Mein Freund, der Feind
Seit bekannt geworden ist, dass Kanzlerin Merkels Handy von der NSA abgehört wurde, herrscht Betriebsamkeit in Berlin. Plötzlich ist Datenschutz Regierungssache. Dumm nur, dass der US-amerikanische Freund angegangen werden muss.
Von Tom Geddis (2013-10-26)
Edward Snowden hatte nicht übertrieben, als er im Sommer dieses Jahres äußerte, dass er noch über brisante Informationen zum Ausmaß des Abhörens und Mitschneidens durch den US-Geheimdienst NSA und seinen britischen Kalfakter GCHQ verfüge. Interessiert hat das die Bundesregierung nur am Rande. Ein bisschen infantiler Aktionismus von Bundesinnenminister Friedrich hier, zur Schau getragene Gelassenheit von Kanzlerin Merkel dort, und vornehmes Schweigen von Außenminister Westerwelle.
Der mediale Aufschrei des Mainstreams war nur mittelprächtig und entsprach der Qualität des Regierungsstils der Kanzlerin und der Qualität der Arbeit ihres Kabinetts von Überforderten. Die Missachtung ihrer Amtseide - Kernphrase: "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden …" - hat niemanden der bisherigen beiden Merkel-Kabinette interessiert.
Die durch Snowden veröffentlichte globale Ausspähung von Kommunikation - auch die der Deutschen - wurde verniedlicht. Pipifax sozusagen. Datenschutz? Grundgesetz? Nada, nunca, njet, egal.
Nun aber, nachdem Merkel - wie mindestens 34 andere Regierungschefs auch, darunter der Pseudosozialist Hollande, Chef von Frankreich -, von der Abhör- und Aufzeichnungsparanoia der NSA betroffen ist, bewegt sich die Kanzlerin mit ihrem ganzen Gewicht und empört sich über die Praktiken des vermeintlichen Freundes USA.
Außenminister Westerwelle, nur noch geschäftsführend tätig, weil seine Partei (FDP) bei der letzten Bundestagswahl die Latte gerissen hat, wagte es nun endlich, den US-Botschafter einzubestellen. Ein einmaliger Vorgang in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Wie einst ihr Ziehvater, Ex-Kanzler Kohl, der während seiner letzten Legislaturperiode das Internet nicht begriffen hatte - wie nahezu sämtliche damals im Parlament vertretenen Abgeordneten -, scheint auch Physikerin Merkel entweder die Dimension der Arbeit der NSA nicht verstanden zu haben, oder sie hat sie verstanden und auf Egal-Modus geschaltet.
Ausgerechnet so einer haben so viele Deutsche ihre Stimme gegeben. Darunter selbstverständlich die Spitzen der Wirtschaft, ihre Verbände, Anhänger und manch akademische Fürsprecher. Und nun? Ätschi-bätschi! Ei, der Daus! Was für eine Blamage! Der beste Freund ist offenbar gefährlicher als der irgendwo herumgeisternde diffuse Feind.
Häme ist angebracht, vor allem, weil China-Bashing in den vergangenen Jahren an der Tagesordnung war. Jetzt aber dämmert es etwa deutschen Unternehmen, dass der amerikanische Freund sie nach Strich und Faden an der Nase herumführt, sie ausspioniert, womöglich ihre Bilanzen kennt, bevor sie offiziell publik gemacht werden, ihre Erfindungen, bevor sie patentiert werden, ihre Unternehmenspolitiken, und, und, und … . So verschaffen sich die US-Boys und die britischen Insulaner ökonomische Vorteile.
Aus Sicht der NSA herrscht ständig Krieg. Um Ressourcen, um Absatzmärkte, ums Weltbild. Terrorismus erscheint hierzu als ein strategisches Konzept, wie es etwa Michael Parenti in The Sword and the Dollar beschreibt. Doch es greift nicht mehr ganz so wie noch vor wenigen Monaten.
