Laoban - Ein Berg zum Genießen
Die altehrwürdige Universität für Agrarwissenschaften in Ya’an, Provinz Sichuan, genießt weltweit in Fachkreisen Ansehen. Auf ihrem Gelände befindet sich der Laoban, ein besonderer Berg.
Von Uwe Goerlitz (2014-06-14)
Zu den herausragenden innerstädtischen Oasen Ya’ans gehört das Gelände - im zentralen Stadtteil Yucheng südlich des Qingyi Jiang- der Sichuan Agricultural University, auf das man offiziell nur gelangt, wenn man am Eingangsportal von jemandem abgeholt wird, etwa Studenten oder Lehrpersonal. Aber das Vorzeigen eines Ausweises reicht in der Regel, um auch ohne Empfangsperson Einlass zu erhalten.
Die 1906 zunächst als College gegründete Uni gehört zu den 211 Schlüssel-Hochschulen (211 State Key Universites) Chinas, die aufgrund herausragender Forschungsleistungen besondere staatliche Förderung erhalten - ein wenig vergleichbar mit der 2005/06 in Deutschland gestarteten Exzellenzinitiative.
Der Nordost-Eingang der Uni, der aus einem geradezu winzigen Portal besteht, führt unmittelbar auf eine mehrere hundert Meter lange kleine Straße, die von Alleebäumen und älteren Uni-Gebäuden flankiert ist.
Es sei die schönste Allee von Ya’an, versichern mir meine beiden Führerinnen, Forstwissenschaftsstudentinnen, die kurz vor Abschluss ihrer Bachelor-Arbeiten stehen. Sie schwärmen geradezu von ihrer Uni. Als Kontrast zum alten folgt der moderne Teil der Uni am Ende der Allee: Funktionalbauten
Zum Uni-Gelände gehören eine Reihe an Forschungsstätten unter freiem Himmel, darunter ein kleines Areal für Teekulturen an einem dicht bewaldeten Berg, dem Laoban. Auf ihn gelangt man über einen geteerten, sich windenden Weg, der nur für Forstfahrzeuge, Fahrräder (auch Elektro) und Fußgänger zugelassen ist. Die Gehölze und Pflanzen des Berges, darunter viele endemische neben eingebrachten, etwa japanischen, sind gleichermaßen Forschungsobjekte wie die sich darin befindende Insekten-, Vogel- und sonstige Tierwelt.
Interessant erscheint die Vielfalt der Pflanzenarten und -gattungen. So finden sich die Chinesische Sicheltanne (Cryptomeria fortunei) und der Maulbeerbaum (Fructus mori) - mit schwarzen, Brombeeren ähnelnden Früchten (Morus nigra) - ebenso wie verschiedene Arten des Wollmispelbaums.
Etwa der Pfirsichbaum (Amygdalus persica), der Grapefruit-Baum (Citrus maxima), Pflaumenbaum (Prunus salicina) und der aprikosengroße, indes apfelfruchtig schmeckende Früchte tragende Loquat-Baum (Eriobotrya japonica).
Auch der Honigbaum, man nennt ihn auch Perlschnurbaum oder Schnurbaum (Sophora japonica) ist vertreten. Manche Studenten der Forst- und Agrarwissenschaft witzeln darüber, dass ausgerechnet diese Art, die als endemisch in China betrachtet wird, im Lateinischen den Zusatz "japonica" erhalten hat. Auf dem Laoban vertragen sich auf engem Raum mehr unterschiedliche Gewächse als es auf den ersten Blick für möglich gehalten wird.
Es riecht gut auf diesem Berg. Iris-Blumen (Iris tectorum) sorgen im Zusammenspiel mit all den anderen Pflanzen dafür, zu denen auch die Kamelie (Camellia japonica) gehört. Und auch die Hanfpflanze (Cannabis sativa), die dort nicht etwa geerntet wird, um sie zu rauchen oder sie zu Textilien zu spinnen oder zu verweben, sondern um sie auf botanische Wechselwirkungen hin zu erforschen. Sie darf, ganz ungestraft, in Höhe und Breite wachsen.
Besonders wohl im Wald des Laoban-Berges und auf den Wipfeln seiner Gewächse fühlen sich Eichhörnchen, eine Vielzahl an Vögeln, Zikaden und so manche Falter, darunter Amathusiidae, Gattungsname Faunus, die am liebsten auf dem Glanz-Liguster (Ligustrum lucidum) oder dem Bitterholz (Picrasma quassioides) hocken.
