Zeit für Brombeeren
Die Abhörwut der NSA und des britischen GCHQ haben die Smartphone-Betriebssysteme iOS von Apple und Android von Google in Verruf gebracht. Dem technologisch noch über ihnen stehenden System von BlackBerry hat das bislang nicht allzu viel genutzt.
Von Martin Jasper (2014-02-13)
Dass das kanadische Unternehmen BlackBerry (früher: Research in Motion/RIM), ansässig in Waterloo, Ontario, die sichersten Smartphones für den globalen Massenmarkt herstellt und dazu als Pionier dieser aus dem Alltags- und Geschäftsleben kaum noch wegzudenkenden Mobiltelefone gilt, ist hinlänglich bekannt. Seit 1999 bringt es unentwegt Modelle auf den Markt und hat technologisch jahrelang Wettbewerber wie Nokia, Motorola, Sony-Eriksson und Samsung auf die Plätze verwiesen.
Bis Steve Jobs 2007 mit dem iPhone den Smartphone-Markt völlig neu interpretiert und durchgeschüttelt hatte. Das Touchscreen, eine Erfindung, die auf den Briten E. A. Johnson zurückzuführen ist, der sie ab etwa Mitte der 1960er Jahre für Rechnerbildschirme im Luftverkehr vorgesehen hatte, wurde durch den 2011 verstorbenen Apple-Guru Jobs wiederbelebt und revolutionierte den Markt für Mobiltelefone.
Design, Haptik und Bedienerfreundlichkeit des ersten iPhones, dazu die Inszenierungskunst von Steve Jobs während der Macworld in San Francisco, ließen die Konkurrenz erstarren und die Jobs-Jünger Schlange vor den Apple Stores stehen. Wie alle anderen Wettbewerber war auch RIM schockiert. Doch während die sich sofort daransetzten, Touchscreen-Handys zu entwickeln, setze man bei RIM darauf, dass die Nutzer es lieber sicher als hip hätten. RIM brauchte jedenfalls fast sechs Jahre länger als Apple, um sein erstes Smartphone mit Touchscreen auf den Markt zu bringen.
Im Februar 2013 stellte BlackBerry sein Z10 vor. Das allerdings schlägt alle bis dahin auf den Markt gekommenen Smartphones in vielen Bereichen um Längen - nur nicht hinsichtlich der Verkaufszahlen. Sein Betriebssystem OS 10 ist eine signifikante Weiterentwicklung des zuvor schon von der Fachwelt gelobten OS 7. Seine Vorzüge liegen vor allem in der Verschlüsselung von Nachrichten (E-Mails, SMS, BlackBerry Messenger/BBM), die automatisiert auf dem Gerät stattfindet, bevor die Nachricht gesendet wird.
Zum Leidwesen vieler Despoten, wie sie vor allem im afrikanischen und arabischen Raum vorzufinden sind, Chinas Lauschern und anderen Diensten mit Löffelrohren. Zu Berühmtheit gelangten die BlackBerrys, als der so genannte Arabische Frühling ausbrach. Damals wurden Smartphones von RIM in manchen Ländern verboten, konfisziert, denn Dank ihrer Verschlüsselungstechnologie konnten Militärs nicht mitlesen, wenn sich BlackBerry-Nutzer über den BBM zu Protesten gegen die Regimes absprachen, zumal die RIM-Server in Kanada und Europa stehen.
Zwei Jahre zuvor, 2009, hatten die Vereinigten Arabischen Emirate dank US-Hilfe mittels eines Schnüffel-Patches die E-Mail-Kommunikation von BlackBerry-Nutzern abgeschöpft, was RIM – obwohl nicht schuld daran, Reputation kostete. Auch deutsche IT-Schmieden helfen den Menschenrechtsverletzern und beteiligen sich auf diese Weise daran, die Sicherheit in der Telekommunikation bei Endverbrauchern zu torpedieren.
