Seltsam naiv
Vor sechs Jahren erschienen Robert Baers Erinnerungen See No Evil, die ein Jahr später unter dem Titel Der Niedergang der CIA bei Goldmann mit dem Untertitel 'Ein Enthüllungsbericht' publiziert wurden. Ein Retro-Blick.
Von Hubertus Molln (2008-05-21)
Nach 9/11 verkaufte sich so gut wie jedes Buch aus dem Geheimdienst-, Mullah-, Terrorismus- und Special OPs-Genre beinahe wie von selbst. Auch Baers 'Memoir' ging hunderttausendfach über die Ladentheken. Man konnte es in den USA sogar an Tankstellen kaufen.
Es sei eine True-Story, ein Tatsachenbericht, eine wahre Geschichte aus dem Milieu der Feldarbeiter der CIA, der "Agents", so Baer im Original. Er wartet im Verlauf der Geschichte mit eine Fülle von Namen auf, die sich für die sich für die Thematik des Nahen und Mittleren Ostens Interessierenden aus heutiger Sicht besser als damals zuordnen ließen.
Doch interessant ist nicht unbedingt die Arbeit im Feld, sondern die Person Robert Baer (Ob es sein richtiger Name ist?) und die von ihm beschriebene Transformation einerseits deer CIA, andererseits des US-amerikanischen Hauptstadt seit dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Baer, Mittelstands- und Scheidungskind, der von seiner linksintellektuellen Mutter bereits im Kindesalter mit der alten Welt, Europa, intensive Berührung erlebte, weil Muttern ihn dorthin mitnahm, in die Schweiz vor allem, wo es Schnee und Berge gibt, erzählt, wie er zur CIA gekommen war. Aus seiner Sicht.
Zu einer Zeit, als Gleichaltrige wohl Rockstar, Fußballstar, Revolutionär oder Ausdauerkiffer werden wollten - und viele wurden es -, erlag er dem Skilaufen und träumte davon, darin etwas zu werden. Im Skilauf (Abfahrt) war er gut, in anderen Dingen ließ er sich treiben wie ein Herbstblatt auf der Oberfläche eines Gebirgsbaches.
Auf diese Weise kam er - als liederlicher Student mit ausgeprägtem Hang zur Ehrlichkeit in seinem Bewerbungsbogen - zur CIA, wo zu seiner Zeit das DI (Directorate if Intelligence) und das DO (Directorate of Operations) die Oberkasten bildeten. Fürs DI war er nicht geeignet. Aber fürs DO, das ihn Mitte der 1970er Jahre ins Feld schickte, "overseas", in den Nahen und mittleren Osten.
Mehr als 20 Jahre verbrachte der willfährige Patriot dort. Als er nach Washington D.C. zurückkehrt, kennt er sich nicht mehr aus. Diesen Part stellt er an den Anfang an die Geschichte, was meist ein gelingendes stilistisches Mittel in Romanen ist. Hier mißlingt die Einteilung jedoch, denn erstens hat Baer keinen Roman verfaßt, und zweitens weckt er eine Erwartungshaltung beim Leser, die er erst im letzten Drittel des Textes zu befriedigen vermag.
So ist in diesem Buch nicht Baers Feldarbeit das Lesenswerte, sondern die anfängliche Unentschlossenheit und Lethargie, mit der er sein künftiges (Berufs-)Leben zu gestalten beginnt. Er läßt sich von Personalbeschaffern (Recruiters) der Agency einfangen, hat Tagträume und honorige idealistische Vorstellungen, indes mit 22 Jahren keine Ahnung von dem, worauf er sich einläßt.
Was ihm zuvor von den Recruiters schmackhaft gemacht wurde, lenkt ihn in eine andere Richtung. Er sagt zu allem Ja und Amen - und verlebt sein Leben als spionierendes Frontschwein in einer Gegend, in die kein normaler Mensch für ein normales Gehalt gehen würde - der arabischen.
Baer, der Feldarbeiter, erfüllt die Jobs, die ihm die CIA aufträgt. Er ist der Ansicht, ohne die "Agents" im Feld könne man die USA nicht schützen. Dies bemängelt er immer wieder und hält die Wandlung zur Technokratie innerhalb der CIA für einen Fehler, der 9/11 begünstigt habe.
Es schwingt eine gewisse Larmoyanz, aber auch Naivität mit in diesem Buch. Der Autor war an 'Alte Schule' gewöhnt und hat in seiner permanenten Abwesenheit nicht mitbekommen, daß er zum anachronistischen Relikt geworden ist. In seltsamer Naivität realisiert er es, nachdem er in der Jetztzeit vom FBI des versuchten Mordes an Saddam Hussein beschuldigt wird. Nicht schlecht, betrachtet man die Ereignisse seit 2003.
Die besten Momente in diesem an umgangssprachlichen Wendungen nicht armen Buch sind jene, in denen Baer nicht von seinen Erlebnissen in Operationsgebieten berichtet, sondern jene, in denen der Charakter, der Typus zum Vorschein kommt. Es ist kein besonders gelungenes oder erkenntnisreiches Buch. Allerdings ist es ein lesenswertes, vor allem für jene, die Rasanz lieben.
Der bessere Weg wäre vielleicht gewesen, wenn der Autor auf der Grundlage seiner Erlebnisse einen Roman geschrieben hätte.
© Hubertus Molln
© GeoWis (2008-05-21)