Die Unerträglichen
Markus Lanz, Talkmaster der gleichnamigen Sendung, und stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges gaben in der Sendung vom 16.01.2014 ein denkwürdiges Bild ab, als sie versuchten, die Linke-Vize-Chefin Sahra Wagenknecht in die Enge zu treiben.
Von Jochen Henke (2014-01-18)
Dass Markus Lanz seine Gäste nur ungern ausreden lässt, ist hinlänglich bekannt. Doch in seiner Sendung vom 16.01.2014 übertrieb der stets zu knappe Anzüge tragende Südtiroler auf geradezu peinliche und unprofessionelle Weise, als er die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast hatte. Neben Wagenknecht saßen auf den Stühlen der Diplom-Pädagoge, Kurzzeitgrundschullehrer und Autor Philipp Möller, die Schauspieler Moritz Bleibtreu und Christian Kahrmann sowie der stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges.
Es war nicht das höfliche Plaudern üblicher Art, das Lanz gegenüber Wagenknecht darbot. Eher erinnerte es an die Methode Michel Friedmans, wobei Friedman rhetorisch geschulter und intellektuell geschickter verfährt, wenn er seine Gesprächspartner zu unterbrechen pflegt.
Geradezu flegelhaft versuchte Lanz, der wie eine verschlankte Kopie seines Vorgängers Johannes B. Kerner wirkte, Wagenknecht Antworten auf seine dem Prinzip eines Anhörungstribunals zu Kriegsdienstverweigerern der 1970er Jahre gleichenden Finalfragen zu entlocken.
Wagenknecht, die schon des Öfteren bei Lanz zu Gast war - Warum? -, ließ sich von den spätpubertären Provokationen nicht beeindrucken und behielt die Contenance. Selbst als der sich als Talkmaster verstehende Pappkartenhalter eine Phrase aus der Sendung vom 27.02.2013 bemühte ("Sie legen immer nur die Hälfte der tatsächlichen Fakten offen"), in der er ihr das Partizip "verblödet" angedient hatte. Wagenknecht hätte durchaus antworten können, dass sie die andere Hälfte nicht darlegen könne, weil sie ständig von ihm unterbrochen werde, vermied dies jedoch zunächst.
Ihr Anliegen war, Missstände in Deutschland, etwa Kinder- und Altersarmut, und in der EU, zum Beispiel den überbordenden Lobbyismus und die dadurch entstehende Fremdbestimmung von EU-Parlamentariern und politischen Entscheidern zu thematisieren. Sie sprach von "aufgebauschten Nebenthemen" wie der Maut und der Debatte um die Zuwanderung aus südosteuropäischen Ländern, kritisierte die "militaristische Interventionspolitik" der EU, die Troika, die Griechenland unter die Knute genommen habe, um Kreditgeber zu retten, den schon vor drei Jahren verpassten Schuldenschnitt, der, wenn er jetzt käme, für die deutschen Steuerzahler ungleich teurer wäre.
Lanz war ebenso wenig in der Lage, ihre Argumente zu würdigen, wie die wieder einmal zu Gast gewesene journalistische Rampensau Jörges, die recht schnell in die Offensive gegen Wagenknecht ging und den impertinenten Talkmaster entlastete. Natürlich vorwiegend im Jargon, so, wie man es von einem der Chefredaktion einer längst überflüssig gewordenen Illustrierten kaum anders erwarten darf.
Als Wagenknecht den Fehlstart der Großen Koalition (GroKo; CDU/CSU/SPD) kurz ansprach, sprang Jörges direkt darauf an, indem er sagte: "Die haben ja noch gar nicht richtig angefangen". Das sei schon "schlimm genug", warf Wagenknecht ein, worauf er pampig gegenfragte: "Wie? Was ist schlimm genug?" Sofort zählte er die Daten auf. Die Regierung stehe seit dem 17. Dezember (2013). Dann sei Weihnachten gewesen, dann die "Silvesterferien" (sic!). Am 27. Januar werde Kanzlerin Merkel ihre Regierungserklärung abgeben. Jörges merkte nicht mal, dass es bis zur Regierungsbildung drei Monate gedauert hatte und bis zu Merkels Regierungerklärung 18 Wochen seit den Bundestagswahlen vergangen sein werden, nahezu fünf Monate.
Während Lanz und Jörges sich gegenseitig die Bälle zuwarfen, um Wagenknecht in Erklärungsnot zu bringen, blieb die Vize-Chefin der Linken trotz dieses einem Kreuzverhör ähnelnden Talks cool und argumentativ, wobei sie es verstand, den beiden neoliberalen Alphatieren den Adrenalinpegel bis unter die Stirnplatte zu treiben.
