Vom Aufwachsen und Leben in Leipzig, DDR
Von Maja Neldner (2007-06-15)
Bereits zu Beginn des Buches bekommt man einen Eindruck, was für ein Sprachduktus und welche Tonart Leser auf den restlichen gut 190 Seiten erwarten könnten: "An dieser Stelle möchte ich (...) im Namen aller Zonis all den Menschen aus Westdeutschland danken, daβ Ihr uns all die Jahre so viele Sachen geschickt und mitgebracht habt. Ohne Euch hätten wir den Herbst 1989 bestimmt schon auf 1979 verlegt. So konnten wir uns zehn Jahre länger der Illusion hingeben, Euer Westen wäre unser Paradies. Danke dafür."
Lange erzählt in kurzen Kapiteln von seiner Kindheit bis zum Erwachsenwerden im Leipzig der 1970er und 1980er Jahre. Wer nun glaubte, der Autor täte dies in larmoyanter oder fatiganter Weise, wird überrascht. Mal deutliche, mal feine Ironie prägen seine Schreibe. So manches Attribut, so manchen Nebensatz setzt er strohtrocken adversativ ein. "Mein Kindergarten befand sich in kirchlicher Trägerschaft. Dort mangelte es uns an nichts, auβer vielleicht an Kriegsspielzeug."
Spitzen auf die DDR-Staats- und Parteiführung flieβen ihm genauso homogen aus der Feder wie die Beschreibung seines unmittelbaren Milieus oder der ihn umgebenden Wohnarchitektur und Bausubstanz in der Leipziger "Südvorstadt", ein "architektonisch gesehen, gutbürgerliches Gründerzeitviertel", so der Autor. Der schöne Südseitenbalkon der Langes sei allerdings (...) wegen Einsturzgefahr von der Wohnungsverwaltung gesperrt worden. Grund sei sein "desolater Originalzustand" gewesen. Als kleines "Trostpflaster" habe es 1,50 Mark Mieterlaβ gegeben.
Es schwingt eine enorme Leichtigkeit in Langes salopp verfaβter Biographie mit, selbst dann noch, wenn er von der Kaderschmiede für Kinder und Jugendliche, der FdJ, spricht, der er zwar nicht angehörte, die aber in Form der Spröβlinge von Parteikadern und anderen mit dem Strom schwimmenden Eltern lange Jahre allgegenwärtig war. Wer Tanten, Onkel oder eine Oma im Westen - "Westoma" - hatte, die "gelbe Bomber" schickten, Postpakete, in denen sich von Schokolade über Kaffee bis zu HB-Zigarettenpackungen so ziemlich alles befand, was es in Rostdeutschland¹ in dieser Form nicht gab, hatte wohl mehrfach im Jahr Weihnachten.
"Getränkedosen-von-drüben-Sammeln war (...) schwer angesagt", so Lange in seinem Buch. Auch Musik hören aus dem West-Äther. Das Jugenradio DT64 - im Jahr 3 nach der Wiedervereinigung eingestellt (1993) -, war zwar nicht so verstaubt, wie andere DDR-Radioprogramme, reichte der damaligen DDR-Jugend aber nicht, folgt man Lange. West-Sendern wurde gelauscht - RIAS Berlin, Bayrischer Rundfunk -, Letzterem, wenn man im Süden der DDR wohnte. Aber DT64 verkündete auch, die Band britische Depeche Mode trete am 7. März 1988 in Ost-Berlin auf, so Lange.
Schon die Episode, wie Lange sich um eine Eintrittskarte für das Konzert bemühte, steht stellvertretend für das Improvisieren und die Findigkeit besonders der jungen Leute im damaligen ostdeutschen Politibürostaat. "Good evening East-Börlin", schallte es schlieβlich von der Bühne aus in Langes Ohren.
Genauso knapp wie der Autor Anflüge von Enthusiasmus preisgibt, Kritik an beiden Seiten des Eisernen Vorhangs übt oder Anekdoten in Kohärenz bringt, hält er es auch mit der Tragik. Einer seiner besten Freunde stirbt. Lange schreibt darüber, als sei Papier immer noch ein knappes Gut. Es ist sein Stil. Der ist lesenswert. Neben dem vielen Guten und Sehr-Guten an dieser Biographie ragt heraus: Lange liebt Leipzig.
Das Verdammen, wie auch das Anhimmeln der ehemaligen DDR sucht man in Langes Buch vergeblich. Kein Nihilismus, kein Trauern.
¹ Dieses Idiom wurde vom Comic-Autor Gerhard Seyfried inauguriert.
© Maja Neldner
© GeoWis (2007-06-15)
© Abbildungen/Fotos: Buchtitel: gold. Anke Fesel/Kai Dieterich
Sascha Lange: DJ West Radio. Hardcover, 200 S.; ISBN 978-3-351-02645-5. Aufbau-Verlag, Berlin. Erschienen am 16. März 2007.
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