Angst
Schon bevor die 1. Bundesliga ihre Spielzeit 2014/15 beginnt, schaltet der FC Bayern auf Attacke und legt dabei ein Verhalten an den Tag, das befremdlich wirkt.
Von Roman Siertes (2014-08-09)
Uli Hoeneß, hinter Schwedischen Gardinen einsitzender Ex-FCB-Präsident, der sich womöglich ärgert, der bayrischen Justiz nicht auch so ein unwiderstehliches Angebot gemacht zu haben wie es Bernie Ecclestone erfolgreich zu tun imstande war, kann zufrieden sein mit Vorstandschef Karlheinz Rummenigge und Sportvorstand Matthias Sammer. So wie der verurteilte Steuerhinterzieher Hoeneß die Abteilung Attacke jahrzehntelang fast allein verkörperte, gehen Rummenigge und Sammer nun als Duo vor.
Sammer, dem auch 25 Jahre nach der Wende der klare Gebrauch der deutschen Sprache wesensfremd zu sein scheint, macht kein Hehl aus seiner simplifizierten Sicht der Dinge. Für ihn liege „der größte Wert im Leben immer wieder in der täglichen Herausforderung“, er ist immer gierig nach Titeln („Der Hunger nach Titeln wird bei mir nach jedem Erfolg größer“), und an der Personaleinkaufspolitik seines Arbeitgebers könne er nichts Verwerfliches erkennen, wie er jüngst in einem Interview in der Welt von sich gab. Der Mann ist ein verbaler Schwertkämpfer, Degen oder gar Florett sind ihm offenbar wesensfremd
Das verbale Florett beherrschte hingegen Rummenigge lange Zeit recht gut. Doch seit dem Transfergerangel um Ex-BVB-Stürmer Robert Lewandowski, dem Kauf von BVB-Mittelfeldspieler Mario Götze, einer Verurteilung als Steuerstraftäter wegen nicht verzollter kostspieliger Uhren der Marke Rolex, die er von einem Scheich geschenkt bekommen haben will, und der Strafsache Hoeneß wirkt der FCB-Vorstandschef nicht mehr so gelassen und souverän wie zu Zeiten der Erfolge. Er lässt sich hinreißen zu Stänkereien gegen Borussia Dortmund.
Jüngstes Beispiel: Äußerungen zur Vertragssituation des BVB-Spielers Marco Reus. Wohlwissend, dass Reus noch vor wenigen Tagen genervt in den in Dortmund erscheinenden Ruhr Nachrichten Vertragstreue zum BVB bekundete - was im Kern heißt, von seiner - kolportiert 35 Millionen Euro teuren - Ausstiegsklausel 2015 keinen Gebrauch machen zu wollen und bis 2017 bleibe -, thematisiert Rummenigge diese Ausstiegsklausel und beziffert sie mit 25 Millionen Euro.
BVB-Geschäftsführer Watzke reagierte darauf, und so mancher BVB-ler wundert sich darüber, weshalb? Aus der boulevardesken Veranstaltung um Lewandowski und dem Trauerspiel um Mario Götze, der beim FCB sportlich noch nicht überzeugen konnte, aber Match Winner gegen Argentinien im WM-Finale 2014 war, sollte der BVB eigentlich Lehren gezogen haben.
Eine sollte lauten, sich nicht provozieren zu lassen und auf Äußerungen dieser Qualität gar nicht zu reagieren. Seit wann ist es denn in Dortmund von Interesse, was aus München an Elaboraten kommt? Hier stünde dem BVB mehr Souveränität gut zu Gesicht. Eine weitere Konsequenz aus den vergangenen Erfolgen und dem nun gestellten Anspruch an die Zukunft sollte lauten , sich nicht zu sehr vom Gedanken westfälischer, oder sauerländischer, Sparsamkeit leiten zu lassen.
