Ernüchternde Zwischenbilanz
Die Folgen des verheerenden Unwetters, das am Abend des Pfingstmontags über Rheinland und Ruhrgebiet wütete, sind noch nicht im Griff, die Schäden noch nicht in Euro bezifferbar. Eines ist aber jetzt schon klar: Taxifahrer und Flächenversiegelung könnten die großen Verlierer sein.
Von Uwe Goerlitz (2014-06-13)
Taxifahrer sind eine seltsame Spezies. Nachts rasen sie durch die Großstädte, tagsüber stehen sie sich nicht selten an Sammelplätzen wie den Hauptbahnhöfen oder Flughäfen die Beine in den Bauch. Viele von ihnen beherrschen zwar die deutsche Sprache nicht ausreichend, aber ihr Smartphone, mit dem telefoniert wird, sobald jemand anruft. Selbst, wenn es nur die Gattin ist.
Taxifahrer sind im Allgemeinen indes nicht nur Multitasker, sondern im Besonderen auch stur und gelegentlich adversativ. So fand just nach dem Unwetter vom Pfingstmontag, von dem sämtliche Städte von Rhein-Ruhr stark getroffen wurden, eine Kutscher-Demonstration mit gut 60 Fahrzeugen in der Kölner City statt, die sich gegen den Vermittler von Privatfahrern, uber.com, richtete. Die Sache floppte.
In Verruf geriet die Spezies Taxifahrer vor allem am vergangenen Dienstag, als sie reihenweise den mit Gutscheinen der Deutschen Bahn ausgestatten Gestrandeten die Beförderung verweigerten.
Eine Beförderungspflicht besteht nur innerhalb der Stadt, in der die Kutsche registriert ist. In Essen und Dortmund ließen sie die Leute vielfach mit abstrusen Begründungen - "Habe gerade Feierabend", "Kenne mich in Recklinghausen nicht aus", "Habe eine Terminfahrt" - stehen oder fuhren erst gar nicht vor. Gegen Bargeld aber fuhren sie.
Diese sture Haltung hat sich dann seit Dienstagabend weitgehend geändert, nachdem auch den Leseschwächsten unter den Kutschern klar geworden war, dass das der Branche nachhaltig Schaden zufügen könnte. Bis zum Freitagnachmittag (13.06.) sind nach Angaben der Deutschen Bahn 40.000 Taxi-Gutscheine ausgestellt worden, gültig für maximal vier Personen, die, ganz gleich aus welchem Grund, in dieselbe Richtung oder Stadt gelangen mussten.
Die Folgen des Unwetters, dem inzwischen ein Name zugeteilt wurde („Orkan Christian“), sind vor allem im Ruhrgebiet und der Landeshauptstadt Düsseldorf noch immer spürbar. Zwar sind die Autobahnen und andere Hauptverkehrstrassen weitgehend befahrbar, aber die der Schienenverkehr zwischen Düsseldorf und Dortmund funktioniert noch nicht. Also staut sich der Berufsverkehr zusammengefasst auf weit über 300 km.
Laut Deutscher Bahn sind 1500 Kilometer Schiene von Oberleitungsschäden und auf Gleisen liegenden Bäumen und Geäst unbefahrbar gewesen. 900 km habe man bereits wieder instandsetzen und befahrbar machen können. Doch auf der - vor allem für Pendler und Flugreisende - wichtigen Strecke Düsseldorf-Dortmund seien allein noch 60 km Oberleitung zu reparieren.
Von den Streckensperrungen sind zudem viele Unternehmen betroffen, die ihre Rohstoffe und Erzeugnisse mit der Bahn transportieren lassen müssen. So Unternehmen der Chemiebranche und der Stahlindustrie. Im Duisburger Hafen stapeln sich einerseits Kontainer, die nicht abtransportiert werden können; andererseits fehlt die Zufuhr von Material.
Wer das Ruhrgebiet nicht kennt, könnte jetzt fragen: Gibt es dort überhaupt so viele Bäume? Und sind da jetzt noch welche? Ja, gibt es, und es sind noch reichlich welche dort, die nicht entwurzelt oder gespalten wurden. Wenngleich die Schäden in den Forsten erheblich sind und deshalb von den Behörden und Feuerwehren davor gewarnt wird, ein Waldspaziergang zu unternehmen. Ohnehin gibt es Absperrungen und Zugangsverbote.