Selbst der ehemalige Geheimdienstkoordinator unter der Regierung Kohl, Bernd Schmidbauer, rückte schon früh von der Freundschaftsthese zu den USA ab. "Wer zulässt, dass seine Büros verwanzt werden, der lebt in der Steinzeit", kritisierte er im Hessischen Radiosender hr-Info Anfang Juli 2013 und warf den US-Boys "Kaltschnäuzigkeit" vor.
Nun hat er im Westdeutschen Rundfunk (WDR 2, 26.10.2013) nachgelegt, indem er den USA "Dreistigkeit" vorwirft und "unserer Abwehr Blauäugigkeit" attestiert. Er fordert für die Kommunikationssicherheit eine "Rundum-Verteidigung". Man solle nicht "nur nach China, nicht nur nach Russland, nicht nur irgendwo" schauen. Man könne nicht "mit Terrorabwehr jemand (sic!) begreiflich machen, dass da 'ne Kanzlerin, und dass da Spitzenpolitiker und dass da Herr Müller, Meier, Schulz abgehört werden. Das ist der Witz. Damit muss aufgeräumt werde."
CDU-Parteifreund Günther Krings hatte zuvor (24.10.2013) im gleichen Radiosender von "klassischer Spionage" gesprochen, die von den USA betrieben werde. Im Mutterland der Cowboys wird das offenbar anders gesehen, wie WDR-Korrespondent Ralph Sina (25.10.2013) sagte. Als "Zwergenaufstand" werde die Empörung über die NSA-Abhörpraktiken in Europa betrachtet.
Alldieweil sorgt sich der Bundesverband der Industrie (BDI) weniger um die Ausspähung, sondern mehr ums Ökonomische und das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. "Die Unternehmen verlangen eine zügige Fortsetzung der Verhandlungen über eine Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA", sagt BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. "Das Abkommen hat eine enorme ökonomische, politische und strategische Bedeutung für Europa und Amerika." Der Mann, der darüber fabuliert, das Abkommen schaffe "100.000 Jobs" in Deutschland, hat wahrscheinlich die Auswirkungen von NAFTA nicht begriffen oder nimmt sie billigend in Kauf.
Die Freundschaft zu den USA ist eine Einbahnstraße. Das dämmert vielen Politikern neuerdings. Doch statt als souveräner Staat die Reißleine zu ziehen und die angeblichen Freunde mal feste in den Allerwertesten zu treten, versteckt sich die Kanzlerin hinter der EU und will nun eine UN-Resolution im Verbund mit der Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, erwirken.
Es hat den Anschein, als traute Merkel sich nicht, rigoros durchzugreifen, um gemäß ihres Verfassungsauftrags die Interessen der Bevölkerung Deutschlands zu vertreten und zu schützen. Als erste Maßnahme sollte sie die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen blockieren.
Und dann einige DVDs bestellen. Die drei Tage des Condors etwa, Spy Game, Syriana; oder sich alle Romane von Robert Ludlum ins Kanzleramt liefern lassen. Zuvor aber sollte sie ihren Geheimdienstkoordinator Ronald Pofalla in den einstweiligen Ruhestand schicken, der offenbar keine Ahnung von seinem Job hat.
Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft sich ganz unromantisch in die gewaltige Spionageaffäre eingeschaltet und einen "Beobachtungsvorgang" angelegt. Alle deutschen Nachrichtendienste sind nun angehalten, ihr umfänglich Informationen in der Sache zukommen zu lassen. Da gerade Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung zwischen CDU/CSU und SPD im Gange sind, bietet sich eine Chance, das Thema Datenschutz im Schmidbauerschen Sinn ("Rundum-Absicherung") in den Koalitionsvertrag - so er denn zustande kommt - mitaufzunehmen.
© Tom Geddis
© GeoWis (2013-10-26)
Links
Mummy's Hero - Edward Snowden entlarvt die Parallelwelt der Geheimdienste
NSA-Lauschangriff