Stets wird von Watzke und Zorc angeführt, wo der BVB vor neun Jahren stand, am Abgrund, sicher. Nur wird das meist semantisch gehandhabt und ab 2005 gezählt. Dass Ex-Präsident Niebaum Schiebereien auf seine Kappe nehmen musste, ihm seine Lizenz als Notar aberkannt wurde und er in schwieriges Fahrwasser geriet ist offenbar aus der BVB-Biographie gestrichen. Hervorgehoben wird die erfolgreiche Befreiung aus dem Sog in den Abgrund und - zu Recht - die Gesundung des Vereins.
Borussia Dortmund ist inzwischen ein etablierter Big Player in der 1. Bundesliga, wie auch der FC Schalke 04, Bayer Leverkusen und - neuerdings - der VFL Wolfsburg. Er, wie auch die anderen drei Vereine, drohen dem FCB dessen Vormachtsstellung streitig zu machen. Allen voran der BVB, der sich vielleicht zu sehr auf sein Friede-Freude-Eierkuchen-Echte-Liebe-Image verlässt, dabei aber eine personalbezogene Investitionsstrategie verfolgt, die angesichts der Stellung des Klubs nicht mehr zumindest ungewöhnlich, wenn gar nicht mehr zeitgemäß ist.
Spieler einigermaßen preiswert einzukaufen und ihnen im Vergleich zum Stellenwert des Vereins bestenfalls mittelmäßige Gehälter zu zahlen, funktionierte in der Vergangenheit. Da war der BVB noch arm und hatte prächtige Schulden. Die Ansprüche waren geringer. Ein Platz im UEFA-Cup war das Ziel, als Klopp beim BVB anfing. Nun ist ein Platz in der Champions League das permanente Ziel. Dazu muss man auch die Schatulle etwas weiter öffnen.
Das Gehaltsgefüge für die Spieler des BVBs sollte sich konsequenterweise mittlerweile deutlicher am sportlichen Anspruch des Vereins, an seinem internationalen Ruf, an seiner durchschnittlichen Tabellenplatzierung der vergangenen fünf Jahre, an seinen Platzierungen in europäischen Wettbewerben und an seinen längst prächtigen wirtschaftlichen Verhältnissen orientieren. Der Cheftrainer sollte allerdings noch eine Million mehr verdienen als der höchstbezahlte Spieler. Das dürfte letztlich auch im Sinne der BVB-Aktionäre sein.
Mit mehr als 300 Millionen Euro Umsatz (2013/14) und einem achtstelligen Gewinn müsste es für den BVB möglich sein, Top-Spielern des Vereins herausragende Gehälter und Boni zu zahlen und bei Reus eine Schippe drauf zu legen, um ihm die Ausstiegsklausel abzukaufen. Der BVB könnte es sich sogar leisten, Reus‘ Berater abzufinden.
Rummenigge hat die Vorgehensweise von Borussia Dortmund erkannt und versucht sie für seinen Verein auszunutzen. Die Art, wie er das versucht, ist nicht die weiseste, zumal er ein Financial Fairplay für die 1. Bundesliga fordert. Da wäre es angebracht, er hörte auf, dem BVB Spieler wegzukaufen und von seiner Strategie des Waidschießens Abschied zu nehmen.
Der FC Bayern hat Angst vor dem BVB, weil er weiß, dass dort ein hervorragendes Trainer-Team am Werk ist, das enormen Sachverstand an den Tag legt und äußerst kreativ ist. Rummenigge ist sich im Klaren darüber, dass der BVB allen Erstligisten sein Spiel aufzwingen kann und selbst der ruhmreiche FCB gegen ihn unter die Räder gerät, wenn Klopps Eleven einmal ins Rollen kommen.
Rummenigge will vorsorgen. Jeder Titel, der zu gewinnen ist, soll gewonnen werden, auch der am 13. August 2014 anstehende Super Cup gegen den BVB. Schale, DFB-Pokal und Champions League ebenso. Borussia Dortmund hat den gleichen Anspruch und ist seit 2011 der Stachel im Fleisch des FCB, der immer damit leben konnte, wenn gelegentlich ein anderer Verein die Schale holte, aber nicht, wenn ihm ein Verein ernsthaft nachhaltig auf die Pelle rückte. Dann kauft er ihm die Schlüsselspieler weg. 40 Jahre geht das nun schon so.