Wie groß das Ausmaß der Verheerung ist, lässt sich auch daran erkennen, dass etwa in Düsseldorf heute die Bundeswehr in die Wälder einrücken musste, um bei der Schadensbeseitigung zu helfen. Wo Bäume auf Privat- oder Wohnhäuser, auf Autos oder in Gärten gestürzt sind, wird oft selbst Hand angelegt. Die Baumärkte verkaufen Kreissägen, als würde es sich um frische Brötchen handeln.
Überall in den Städten werden Bäume und Geäst von Hausbesitzern, Mietern und Mitarbeitern von Gartenbaubetrieben zerkleinert, denn die Feuerwehr und andere öffentliche Hilfsdienste nehmen sich zunächst die gefährlichsten Behinderungen vor. Das hauptsächlich zu vernehmende Geräusch ist seit Dienstag allerorts das der Kettensägen.
"Bei uns kommen die erst in drei Wochen", sagt ein Anwohner im Dortmunder Stadtteil Eving. "Den Dicken da", er weist auf einen Baum, der auf einem Garagendach liegt, "müssen wir erst mal liegen lassen. Der hat das Dach vom Haus gestreift. Da muss erst der Gutachter gucken." Doch auch die Sachverständigen haben in diesen Tagen viel zu tun.
Überall packen die Leute mit an, allerdings mit Vorsicht, denn Holz, das hat sich herumgesprochen, kann recht gefährlich sein. Dann, wenn es unter Spannung steht. Holz ist zudem schwer, was man dann feststellt, wenn man mal - beispielsweise - einen Stück von einem Meter Länge und 50 Zentimeter Durchmesser allein wegzuschaffen versucht.
Orkan Christian war punktuell heftiger als Orkan Kyrill vor siebeneinhalb Jahren. Laut Angaben des Landesbetriebs Wald und Holz NRW säbelte der Orkan nach gegenwärtigen Schätzungen „fast 80.000 Kubikmeter Holz allein im Wald“ um, davon 50.000 Kubikmeter im Ruhrgebiet. Bei Kyrill waren es insgesamt zwar 37 Millionen Kubikmeter. Allerdings: Kyrill hatte jede Menge schnell wachsendes Nutz- und Verbrauchsholz, meist Fichten, niedergemäht, während Christian 30- bis 100 Jahre alte Buchen, Kastanien und anderes Gehölz knickte und spaltete.
Kyrill richtete seinerzeit vor allem in der Fläche große Schäden an, während Christian tornadoartig in den Städten wütete. Begünstigt wurde das Umkippen der Bäume vor allen durch die Flächenversiegelung und die Jahreszeit. Die volle Blätterpracht wiegt bereits in trockenem Zustand etliche Zentner, und wenn sie nass wird mehrere Tonnen.
Zum Verhängnis wird das den innerstädtischen Bäumen, in denen man kaum das Billiggewächs Fichte findet, sobald orkanartige Böen auf sie einwirken. Sie wurzeln anders als in Wäldern, in denen sie ungehindert Zugang in die Tiefe des Bodens finden. Blickt man auf die entwurzelten Bäume innerhalb der Stadt, fällt auf, dass sie flach und in die Breite gewurzelt haben, weil sie sich nicht oder kaum durch die unter dem Asphalt liegenden, bis zu 60 cm starke Schotterschicht kämpfen konnten. Hanseaten würden sagen: "Aus dem Anker gehoben."
Die makroökonomischen Schäden sind bislang kaum zu beziffern. Bei Kyrill waren es gut 2,5 Milliarden Euro. Von Milliarden spricht zu Christian noch niemand. Ebenso wenig davon, dass man die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes, eine Bundesbehörde, offenbar kollektiv nicht sachgerecht eingeschätzt hatte. Das sollte zu Denken geben. Wer haftet eigentlich, wenn eine Bundesbehörde zwar eine Unwetterwarnung herausgibt, sie aber möglicherweise hinsichtlich ihrer lokalen Auswirkung nicht näher eingeschätzt wird? Der Bund, möchte man meinen.
Doch wie schon so oft geschehen, wird sich der Bund, sprich: der Finanzminister, der Innenminister, der Umweltminister, der Wirtschaftsminister und die Kanzlerin, winden, Schecks auszustellen. Insbesondere wird sich das für den Deutschen Wetterdienst zuständige Ressort und dessen übergeordnete Instanz auf Ministerebene geschmeidig aus der Verantwortung zu schleichen versuchen. Davon, jedenfalls, sollten alle Betroffenen ausgehen.
© Uwe Goerlitz
© GeoWis (2014-06-13)