Liebe zur Zeit des Internets
Von Wolfgang Körner (2007-02-20)
2003 wurde Vernon Little, in Australien geboren und in Mexiko aufgewachsen, für seinen Romanerstling Vernon God Little (dtsch. Jesus von Texas, 2004 Aufbau-Verlag) mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet. Die böse Satire auf den amerikanischen Way auf Life, insbesondere die Methoden und Wirkungen der dortigen Massenmedien, behauptete sich auch hierzulande wochenlang auf den Bestsellerlisten. Kein Wunder!
Wie in den USA gehen auch in Deutschland Halbwüchsige nicht mit der Logarithmentafel in die Schule, sondern mit Schnellfeuerwaffen, um Lehrer wie Schulkameraden umzubringen. Die Literaturkritik war durchaus nicht einhellig begeistert. Patrioten warfen dem Autor vor, sämtliche USA-Klischees zu verwursten, doch der Kraft seiner Sprache konnten auch sie sich nicht entziehen. Gewiß, ein neuer Mark Twain oder gar ein Jerome David Salinger ist Little – der unter dem Pseudonym dbc pierre veröffentlicht – durchaus nicht. Aber seine brutal direkte Sprache dürfte dem Lebensgefühl vieler Jugendlicher in den Vereinigten Staaten entsprechen.
Jetzt liegt, gleichfalls aus dem Aufbau-Verlag, der 2006 von Faber & Faber unter dem Titel Ludmilla’s Broken English in der Übersetzung von Henning Ahrens vor. Wem auch immer der deutsche Titel Bunny und Blair eingefallen sein mag – einen Gefallen hat er dem Autor damit kaum getan.
Die durch eine gelungene Operation eines Siamesischen Zwillings geschaffenen Brüder Bunny und Blair werden aus dem Pflegeheim entlassen. Sie leben von dem trockenen Gnadenbrot, das Bedürftige im Vereinigten Königreich erhalten. Von so wenig Geld, daß ihnen ein deutscher Hartz-IV-Empfänger wie ein Millionär erschiene. Trotzdem reicht ihnen das Einkommen für Tabak und Bier. Tiefkühlkost können sie sich allerdings nicht leisten.
Das erzählt der Autor so grell überzeichnend wie es aus viele Passagen seines Erstlings bekannt ist. Mir erscheinen diese beiden Figuren arg konstruiert. Sie sind in sich unglaubwürdige Transporteure von Sentenzen, deren Dialoge mal debil sind, sich aber gelegentlich auch auf das Niveau postmoderner Diskurse hinaufschrauben: mit der Axt aufs Papier gedroschene Nebenfiguren, die der Autor für seine sehr berechtigte Kritik am heruntergekommenen britischen Sozialstaat benötigt. Nein, die überzeugend gestaltete Protagonistin dieses Roman ist jene Ludmilla, deren Name nicht ohne Grund zum Titel der Originalausgabe wurde. Eine hinreissend junge Frau, die mit ihrer Familie in ärmlichsten Verhältnissen in einer der nach Auflösung der UdSSR übriggebliebenen Kaukasus-Republiken dem Hungertode nahe lebt, in ständiger Furcht vor Milizen, deren Terror die bäuerliche Bevölkerung ausgesetzt ist.
Diese Ludmilla, die ihren Großvater nach einem Vergewaltigungsversuch umbringt, ihn in die Hütte der Familie transportiert, wo er auf dem Bett verfault, damit die Brotration nicht reduziert wird, dürfte den Autor von allen Figuren am meisten interessiert haben. Ein Interesse, das sich auf den Leser überträgt, der nach anfänglicher Skepsis mehr und mehr in Begeisterung gerät.
Der unbedingte Wille, mit dem diese junge Frau aus dem Elend heraus will und es gegen alle Widerstände endlich schafft, über eine Internet-Kontaktagentur an einen von ihr für reich gehaltenen Mann aus dem Goldenen Westen zu gelangen, ist so überzeugend gestaltet, wie in keinem anderen Roman über den sexuellen Ost-Westkonflikt.
Schwarzer Humor, bissige Ironie und daneben ein hochsensibles Mitgefühl, eine bildkräftige Sprache (der Übersetzer hat ausgezeichnete Arbeit geleistet) und der Mut zur Übertreibung sind zu einem postmodernen Meisterwerk verschmolzen. Alles in allem ein vorzüglicher wie ungewöhnlicher Roman, mit dem der Autor die von seinem Erstling geweckten großen Erwartungen übertrifft.
© Wolfgang Körner
© GeoWis (2007-02-20)
DBC Pierre, Bunny und Blair. Deutsch von Henning Ahrens. Hardcover, 396 S., ISBN 978-3-351-03096-4. Aufbau-Verlag, Berlin, 2007. Erscheint am 24. Februar 2007.
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Wolfgang Körner ist Autor von mehr als 50 Büchern und über 50 Drehbüchern und übersetzte zuletzt zwei Kriminalromane der Italo-Amerikanerin Franca Permezza. Gelegentlich rezensiert er Bücher für GeoWis. www.wolfgangkoerner.de