Mit 256 Bit verschlüsselt BlackBerry (aktuell nach AES-Standard, zuvor nach 3DES) die ausgehenden Nachrichten seiner Nutzer. Zwar lässt sich eine derartige Verschlüsselung knacken, aber es dauert. Je nachdem, über welche Hacksersoftware ein Staat verfügt, kann es sogar sehr lange dauern. Geheimdienste moderner Staaten wie etwa Deutschland verfügen über Entschlüsselungstechnologien oberhalb 512 Bit, doch ob sie die BlackBerrys knacken können, ist nicht gewiss. Leichter haben sie es beim iOS der iPhones und beim von Google entwickelten Betriebssystem Android, das auf den meisten Smartphones (Samsung, HTC, Sony, Huawei, …) installiert ist
BlackBerry verfolgt bei der Sicherheit für seine Endgeräte-Nutzer eine andere Politik als seine Konkurrenten, indem das Unternehmen nutzerorientiert vorgeht. Mehr als 500 Richtlinien („Policies“), die unter dem Rubrum „BlackBerry Enterprise Service“ (BES) niedergeschrieben sind, sorgen dafür. Bei den Richtlinien, die von den BlackBerry-Administratoren ausgeführt werden (können), handelt es sich schlicht und vielfach um Sicherheits- und Schutzmaßnahmen, die jeder naive Smartphone-Käufer grundsätzlich voraussetzt, doch bei keinem anderen Anbieter in dieser Fülle vorfindet.
Denn während Apple, Google und andere die Daten ihrer iOS und Android-Betriebssystemnutzer grundsätzlich monetarisiert, hält sich BlackBerry damit zurück. Dort jedoch, wo das Lauschinteresse am größten ist, in den USA und Großbritannien, müssen sich die Kanadier freiheitseinschränkenden Gesetzen, den Geheimdiensten und laschen Datenschutzgesetzen beugen oder Konzessionen machen.
US-amerikanische Geheimdienste, aber auch britische, sind trotzdem von BlackBerry genervt, weil in den USA und Großbritannien - nach jetzigem Kenntnisstand - kein einziger BlackBerry-Server platziert ist, der Kommunikationsdaten speichert. Unternehmensangaben zufolge werden lediglich Transferserver von den Kanadiern in Anspruch genommen. Über diese laufen die BlackBerry-Kommunikationsdaten verschlüsselt, glaubt man den Unternehmensangaben.
Das Z10 (wie auch das Z30) ist aus Nutzersicht nahezu idiotensicher. Selbst Kanzlerin Merkel verstünde es flugs. Es wartet zudem noch mit einem ansprechenden Design auf, und was mindestens ebenso wichtig ist: mit einem Material, das seinesgleichen sucht. So bestehen die Rückseiten von Z10 und Z30 aus einer kratz- und rutschfesten Kunststofflegierung, die es so bei keinem anderen Hersteller gibt. Das Gerät lässt sich auf einfache Weise öffnen, um etwa die SIM-/Micro-SIM-Karte auszuwechseln. Und, anders als beim iPhone, sind wichtige Eingeweide nicht fest verlötet, lassen sich also vom Endverbraucher austauschen, wenn er sich ein wenig mit dem Thema auseinandersetzt.
Abgesehen davon, dass sich der BlackBerryMessenger (BBM) nun auch für iOS und Android kompatibel zeigt, lässt sich viel vorinstallierter Schnickschnack mühelos entfernen. Wer Facebook, LinkedIn, Foursquare und sonstige Dienste nicht nutzen mag, kann sie mit dem kleinen Finger ratzfatz in den Orbit jagen. Ebenso leicht lassen sich diese Apps wieder installieren.
Wer sie nicht direkt deinstallieren mag, kann ihre Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten einfach mit dem Mittelfinger beschränken. Sämtliche Beanspruchungen von Apps auf Geo-Daten lassen sich auf einfache Weise stilllegen, so einfach, dass es Achtjährige verstehen. Vorinstallierte Suchmaschinen wie Yahoo und Google können ohne großen Aufwand deinstalliert werden. Lediglich die Deinstallation von Bing ist etwas komplizierter. Doch No-tracking-Suchmaschinen wie Duckduckgo können umstandslos hinzugefügt und Browserverläufe selbst von Voll-Legasthenikern einfachst gelöscht werden. Man muss sich nur mal damit beschäftigen. Wozu gibt es Wochenenden?
