Die Banalität des Verbrechens
Kriminalromane und Filme, die sich mit Mord, Totschlag sowie der Arbeit der Polizei beschäftigen, erfreuen sich derzeit einer Hochkonjunktur. Die hierzulande weitgehend sozial abgesicherten Bürger suchen nach mehr oder weniger gelungener Unterhaltung, die etwas Spannung in ihr meist ereignisarmes Leben bringt. Es geht auch anders.
Von Wolfgang Körner (2014-04-04)
Nein, von gepflegtem Schauder, die Leser gern mit einem Glas Rotwein im bequemen Lesesessel oder mit kalorienreicher Knabberware vor dem Fernsehgerät genießen, kann in diesen neun Erzählungen des Bochumer Autors keine Rede sein. Er schildert lediglich realistisch Verbrechen, an deren Aufklärung er als Kriminalbeamter beteiligt war. Er ohne den Anspruch, literarische Kunstwerke zu schaffen. Genau deshalb ging mir dieses Buch unter die Haut, wie selten ein Krimi zuvor. Bottländers Erzählungen lassen den Leser schaudern, gerade weil er so unverstellt Verbrechen schildert, wie sie sich jederzeit ereignen und deren Opfer jeder von uns werden kann.
Da ist zum Beispiel der frustrierte, verhaltensgestörte Oliver Blechschmidt, der drei junge Frauen einfach mal so mit dem Messer tötet, weil ihm halt danach verlangt und er dazu imstande ist, weil ihn ein Gutmensch in Gestalt eines Richters im Alter von zwölf Jahren nach einem Gewaltverbrechen nicht die Psychiatrie einwies, in die er gehört hätte.
Ein Pornoproduzent ist irgendwann nicht mehr bereit, seinem verschwenderisch lebenden Geschäftspartner weiter Geld zu schenken. Der Geschäftspartner bricht in das Haus eines Bekannten ein, stiehlt von ihm Schusswaffen und bringt den Filmproduzenten um. Einfach so. Aus Wut. Weil er ihm nicht noch mehr Geld gab.
Wesentlich geräuschloser, wenngleich heimtückischer bringt eine Mutter ihre beiden Ehemänner um, mit deren geringen Ersparnissen sie den Geldbedarf ihrer Kinder befriedigen will. Sie mischt kleine Mengen Gift in die Nahrung ihrer Männer. Die Männer erkranken und sterben einen qualvollen Tod. Keiner der Ärzte schöpfte Verdacht. Zweimal wurde die Leichenschau, wie hierzulande leider üblich, sehr flüchtig vorgenommen und zweimal ein natürlicher Tod bescheinigt. Nur ein Geständnis der Täterin, die volltrunken die Polizei anruft, um zu erfahren, ob eines ihrer Kinder sie denunziert hat, führt zu Ermittlungen und zur Obduktion der Mordopfer.
Im Gegensatz zu den meisten Kriminalromanen und Filmen der Reihe „Tatort“, in denen Täter meist mit krimineller Intelligenz agieren und die Polizei zu erheblichem Scharfsinn veranlassen, sind die Verbrecher in Bottländers Erzählungen oft Angehörige der Unterschicht, die aus Geldgier oder unter Druck ihres Sexualtriebes blöde Verbrechen begehen, über deren Folgen nachzudenken sie nicht in der Lage sind.
Meist morden sie in ihrem Umfeld, was den Kriminalbeamten die Aufklärung der Tat mitunter leicht macht. Wie gefährlich der Beruf des Kriminalbeamten dennoch ist, schildert der Autor am Beispiel eines Beamten, der einen Täter – eindeutig in Notwehr – erschießt und daran zerbricht, dass er einen Menschen getötet hat.
Diese Erzählungen, vielleicht gerade, weil in ihnen so schlicht und nüchtern geschildert wird, wie Menschen andere Menschen umbringen und wie wenig dazu gehört, zu einem Opfer zu werden, machen betroffen. Gewiss, jedes Verbrechen lässt Rückschlüsse auf jene Gesellschaft zu, in der es begangen wird. Ist in einer Gesellschaft, die Besitz und Triebbefriedigung zu zentralen Grundwerten gemacht hat, etwas anderes zu erwarten?
Reinhard Bottländer: Infam - und tödlich. Wahre Kriminalerzählungen. 214 Seiten. ISBN 978-3-8196-0944-2, Brockmeyer Verlag, Bochum, 2014.
© Wolfgang Körner
© GeoWis (2014-04-04)