Nihilist mit Gurke im After
Nach seinem fulminanten Verkaufserfolg Die Cocka Hola Company legte Matias Faldbakken mit Macht und Rebel nach.
Von Niels Baumgarten (2007-11-09)
Den Anfang europäischer Ist-mir-doch-egal-Literatur machte nach dem Ende der 68er wohl der Franzose Michel Houllebecq mit Elementarteilchen (Les particules élémentaires, 1998). Ihm folgte die Landsmännin Virginie Despentes mit ihrem 1999 erschienenen Roman Fick mich! (Baise-moi!), den sie als Regisseurin dann auch gleich ein Jahr später verfilmte.
Kaum zwei Jahre später erschien vom Norweger Matias Faldbakken unter dem Pseudonym Abu Rasul The Cocka Hola Company, 2005 auch auf Deutsch. In München und Stuttgart gelangte das Werk auf die Bühne. Bereits 2002 veröffentlichte er Macht und Rebel, das 2005 beim Blumenbar Verlag erschien und seit Juni 2007 als Taschenbuch von Heyne Hardcore auf dem deutschen Buchmarkt ist.
Tobias Timm von der Wochenschrift Die Zeit schrieb im April 2006: "Der Norweger ist kein Großmeister des Subtilen, er übt sich lieber im radikal Pornösen." Porno in Macht und Rebel? Davon kann kaum die Rede sein. Das Wenige, daß Faldbakken über Sex, Selbstbefriedigung und eventuell krachenden Beischlaf schreibt, reicht nicht, um es pornös zu nennen. Despektierlich, geschmacklos und rigoros ist es allemal.
Aber er ist kein Bret Easton Ellis der norwegischen Subkultur, wie der Verlag auf der Rückseite Die Zeit zitiert, denn Timm hat in seiner Rezension lediglich davon gesprochen: "(...) wahlweise sahen die Kritiker in ihm einen Gegen-Houellebecq oder den Bret Easton Ellis der norwegischen Subkultur." Ellis müßte sich beleidigt fühlen, Houellebecq vielleicht auch, denn was, vor allem aber wie Faldbakken schreibt, ist purer Oslo-Rap.
'Salatgurke im Enddarm? Au, krass Mann, kommt gut oder wie? Geh ich morgen Supermarkt, Mann. Kauf zehn Stück.' So oder so ähnlich ließe sich das zur aktuellen Jugend-Subkultur auf einen von vielen Minimalnennern bringen. Dem kommt die Frankfurter Allgemeine mit dem im Innenumschlag des Buches zitierten Satz "Die große norwegische Menschenverachtungsbibel" näher als die von der Süddeutschen Zeitung ebenda überlieferte Einschätzung "Hier zeigt sich die Ironie in ihrer vollen literarischen Potenz." Echt?
Von Literatur kann bei dem rasant im Präsens geschriebenen Traktat kaum die Rede sein. Weder ist es eine Erzählung noch ein Roman. Letzterer bedingte, daß es einen Plot gäbe. Doch einen Plot gibt es bei Macht und Rebel nicht. Lediglich die beiden Figuren Rebel (der es bald leid ist, sich mit Gurken abzugeben) und Macht, und einige andere abgedrehte NorwegerInnen. Worum es geht, ist jedoch einigermaßen uninteressant.
Es soll aber um alles gehen, besser gesagt, gegen alles. Gegen den Kapitalismus, gegen Nazis, gegen Juden, gegen Ausländer, gegen Kinder, gegen Pädophile, gegen Arbeit, gegen Arbeitslosigkeit, gegen Langeweile, gegen Gott, gegen ... alles. Irgendwie kommt einem das Buch so vor, daß wer gegen alles sei, stehe für nichts.
Stattdessen wird es einigermaßen mit Ironie oder Sarkasmus in Verbindung gebracht und mit den Adjektiven beißend oder frech garniert wie interpretiert. Warum eigentlich? Nur weil Faldbakken studiert hat (Bildende Kunst)? Sich mit einem in Buchform gepreßten und betexteten Batzen Klopapier auseinanderzusetzen, müßte eigentlich nur eines nach sich ziehen: Abspülen.
Aber Faldbakkens Macht und Rebel ist ein zu wichtiges Buch, um es ungelesen den Lokus hinabzuspülen oder ins Altpapier zu geben, läßt es doch Einblicke in die Denkweise junger Leute zu, die in einer extrem unaufgeräumten Welt auf einer Reihe von Findungsexpeditionen sind. Nihilismus scheint die vorherrschende Kraft und vielleicht der letzte Zufluchtsort zu sein.
Alles anprangern, was strukturell verfestigt ist, alles bespucken, was parteiübergreifend seit Jahrzehnten im Hinblick auf die ach so benachteiligten nachfolgenden Generationen verbal - nicht selten semantisch flach wiedergekäut - heruntergebetet wird, ist Thema des Buches. Osloer und weiter entfernten norwegischen Jugendlichen mag es da kaum anders gehen als deutschen oder französischen.
Die Symbolik in Faldbakkens Buch nimmt einen hohen Stellenwert ein, was spitz auf Knopf auch an den vielen Abbildungen, die in Macht und Rebel vorkommen und möglicherweise ironisch wirken könnten, erkannt werden kann.
Es scheint, als sei das Buch ein Hilferuf, den man sprachlich eleganter hätte formulieren können. Aber dann verhallte er wohl. Dagegen stemmt sich Faldbakken.
© Niels Baumgarten
© GeoWis (2007-11-09; 18:15:58)
Alle Abbildungen entnommen aus der Taschenbuchausgabe, Juni 2007.
Matias Faldbakken: Macht und Rebel. Taschenbuch mit zahlreichen Abbildungen. 352 S., ISBN 978-3-453-67520-0. Verlag Randomhouse/Heyne, Heyne Hardcore. München. Juni 2007.