Kundige und viele Geschäftsleute halten sich zunehmend von iPhones und mit Android betriebenen Smartphones fern und benutzen lieber ein BlackBerry. Selbst unter US-amerikanischen Regierungsangestellten gelten die Smartphones aus Waterloo inzwischen als satisfaktionsfähig, wie US-Medien jüngst berichteten, denn die BBs bieten immer noch mehr Sicherheit als die Platzhirsche iPhone und Samsung. In den Umsatzzahlen der Dinger mit der stilisierten Brombeere schlägt sich das allerdings nicht massenhaft nieder.
Daher ist nicht erstaunlich, dass BlackBerry kürzlich in finanzielle Schieflage geraten ist. 4,4 Milliarden US-Dollar beträgt das Defizit laut letztem Geschäftsbericht. Die Aktie dümpelt zurzeit bei neun US-Dollar plus Pipi. Im Fiskaljahr November 2012 bis Dezember 2013 betrug der Umsatz des Unternehmens gut 11,2 Milliarden Dollar. 46 Prozent (knapp fünf Mrd.) davon wurden in Europa, dem Nahen Osten und Afrika erwirtschaftet. Der NAFTA-Raum (USA/MEX/CAN) kam auf 2,75 Mrd, der lateinamerikanische Markt südlich Mexikos auf knapp 1,8 Mrd, dicht gefolgt vom asiatischen mit 1,73 Mrd.
Ist BlackBerry zu gut? Noch im 2. Quartal 2013 verkaufte das Unternehmen mehr als 3,7 Millionen Smartphones, hauptsächlich mit dem OS 7; im dritten waren es nur noch 1,9 Millionen, obwohl das Z10 bereits eingeführt war. Zwar gibt es weltweit gut 50 Millionen BB-Nutzer, im Vergleich zu den Konkurrenten Apple und Samsung ist das jedoch bescheiden. Die Platzhirsche, die für ihre Kotaus gegenüber der NSA bekannt sind, verkaufen jährlich locker so viele Smartphones wie BlackBerry in seiner gesamten Edition.
Euphemistisch ließe sich sagen, dass BB-Kunden womöglich derart zufrieden mit ihrem bereits erworbenen Smartphone sind, dass sie es so lange wie möglich nutzen wollen. Offenbar sind aber BB-Marketingleute zu harm- und ideenlos, eine vernünftige Performance für die immer noch innovativen Produkte auf die Beine zu stellen. Denn BlackBerry Z10/Z30 etwa sind ideal dazu geeignet, eine globale Marketingoffensive zu starten, die es in sich hätte, wenn ihr neuer CEO John Chen und seine Marketingfuzzis nur endlich von Steve Jobs zu lernen fähig wären.
John Chen, seit letztem Herbst am Ruder, hoppst noch in anderen US-Unternehmen herum, die weit entfernt von der BlackBerry-Welt sind. So beim Finanzkonglomerat Wells Fargo & Company und beim Disney-Konzern. Es darf gelacht werden. Nichtsdestotrotz hat Chen BlackBerry in die Gewinnzone zu befördern. Ob er es besser als sein deutscher Vorgänger Thorsten Heins machen kann, muss abgewartet werden. Um BlackBerry wieder in die Gewinnzone zu bringen, braucht die Firma unbedingt jemanden, der ihre Produkte als „stylish“ zu vermarkten imstande ist. Einen Charismatiker, zum Beispiel.
Statt ordentlich Dollars in zielgerichtetes und lebendiges Marketing zu investieren, um die potenzielle Kundschaft zu begeistern, erweist sich BlackBerry als zugeknöpftes, hinsichtlich seiner Werbemaßnahmen geradezu im 20. Jahrhundert verhaftendes Unternehmen, dessen Prämisse das rein Buchhalterische zu sein scheint.
