"Kumm man röwer"
Geologisch betrachtet, liegt das Havelland auf der Oberfläche von Grund- und Endmoränen. Literarisch hat ihm Theodor Fontane mit seinem Gedicht Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland zu Berühmtheit verholfen. Der Ort Ribbeck lockt an, während Übereifrige die Idylle stören.
Von Uwe Goerlitz (2014-04-02)
50 Kilometer westlich von Berlin-Mitte liegt Ribbeck im von Urstromtalungen, Moränen, Land- und Forstwirtschaft geprägten Havelland unweit der nach der Wende gemäß westdeutschen Standards hergerichteten Bundesstraße 5. Der Ort wäre wie die in der Nähe liegenden Siedlungen Lietzow, Berge, Selbelang und Pessin kaum erwähnenswert, hätte ihm nicht der Dichter Theodor Fontane vor 125 Jahren ein literarisches Denkmal gesetzt: Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Von Ribbeck, der Gute, der von seinen Birnbäumen stets den Kindern abgibt - "Junge, wiste 'ne Beer?" (…) "Lütt Dirn, kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn" -, scheidet dahin. Sein Nachfolger geizt mit den Birnen und die Kinder sind traurig. Der alte von Ribbeck aber war klug. Er ahnte, dass sein Erbe, der Sohn, den Kindern keine Birnen mehr gäbe. Von Ribbeck sorgte vor, ließ sich eine Birne mit ins Grab legen, denn er wusste, ein neuer Birnbaum würde daraus entstehen und die Kinder glücklich machen.
Generationen von Schülern hat Heimatdichter Fontane im Herbst seines Lebens dieses 1889 veröffentlichte Gedicht ins Lesebuch geschrieben, das längst zum deutschen Kulturgut gehört.
Es ist eine Hommage an das Gute im Menschen, dem das Schlechte gegenüber steht. Vorbild für Fontanes Ballade war der Gutsherr Hans-Georg von Ribbeck (1689-1759), der zu Zeiten sozialen Elends Birnen an Kinder verschenkt habe, so die Überlieferung. Wohl nicht stets von der gleichen Sorte. Laut des Pomologen Artur Steinhauser konnte von Ribbeck zwischen Petersbirne, Kleiner Muskateller Birne, Römischer Schmalzbirne, Blutbirne und weiteren wählen.
Unter den Nazis waren die von Ribbecks, Antifaschisten, enteignet worden. Hans von Ribbeck wurde im KZ Sachsenhausen ermordet. Nach Kriegsende ging das Gut als so genanntes Volkseigentum in den Besitz der ehemaligen DDR über, und nachdem die sich 1990 mit dem jahrzehntelangen Klassenfeind BRD vereinigt hatte, wollte der es nicht zurückgeben. Es folgten mehrjährige Rückgabeverhandlungen mit dem Brandenburgischen Landesamt für Vermögensfragen, dem Landkreis Havelland, der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), ein Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland, und dem Finanzministerium, während denen das Gut, insbesondere das Schloss, weiter dem Verfall ausgesetzt war.
Den Nachfahren der enteigneten von Ribbecks wurde zwar zunächst nach dem NS-Entschädigungsgesetz die Rückgabeberechtigung gerichtlich zugesprochen, doch nicht in letzter Instanz. Auf Grund der juristischen Gemengelage und damit verbundenem hohen Prozessrisiko schlossen sie 1999 vor dem Verwaltungsgericht Potsdam einen Vergleich, in dem sie auf die Rückgabe verzichteten und eine Entschädigung nach einer Wertbemessung von 1935 akzeptierten.
So verblieb das Schloss Ribbeck im Besitz des Landkreises, der im November 2005 beschloss, die Kosten für die Sanierung und Restaurierung zu tragen und damit einen touristischen Anziehungspunkt zu schaffen. Im Juli 2009 war man damit fertig. Längst sind die heute rund 600 Ribbecker glücklich darüber, und über das Fontane-Gedicht, denn es verheißt ihnen ein Auskommen.
Im Zuge der Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahmen wurden auch einige andere Bauten, etwa die Kirche, sowie Straßen und Grünanlagen wieder in Schuss gebracht. Dazu wurde ein Deutscher Birnengarten mit 16 Birnbäumen (aus jedem Bundesland einer) angelegt. Im Schloss befindet sich ein geräumiges, vorzeigbares Trauzimmer als Außenstelle des Standesamtes Nauen. Zuwege rund um Schloss und Kirche sind kopfsteingepflastert, Kotten und ehemalige landwirtschaftliche Nutzgebäude einigermaßen saniert. Ribbeck lebt von der Saga um von Ribbecks Birnbaum.
Den gibt es zwar schon lange nicht mehr, doch wen stört’s? Wer nach Ribbeck kommt, möchte überprüfen, ob das literarische Bild dem realen entspricht. Wer nach Ribbeck kommt, möchte davon schwärmen, wie sehr er das Gedicht mochte und immer noch mag, möchte seinen Kindern und Enkeln davon erzählen, denn längst ist es nicht mehr überall in den Lehrplänen der Grund-, Haupt- oder anderen Schulformen enthalten. In Lesebüchern auch noch kaum.
Ribbeck, der Ort, erscheint als Idylle pur, sonnabends und sonntags bei schönem Wetter. Er ist die Ruhe selbst, sozusagen ein Ort, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Selbst die mancherorts in Rudeln auffahrenden Biker und Radler trifft man dort nur vereinzelt an. Spaziergänger können aufatmen. Kinder können sich einigermaßen unbedacht bewegen. Es herrscht Ruhe im Ort, den man lediglich auf einer großmaßstäblichen Karte findet.
Das Schloss ist der Anziehungspunkt. Wer mit dem PKW anreist, muss sich vorsehen, denn es gibt rund um das honorige Gemäuer und die nahe Kirche nur wenige Parkplätze, indes manche freie Stellen, die zum Parken verleiten. Doch Obacht! „Die verteilen hier auch sonntags Knöllchen“, so ein älterer Einheimischer, der kein Auto mehr fährt. „Alle 20 Minuten kommen die hier vorbei.“ Eine Schande sei das. “Die vertreiben uns die Leute. Das spricht sich doch rum, wenn die hier abkassiert werden. Dann kommt doch keener mehr.“
Tatsächlich klemmen übereifrige Ordnungskräfte gnadenlos Strafzettel an die Windschutzscheiben von Ribbeck-Touristenauch wenn deren Parkweise niemanden behindert. Das Parkverbotsschild ist weit abseits der vermeintlichen Freiflächen angebracht. Im Grunde kann es nur das Storchenpaar sehen, das auf dem Schornstein rechts der Kirche nistet. Der gemeine Tourist eher nicht.
So betrachtet, ist die Zeile "Der neue freilich, der knausert und spart, hält Park und Birnbaum strenge verwahrt" von Fontanes Gedicht auf das Heute übertragbar. Andererseits ist der alte von Ribbeck bei den Ribbeckern verinnerlicht. Sie warnen die Touristen netterweise vor den Strafzettelverteilern, was der alte von Ribbeck Kutschern gegenüber sicherlich auch getan hätte.
Von Ribbecks Nachfahren haben dank der Attraktivität des Ortes mittlerweile ein ordentliches Auskommen. Sie vermarkten unter ihrem Namen Edelbrände, Birnenliköre und Birnenessig. "So spendet Segen noch immer die Hand des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland."
© Uwe Goerlitz
© GeoWis (2014-04-02)
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