Missratenes Kind vieler Väter
Die Maut für PKW soll kommen. Das verspricht Bundesverkehrsminister Dobrindt. Für alle.
Von Jochen Henke (2014-05-15)
Eine PKW-Maut werde es mit ihr nicht geben, verkündete Kanzlerin Angela Merkel entschlossen im Sommer 2013, nachdem Bayern-Regent Horst Seehofer (CSU) eine solche für ausländische Fahrzeuge auf deutschen Straßen als Wahlkampfthema entdeckt und zur Bedingung für "einen Koalitionsvertrag" (zeit.de) gemacht hatte. Hä? Die CSU, Schwesterpartei der CDU, stellte Bedingungen? Wäre die Konsequenz bei Nichterfüllung etwa gewesen, dass sie nicht an der Regierung hätte teilnehmen wollen?
Wer sollte das denn glauben? Die mit dem Auto zur Wahlurne fahrenden und ungeachtet jeglichen Halteverbots jeden Quadratzentimeter Straßenrand zuparkenden Wähler abseits der Rollatorfraktion, High-Tech-Fahrrad-Speedos und strammen Nordic Walker natürlich. Für Merkel war das ein Thema zur Unzeit. Sich gegen 40 Millionen Autofahrer zu stellen, hätte in einer Wahlniederlage enden können. Auf Seehofer war sie daher nicht gut zu sprechen.
Alles nur Show? Aber gewiss. Wenige Wochen nach der gewonnenen Bundestagswahl ließ Merkel ihren Chef-Journo Steffen Seibert verkünden, die Kanzlerin hätte "eine PKW-Maut, die inländische Autofahrer zusätzlich belastet, immer abgelehnt" (zeit.de). Der arme inzwischen sichtlich an Schlafmangel leidende Regierungssprecher Seibert hat wahrscheinlich zuvor nie so viel lügen müssen wie seit seinem Wechsel vom ZDF zu Merkel. Wenn Mutti Merkel fürs Wahlvolk Sprüche heraushaut, die sich anhören, als wären sie in Granit gemeißelt, muss Seibert hinterher erklären, dass es nur luftdurchsetzter Mörtel war.
Horst Seehofers Vorschlag hatte natürlich sofort auch die Anti-Diskriminierungsfront der EU auf den Plan gerufen. Der alte Fuchs Seehofer war sich dessen bewusst. So doof kann man ja gar nicht sein, als Politiker, das nicht zu erahnen, wenn man nur ausländische PKW mit einer Wegezollgebühr (Amtsdeutsch: Straßennutzungsabgabe) bedenken möchte. Die Scharade hat bisher prächtig funktioniert. Das semantisch auf den ersten Blick angeblich misslungene Vorpreschen Seehofers entpuppte sich alsbald als geschickte Einleitung pro PKW-Maut.
Denn die Frage, ob es eine PKW-Maut überhaupt geben sollte, wird gar nicht mehr gestellt. Als es vor zwölf Jahren um die Einführung einer Abgabe für die Autobahnnutzung von LKW ging und sich ein Konsortium aus Deutsche Telekom, Daimler und der französischen Vinci-Gruppe als toll-collect-GmbH gründete, Speditionen Sturm liefen, es verteure den Gütertransport - und damit die zu transportierenden Güter -, triebe Transportunternehmen in die Pleite - was partiell der Fall war -, waren sich Politiker quer durch die Bank einig, dass eine PKW-Maut nicht eingeführt würde.
Drei Bundesverkehrsminister - Bodewig, Stolpe, Tiefensee -, allesamt SPD, die ersten Beiden unter der Regierung Schröder/Fischer, Tiefensee unter der ersten Nachwende-GroKo, wiederholten das Credo, eine PKW-Maut werde es nicht geben. Selbst Peter Ramsauer (CSU), der Nachfolger von Tiefensee, wollte öffentlich nichts davon wissen. PKW-Maut? No way!
Nun ist es dem zwar fachfremden - das hat Tradition in diesem Ministerium, ein Führerschein scheint als Qualifikation auszureichen -, aber verdienten Ex-CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt aufgetragen, die PKW-Maut zu implementieren. Ab 1. Januar 2016 werde sie "scharf gestellt", so der Bundesverkehrsminister jüngst, der vor wenigen Tagen noch vor Kindern Käpt’n Blaubär für sein Thema missbrauchte. Die PKW-Maut soll kommen.
