Wähler, ein Mann um die 40, woraufhin die Wahlfee lächelte.
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht absehbar, dass die Partei der amtierenden Bundeskanzlerin (CDU) einen Stimmenzuwachs erhielte, der in etwa dem Verlust an Stimmen bei der FDP entspricht. Dass Grüne und FDP Einbußen erleiden würden, war absehbar. Zu sehr hatten sich diese Parteien mit sich selbst beschäftigt, wie auch die Piraten, die ihre historische Chance zum Einzug in den Bundestag seit 18 Monaten geradezu infantil und scheinbar genüsslich verspielten.
Der enorme Zuspruch für Angela Merkel und ihre CDU ist ein Phänomen, das von ihren politischen Gegnern erst mal verdaut werden muss. Doch wer sich vernünftig ernährt, hat auchg einen guten Stuhlgang. Das Wahlergebnis dürfte hingegen Politikwissenschaftler, Wahlforscher, Soziologen und andere Berufsintellektuelle noch eine Weile beschäftigen.
Eine der Kernfragen könnte lauten: Wie ist es möglich, dass eine Kanzlerin so zulegt - nicht physisch - , die innerhalb von vier Jahren zahlreiche Kabinettsmitglieder austauschen musste, Fahnenflucht mancher Landeschefs zu verkraften hatte (Koch, Hessen; van Beust, Hamburg), eine Ministerpräsidentin, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt (Lieberknecht, Sachsen), zur Parteifreundin hat, innenpolitisch wenig Akzente gesetzt hat und Deutschland bis zum Sankt-Nimmerleinstag in Haftung für marode EURO-Mitgliedsstaaten versetzte?
Obwohl Merkel bezüglich ihres Personals eine Bilanz des Schreckens aufzuweisen hat, wie zum Beispiel:
- Verteidigungsminister Jung, seit 2005 im Amt gewesen, musste wegen der Kunduzaffäre nach nur einem Monat des neuen Kabinetts aufgeben und wurde Arbeitsminister für einen Monat. Seinen Posten als Chef des Arbeitsministeriums übernahm Ursula von der Leyen; den des Verteidigungsministers übernahm Karl Theodor zu Guttenberg;
- Theodor zu Guttenberg musste wegen einer zusammengebastelten Dissertation und darin enthaltener Plagiate zurücktreten. Auf ihn folgte der aus einer Offiziersfamilie stammende Thomas de Maizière, der Steuergelder in Milliardenhöhe für militärische Nonsens-Projekte verschwendete;
- Bildungsministerin Annette Schavan musste wegen einer mit Plagiaten versehenen Dissertation abtreten;
- beim Koalitionspartner standen ebenfalls Parteimitglieder mit zusammengeschusterten Dissertationen auf der Mitgliedsliste, wenngleich inzwischen im EU-Parlament unterwegs, so Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis;
- das Zulassen der Totalüberwachung der deutschen Bevölkerung durch ausländische Geheimdienste wie zum Beispiel der NSA.
Dass all dies von den Wählern nicht bestraft, sondern noch goutiert wurde, indem sie der CDU zuhauf ihre Stimme gaben, wirft einen Schatten auf diese Gesellschaft, der es offenbar nur um Ökonomie geht. Das ist bereits unter Hitler so gewesen. Damals hat sich ein Großteil der Mittelschicht samt Nachwuchs an dessen Latz geheftet. Heute heftet sie sich an die Brust von Merkel.
Wie damals, als gebildetes Jungvolk, arrivierte Damen und Herren und der gehobene Mittelstand vorgeblich für die Erhaltung des erreichten Wohlstands und eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation ihre Stimme an Hitler gaben, letztlich aber den Untergang Deutschlands und einen veränderten Verlauf der politischen Welt gewählt hatten, wählten die Nachkommen dieser aus Eigennutz das große Ganze einer sozialen Gesellschaft vernachlässigenden Mitläufer das, was jetzt zählt.
Der Euro ist es. Er soll bleiben. Er ist unsere Hardware, egal, wie teuer. Dass Sparguthaben durch Minimalzinsen unterhalb der Inflationsrate als Refinanzierungsinstrument der Banken und Sparkassen rigoros eingesetzt werden und Kredite teuer bleiben, scheint die Merkelianer nicht zu interessieren. Können oder wollen sie nicht rechnen?
Was aus ihren Kindern in Bezug auf den deutschen Schulden- und Bürgestand wird? Scheiß der Hund drauf! Aus den Enkeln? Mir doch egal! Die kümmern sich ja auch nicht um mich! Offenbar nimmt die demographische Entwicklung in Deutschland gehörigen Einfluss auf Wahlen. Die Jungen kommen gegen die Alten nicht an.
UN-Wahlbeobachter, in Deutschland bislang undenkbar, gehörten als Aufpasser in die Seniorenheime, Kliniken und Behinderteneinrichtungen. Sozialpolitik, Europapolitik und Ökonomie als Hauptfächer in die Schulen. Denn klar ist: Der gewaltige Zuspruch für Angela Merkel widerspricht jeder rationalen Analyse ihrer Leistung der vergangenen vier Jahre.
Es bleibt alles wie zuletzt. Dass das auch schon vor über 20 Jahren von vielen Deutschen so empfunden wurde, ist belegt. Ein halbes bis ein Prozent der Deutschen hat den politischen Status quo also so stark empfunden, das sie Konsequenzen zogen. Die eindrucksvollen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die ein zum Nachdenken anregendes Potenzial in sich bergen, belegen dies.
Von 1991 bis 2012 wanderten im Mittel jährlich rund eine Dreiviertelmillion Bundesbürger aus. Im Jahr 2012 waren es 712.000, die sich von Deutschland verabschiedeten. Insgesamt waren es in den vergangenen 22 Jahren um 15 Millionen (!). Ein wenig aufgefangen wurden diese Verluste nur durch Zuwanderer, von denen die wenigsten wahlberechtigt sind. Ob Deutschland tatsächlich noch 80 Millionen Einwohner hat, ist daher fraglich.
Der Substanzverlust an Wahlberechtigten fällt offenbar der CDU/CSU zugute. Ausgerechnet jener Parteienkonstellation, die Zuwanderern angeblich kritisch gegenübersteht, aber alles unterschreibt, was Zuwanderung aus EU-Ländern ermöglicht.
© Jochen Henke
© GeoWis (2013-09-22)