Erotik aus der Provinz
Nackte Körper, lange im als prüde geltenden China verpönt, finden nun über Performance und Kunst den Weg in die Öffentlichkeit.
Von Hao Feng (2007-08-13)
Die handverlesene Schar von Fotografen staunte nicht schlecht, als sie am vorvergangenen Montag in der Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Shandong - Jinan - einer Performance der in China eher selten Art beiwohnen durfte. Splitternackte, grazile junge Chinesinnen präsentierten sich in anmutender Pose auf einer mit feinem Tuch ausgelegten Bühne.
Nacktsein vor Publikum galt in China bisher als frivol und anrüchig, anzureffen nur in entsprechenden Etablissements der Großstädte.
Daß nun in der ans Gelbe Meer reichenden Provinz Shandong, deren bekannteste Metropole das Ende der 1800er Jahre unter deutschem Einfluß gewesene Seebad Qingdao ist, einige Models zusammenkamen und sich ohne einen Fetzen Stoff am Leib in Grazie ablichten ließen, spricht für das gesteigerte Selbstbewußsein Maos moderner Urenkelinnen und erinnert an vergangene Zeiten.
Damals, in den 1920er und 1930er Jahren, war das weibliche Selbstbewußtsein junger, meist wohlhabender Chinesinnen in Shanghai und Hong Kong zuhause, wenngleich nicht barenaked.
Seitdem sich das Nach-Mao-China inzwischen als ökonomisch prosperiendste Nation des Globus versteht und immer mehr westliche Einflüsse in das Land diffundieren, dehnt sich auch die Toleranzgrenze im Kulturellen und Künstlerischen stetig aus.
Waren noch vor wenigen Jahren die Pobacken der an den weitläufigen Stränden der chinesischen Küstenlinien urlaubenden jungen Damen mit zwar modischen, aber doch ausreichend Stoff bietenden Badeanzügen und Bikinis bedeckt, sind knappe Bikinis und Tangahöschen - dingziqu - mittlerweile keine Seltenheit mehr.
Man zeigt, was man kann - und gerade noch darf. Ausländische, vor allem freizügige Touristinnen aus Europa und Russland führen den Chinesen vor, wie knapp es sein kann.
Und diese - ganz besonders die weiblichen - registrieren genau, inwieweit es sich schickt, deart Haut zu zeigen. Genauso wie sie wahrnehmen, was ihre repatriierten Landsleute aus der Fremde an letztem Schrei mitbringen. Da geht es um die neuesten Schnitte und Farbkompositionen, um angesagte Accessoires, Schuhe und Unterwäsche.
Blickten Chinesinnen lange Jahre auf das, was aus Hong Kong aufs Festland schwappte oder in Shanghai getragen wurde, huldigten sie großen Mode-Designerinnen wie Vivienne Tam, Vera Wang, und der Modelheroine Ling Tang oder manchen Filmstars, etwa Zhang Ziyi, orientieren sie sich zunehmend an dem, was von in China aufgewachsenen Kreativen kommt.
Zwar genießen die Metropolen Paris, New York, Berlin, Mailand oder Tokio unter den gebildeten Chinesinnen immer noch einen hohen Stellenwert, doch ist es auch trendy, den China-look der Mottenkiste aufzupolieren. Nicht nur in den prominenten Städten. Der neue China-look macht stolz, selbst dann, wenn er nackig daherkommt.
Beijing, Shanghai, Hong Kong, Guangzhou oder Shenzhen scheinen nicht mehr die Alleinherrschaft als Trendgeber einzunehmen. Eher werden die Metropolen inzwischen auf Bereiche festgelegt. So ist Beijing Regierungs- und Verwaltungszentrum Chinas, Hong Kong der Wilde Westen in allen Bereichen, Guangzhou und Shenzen die Werkbänke, Shanghai das chinesische New York, ein Schmelztiegel, in dem von allem etwas zu finden ist.
Die in den großen Städten der Provinzen lebenden Chinesinnen verfügen dank China Television (CCTV) und Internetanschlüssen nun auch schon seit einigen Jahren über den Zugang zu Informationen und bekommen die Trends mit.
Wenn es zu heiß wird, lassen sich junge Damen auch im Bikini über den Gelben Fluß flößen, ohne irgendeine Scheu, kokett kameragerechte Haltung einzunehmen.
Das offizielle China, wie auch die Masse der noch unter weniger modernen Zeiten aufgewachsenen Chinesen - und natürlich auch die Landbevölkerung - empört sich noch oder ist verhaftet in alten Mustern. Wo mitunter der gerade erstandene Fernseher schon als phänomenaler Anschluß an die Moderne gilt, müssen frei von Kleidung auftretende Grazien erst noch moralisch verarbeitet werden.
Insofern ist der mutige Auftritt der jungen Damen von Jinan gar nicht hoch genug einzuschätzen. Er hat etwas Revolutionares abseits jeglicher Politik. "In China Fotograf zu sein", sagt ein Kollege, "war nie zuvor so aufregend."
Das große Land wird das neu entstandene Selbstbewußtsein seiner jungen Generation nicht nur verkraften, sondern es wahrscheinlich bald so rasant kompensieren wie die Wirtschaft wächst.
© Hao Feng
© GeoWis (2007-08-13; 22:20:12)