Wie dünnhäutig der FCB auf Führungsebene mittlerweile ist, zeigte auch Trainer Pep Guardiola nach dem verlorenen Spiel gegen eine Allstars-Auswahl der Major Soccer League (MSL) in Portland, USA. Er verweigerte dem US-Coach des Gegners einen Handschlag und versuchte auf der anschließenden Pressekonferenz zu relativieren. Damit hat Guardiola die Werbe-Tour durch die USA ordentlich peinlich in den Sand gesetzt, denn bekanntlich ist auch der letzte Eindruck prägend.
Der BVB wird das registriert haben. Kaum anzunehmen, dass er derart dilettiert wie der FCB, dessen Trainer Guardiola nun auch vom Arroganz-Virus befallen wurde und seinen Nimbus als Sympathieträger für den FCB beschädigt hat. Er gilt als rationaler Mensch, der sich als Maß aller Dinge versteht. Klopp ist emotional im Gegensatz zu Guardiola eher emotional und jederzeit in der Lage, sein Publikum für sich zu gewinnen. Doch ob einer an der Linie rational oder emotional agiert, ist zweitrangig. Die klare Sicht der Dinge findet abseits des Publikums statt. Und da kaspert Klopp mitnichten.
Der FC Bayern hat mehr Angst vor dem BVB als vor der Staatsanwaltschaft oder bayrischen Gerichtsbarkeit. Mit den Justiz-Kalfaktern kann man umgehen, doch mit dem BVB nicht. Da muss auf dem Platz entschieden werden. Andererseits: Wenn der BVB auch künftig in der Champions-League gut Kasse machen und international nicht nur respektiert, sondern als dauerhafter Big Player wahrgenommen werden will, muss er seinem kickenden Personal mehr zahlen.
Dadurch hielte er sich die verbalen Keulen oder hin und wieder auch feinsinnigen Sticheleien aus München fern. Vor allem aber versetzte er sich in die Lage, mit einen Kern-Team zu planen und bräuchte nicht mit der Besorgnis zu leben, dass ihm der FCB Spieler abzukaufen droht. Wenn er in der Bundesliga die Nummer eins werden möchte, und das möchte er, dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als Gehälter und Boni zu zahlen, wie sie der FCB zahlt.
Dortmund und seine Umgebung weisen zwar eine hohe Lebensqualität auf - es gibt wunderbare Wohngegenden und ein vielfältiges kulturelles Angebot -, aber es hat keine Alpen, keine ausgeprägte Schickimicki-Szene und kein Oktoberfest. Dafür den Borsigplatz, den Westfalenpark mit Juicy Beats und Lichterfest, eine international ebenso anerkannte TU wie München und sich klar ausdrückende Menschen.
BVB-Trainer Klopp und die Spieler fühlen sich hier wohl. Aber klar, Barcelona, London oder Paris sind andere Kaliber. Aber München? Dort wo die Brötchen Semmeln heißen, man Pfüati oder Grüß Gott sagt, soll man als Ruhrgebietler oder Westfale zum Dienst antreten? Von dort etwa nach Paris 840 km bis nach Paris (von Dortmund 570 km) oder 825 km bis nach Amsterdam (von Dortmund 240 km) mit seinem Schlitten fahren? Das geht für Leute von hier nur übers Salär.
Für den BVB spricht, dass er seriös wirtschaftet und finanziell einige Euro in Reserve hat; dass er beliebt über die regionalen und nationalen Grenzen hinaus ist und Pressekonferenzen mit Trainer Klopp eher an ein Happening erinnern als an steife, gestelzte Pflichttermine, als die etwa Pep Guardiola sie zu verstehen scheint.
© Roman Siertes
© GeoWis (2014-08-09)