Lanz leistete sich dann die Frechheit, das Studio-Publikum zu beschimpfen, nachdem er Wagenknecht "schrille und populistische Töne" vorgeworfen hatte, "für die man dann auch Applaus kriegt, wie man gerade gemerkt hat". Da muss man sich schon fragen, was für einer Karikatur von einem Talkmaster das ZDF Mittel aus dem Gebührenaufkommen zukommen lässt? Lanz darf ja auch noch die Show Wetten-dass…? für teuer Geld in den Gulli ziehen und neuerdings nach dem Ausland reisen, umso laienhafte wie sinnfreie Dokumentationen daraus zu schnipseln.
Wagenknecht ließ sich nicht davon abbringen, ihr Themenspektrum, das durch Lanz‘ Einwürfe erweitert wurde, zumindest so weit mit stichhaltigen Argumenten zu unterfüttern, dass der gelernte Kommunikationswirt mitunter vollends in den Sphären anspruchsvollen Deutsches nach Luft schnappte. Während Wagenknecht substantiiert von "Demokratieabbau" und "Aushöhlung der Demokratie" durch den Lobbyismus an den EU-Institutionen sprach und ihr fünfjähriges Wirken als EU-Parlamentarierin auf Nachfrage erklären wollte, meinte Lanz fragen zu müssen: "Was verdient man denn da?"
Dümmer geht immer. Abgesehen davon, dass jeder, der es wissen möchte, das mühelos nachschauen kann, antwortete Sahra Wagenknecht, zu ihrer Zeit seien das "so um 7.000 Euro" gewesen, und wollte dann das Verhör wieder auf niveauvolle Höhe hieven. Doch da war ja noch der Haudrauf Hans-Ulrich Jörges, der sich mindestens so unerträglich wie Lanz präsentierte. Er glaubte, Sinnvolles von seinem hörbar politischen Halbwissen und seiner ideologischer Verbrämung in Rambo-Weise gegenüber Wagenknecht anbringen zu müssen und sichtbar Probleme hatte, dass ihn die stets gut informierte und sachlich argumentierende Linke-Vize eloquent den Hut stutzte.
Besonderen Zündstoff lieferte sie ihren Kontrahenten, indem sie die EU-Politik als militaristisch qualifizierte. "Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, die EU sei eine militärische Macht", so Lanz, und Jörges: "Das ist verantwortungsloser Stuss, den Sie da reden." Wagenknecht konterte: "Sie waren auch schon mal niveauvoller" und empfahl Jörges, sich "mal ein bisschen mehr mit den europäischen Strukturen" auseinanderzusetzen. Ein guter Rat.
Indes, es stellt sich die Frage, inwieweit sich die Markus-Lanz-Redaktion, und damit das ZDF, vom öffentlich-rechtlichen Anspruch politischer Ausgewogenheit verabschiedet hat, wenn der neoliberale Schreihals Jörges immer wieder eingeladen wird, um Linken-Bashing betreiben zu dürfen. Und es stellt sich die Frage, inwieweit die Meinungsbildung beeinflusst wird, wenn der sich Themen anlesende Talkmaster Lanz ebenfalls basht. Das erinnert dann schon stark an die ehemalige DDR-Sendung Der schwarze Kanal mit Karl-Eduard von Schnitzler.
Von der 75-minütigen Sendezeit galt die Hälfte Wagenknecht. Bleibtreu, Kahrmann und Möller mussten sich augenscheinlich wie Statisten fühlen. Im Durchschniit waren ihnen somit 12 Minuten zugedacht worden. Bleibtreu plädierte dafür, Schauspieler sollten eine qualifizierende Ausbildung durchlaufen, wenngleich das nicht vor Arbeitslosigkeit schütze. Von der ist Kahrmann betroffen.
Ein spätes Highlight war Philipp Möller, dessen erster Roman Isch geh Schulhof von der Situation des Grundschulalltags in Berlin handelt, in dem Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund die Mehrzahl stellen. Er brachte einige O-Töne aus diesem Alltag und nutzte die Gelegenheit, Lanz‘ Verhalten gegenüber Sahra Wagenknecht zusammenzufassen. "Die Kids würden sagen: Du, Herr Lanz, lass mal die Frau Wagenknecht ausreden."
© Jochen Henke
© GeoWis (2014-01-18)
Update (2014-01-23): Nachdem die Leipziger Ökonomin Maren Müller vor wenigen Tagen eine Online-Petition kreiert hatte, griff zunächst die Süddeutsche Zeitung das Thema auf. Zuvor hatte der Blogger Stefan Niggemeier zur Sendung geschrieben und teilsweise transkribiert (17.01.2014). Kurze Zeit später kamen auch die sonst so flotten Onliner von Spiegel und Welt nicht umhin, sich des Themas anzunehmen und in der ZDF-Mediathek noch mal nachzuschauen. Das ZDF gerät wegen der Causa Lanz zunehmend in die Bredouille, denn bis zur Stunde (18:53:49) haben 142.589 Leute die Petition unterschrieben, davon 134.914 aus Deutschland.