Wem nützt es, wenn nur eine überschaubare Nutzergruppe und die Entwickler wissen, wie gut das Produkt ist? Wo ist der Jobs von BlackBerry? Der Kern aller Werbe-Botschaften lautet: Kauf mich! Er ließe sich mit Leichtigkeit ergänzen, wenn man nicht nur ein gutes Produkt hat, sondern auch überzeugt von seinem guten Produkt ist. Ein Konditionalsatz böte sich da an: Kauf mich, wenn du mir vertraust! Da reicht es nicht, eine Alicia Keys als Werbefigur unter Vertrag zu nehmen. Fürs Marketing auch auf die Geographie geachtet werden.
Jeder weiß, dass Stars für Geld alles sagen oder trällern. Solange sie glaubwürdig sind, dürfte es in Ordnung sein. Doch eine recht unpolitische Soul-Röhre wie Keys als Werbeträgerin in extrem politischen Zeiten zu buchen, ist irgendwie weltfremd. Da bedarf es doch eher internationaler Prominenter, die bereits Statements abgegeben haben, sei es in Interviews oder durch ihre Arbeit.
Ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit genießen etwa - aus der Filmbranche - George Clooney, Jeff Bridges („The Dude“), Ridley Scott, Johnny Depp, Christopher Walken, Javier Bardem, Gael Garcia Bernál, Vanessa Bauche, Zhang Ziyi. Warum nicht auch regionale Stars in Indonesien, Japan, Brasilien, Indien, und - warum nicht - Deutschland für Werbezwecke anheuern?
Weshalb nicht Musiker buchen, denen die Geräte zuvor zum Ausprobieren überlassen werden, damit Unbefangenes in die Kamera gesprochen werden kann? Und warum nicht dort burlesque vorgehen, wo es nicht gegen Sittengesetze verstößt? Etwa in Schweden, Spanien und Frankreich? Das sind Länder, deren Bevölkerungen mit Schmackhaftem gut umgehen können. Sex sells, vor allem dann, wenn man ein Produkt hat, das sexy ist.
Es scheint, als bräuchte BlackBerry einen Kulturbeauftragten, der ein Team um sich scharen dürfte, das sich gegenseitig mit Ideen befruchtet und Synergieeffekte erzielt. Ein Team, das nicht buchhalterisch, sondern interkulturell denkt und für ein gutes Produkt einsteht, indem es auf den Tisch haut, sozusagen die deutsche Art an den Tag legt, anstatt nur sanft oder gar keine Kritik am CEO zu üben.
Warum nicht das Kodak-Theatre einmal pro Jahr für den ganz großen Auftritt buchen, um die BlackyBerry World, die bislang nur als virtueller Begriff existiert, unter dem Berge von überflüssigen Apps dargeboten werden, mal als öffentliche Veranstaltung stattfinden zu lassen? Bands fürs Preludio einzuladen oder ein anderweitig spannendes, gar frivoles oder clowneskes Theater zu veranstalten?
Buchhalter wie John Chen könnten damit hadern. Er ist chinesischer Herkunft, wo in dieser Hinsicht früher im Allgemeinen so viel Sex und Charme versprüht wurde, dass sogar feuchtes Laub im Wald schneller trocknete, als es physikalische Gesetze erlaubten. Allerdings ist in China inzwischen eine völlig neue Generation an jungen Leuten an den Start gegangen. Und in Kanada?
So gewiss es ist, dass das Laub im Herbst von den Bäumen fällt, so sicher ist es, dass man darauf geräuschlos spazieren gehen kann. Ist es das, was BlackBerry will? Geräuschlos durch den Wald spazieren gehen? Durch einen Wald, in dem iPhones iOS und Googles Android als mächtige Bäume stehen und der BlackBerry-Spaziergänger vor lauter Ehrfurcht am liebsten unters Laub kriechen möchte?
© Martin Jasper
© GeoWis (2014-02-13)
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