Knapp fünf Milliarden Euro aus der LKW-Maut zum 30 Milliarden Euro umfassenden Etat reichen dem Verkehrsministerium offenbar nicht, der Auto-Nation Deutschland die mal gut, mal schlecht geteerten Verkehrswege zu finanzieren. Anstatt die Kraftfahrzeughersteller mit ins Finanzierungsboot zu nehmen, die immerhin ungeachtet der nicht mehr ausreichenden Kapazität deutscher Autobahnen und Bundesstraßen PKW so preiswert wie möglich in den Markt drücken, sollen die Nutzer der PKW zahlen.
Diese Einseitigkeit der Kostenverteilung ist ähnlich schräg wie die der Abwälzung der Kosten für Old-School-Energiegewinnung und -versorgung durch Oligopole. Wo bleibt da der Aufschrei des ADAC, der Millionen Autofahrer vertritt? Oder sind es weniger? Zugegeben, eine rhetorische Frage. Er leckt seine Wunden, nachdem er erst seinen Statistikenfälscher Michael Ramstetter, dann seinen Präsidenten Peter Meyer verlor.
Dobrindt, von Haus aus Soziologe und als CSU-General oft als beißwütiger, geradezu unerzogener Dobermann von Seehofer aufgetreten, macht das, was jeder Minister ohne haushälterische Fähigkeiten macht: Er kassiert bei der Masse. In diesem Fall bei den KFZ-Haltern. Es war ja auch nicht er, der versprochen hatte, es werde keine PKW-Maut geben. Das war Merkel. Und vor ihr war es Ex-Kanzler Schröder.
Dabei finanzieren Deutschlands KFZ-Halter seit sechs Jahrzehnten die Bundesstraßen- und den Autobahnbau über die Kraftfahrzeugsteuer, und alle Steuerzahler sowieso. So gut wie alle Straßen, Tunnel und Brücken in Deutschland sind aus Steuermitteln finanziert worden. Weshalb nun nochmals, und dauerhaft, abkassieren? Zahlt etwa jemand doppelte Miete?
Gut fünf Milliarden zusätzlich flössen jährlich in den Etat des Bundesverkehrsministeriums, wenn Dobrindts Gesetz in Kraft träte. Mindestens. Kompensation für deutsche KFZ-Halter unterhalb der LKW-Stufe soll über die Kraftfahrzeugsteuer erfolgen. Da fragt man sich, wie viel dabei für Halter von steuerbefreiten Elektro-Autos und geringfügig besteuerten Kleinwagen neuester Bauart herauskommen soll? Ökonomisch gesehen, nicht soziologisch.
Immerhin will Dobrindt eine Milliarde Euro für die Sanierung von Brücken ausgeben. Zwar wäre im Hinblick auf Bundesstraßen und Autobahnen, für die der Bund zuständig ist, mindestens das 20- bis 30-Fache notwendig, um den Sanierungsstau einigermaßen schnell zu beheben und zu vermeiden, dass Autofahrer plötzlich abstürzen. Doch
Private Investoren, also Unternehmen, sollen helfen, Straßen zu bauen. Da kostet der Kilometer locker um zehn Millionen Euro, nimmt man zum Beispiel die 22,5 Kilometer der A4 um die Hörselberge bei Eisenach(Thüringen), die im Sommer 2010 freigegeben wurden. Das Stück (Neubau) wurde von Via Solutions, an dem der Baukonzern Hochtief beteiligt ist, kostete 200 Millionen Euro.
Praktisch, dass Via Solution auch den Betrieb der A4 von der hessischen Landesgrenze bis nach Gotha übernimmt, wie die Allgemeine Bauzeitung damals berichtete. Die Refinanzierung des privaten Bau- und Betreibermodells erfolge über die Einnahmen aus der Lkw-Maut auf dem Autobahnabschnitt, die bis 2037 an das Unternehmen fließen. Da freut man sich doch über die PKW-Maut ab 2016, die 21 Jahre lang zusätzliche Einnahmen für das Konsortium bedeutete.
Wegelagerei gab es schon immer. In Deutschland war sie seit Bismarck abgeschafft. Das Straßennetz war aus Steuermitteln erbaut worden. Nutzungsgebühren waren nicht vorgesehen. Die Maut, ein missratenes Kind vieler Väter, ist ein Rückfall in jene Zeit, in der Herzöge und Fürsten, Robin Hood und Grundbesitzer Wegezoll verlangten.
© Jochen Henke
© GeoWis (2014-05-15)