Die üblichen Waldbewohner gibt es natürlich auch, allen voran Mäuse. Aber auch Pilze, darunter Baumschädlinge wie Cercospora cryptomeriae und Mirischkia tuberculifera, die die Chinesische Sicheltanne befallen.
Bäume vor Schädlingen zu schützen, ist das Forschungsgebiet von Dan, während das von Chiao die Chinesische Sicheltanne ist.
Der botanisch nicht vorgebildete Spaziergänger, der den Laoban allein aufgrund seiner Schönheit und der guten Luft hinaufgeht, bekommt von alldem nichts mit. Er hört das Gezwitscher der Vögel, das Zirpen der Zikaden und erfreut sich an den Blüten der Iris oder der Kamelie. Doch an diesem Vormittag kennt nur einer sich nicht gut genug in der Materie aus: ich.
Von oben bietet sich dem Betrachter ein Panoramablick auf das etwa 200 Meter tiefer liegende Uni-Gelände, Ahornblättrige Platanen (Platanus acerifolia) und die gegenüber liegenden Höhenzüge. Wer deutsche Universitätsgelände kennt, mag es am ehesten mit Heidelberg oder Tübingen vergleichen. Kann man aber nicht. Schon deshalb nicht, weil die Anordnung der Unterkünfte für Studenten und Lehrende anders ist. Und auch, weil sich das saftige Blattwerk von dem am Neckar unterscheidet.
Das Bodenprofil des Laobans ist überwiegend rotbraun gefärbt. Der Boden ist stark eisenhaltig, somit fruchtbar. Wer eine Bodenprobe außer Landes nehmen möchte - Geowissenschaftler und Bodenkundler neigen dazu -, sollte sich darüber im Klaren sein, dass der Scanner am Flughafen sie bemerkt.
Die Probe wird dann von den Sicherheitskräften einer spektrographischen Analyse unterzogen, um festzustellen, ob es sich etwa um Sprengstoff handeln könnte. Frühzeitiges Einchecken am Flughafen ist daher ganz praktisch.
Oben auf dem Aussichtspunkt kann man sich die Frage stellen, ob man den gleichen Weg, den man von Osten hinauf spaziert ist, wieder hinabgeht, oder ob man den Weg nach Westen nimmt. Wählt man Letzteren, bietet es sich an, den von einem Zeltdacht überspannten Ruhepunkt anzusteuern, um zum Beispiel noch einmal tief durchzuatmen und den Laoban zu betrachten.
Danach spaziert man linkerhand an den Unterkünften für Studenten und Lehrkräfte vorbei und erreicht einen hervorgehobenen Platz, auf dem ein mächtiger altertümlicher Brunnen als Symbol und Denkmal steht. Er steht einfach dort, wie die aus Stein gemeißelte, von der Witterung schon etwas angegriffene drei Meter hohe Karl-Marx-Büste oben auf dem Laoban. Wasser, so die Symbolik, bedeutet Leben.
Auf den Laoban hinauf zu spazieren, käme einem ausländischen Besucher von selbst wohl kaum in den Sinn, zumal im Mai die Temperaturen hoch sind. Es kommt auch nur wenigen Studierenden in den Sinn, denn einerseits kennen die meisten von ihnen diesen Berg, andererseits gehen sie lediglich hinauf zu ihm, wenn sie ein konkretes Anliegen in Bezug auf ihr Studium haben.
Chiao und Dan, meine Guides, gehen auch ohne besonderes Anliegen auf den Berg. Einfach, so die beiden Studentinnen, weil er schön, interessant, artenreich und auch deshalb ihr Lieblingsberg sei. Weil man sich entspannen könne und die Welt anders wahrnehme als Städter, die ständig in Eile seien.
Der Berg scheint manche Studierende zu prägen. Vielleicht zieht er auch eine besondere Art von Charakteren an, jene womöglich, denen ein ruhiges Gemüt innewohnt, die aber andererseits leidenschaftlich ihrem Thema nachgehen. Wer, außer mit der Botanik Vertrauten oder für die Natur sensibilisierten Walldorf-Schülern, blickt schon im Detail auf den Kosmos Wald? Wer versteht ihn und seine Bedeutung für den Menschen? Wohl die Wenigsten.
An der Sichuan Agricultural University kann man sich davon überzeugen lassen, dass es einige zehntausend Studierende gibt, die sich um wichtige Details kümmern, die Großes für Mensch, Tier und Umwelt bedeuten. Vor allem konnte ich beobachten, wie ernst die jungen Forscher ihre selbstgewählte Aufgabe nehmen.
© Uwe Goerlitz
© GeoWis (2014-06-14)
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