Im Gleichschritt marsch!
Im hier vorliegenden Buch wird die Entwicklung zahlreicher deutscher Autoren und Publizisten hin zu einem kaum noch latenten Nationalismus umfangreich und kritisch dargelegt.
Von Wolfgang Körner (2008-12-01)
Nein, beliebt war der universalisierende, von keinem gewählte, nur seinem Gewissen verpflichtete Intellektuelle bei den Mächtigen in Wirtschaft und Politik zu keiner Zeit.
So beliebt der französische Romancier Emile Zola nicht nur bei seinen Landsleuten war - als er sich 1898 mit seinem Manifest der Intelektuellen gegen ein Fehlurteil des Kriegsgericht wandte, mit dem der Hauptmann Alfred Dreyfus lebenslang auf die Sträflingsinsel Cayenne verbannt wurde -, landete er doch vor dem Kriegsgericht. Es verurteilte den Autor wegen Beleidigung zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 3000 Francs, was ihn zur Flucht nach London veranlaßte.
Erst 1906, vier Jahre nach Zolas Tod, wurde der auf Grund einer plumpen Fälschung verurteilte Hauptmann Dreyfus rehabilitiert. Dessen ungeachtet, besetzten Gegner der demokratischen Republik den Begriff "Intellektueller" negativ. Sie hielten es für unzulässig, daß Intellektuelle sich ungefragt nur Prinzipien wie Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet sahen und soziale und politische Mißstände kritisieren.
Es überrascht nicht, daß sich solche - der Aufklärung und den Menschenrechten verpflichtete - Haltungen mit der Ideologie im nationalsozialistischen Unrechtsstaat nicht vertrugen.
"Wie kann ein Mann von deutschem Wesen ein Intellektueller sein!" schimpfte 1934 nicht nur die Deutsche Drogistenzeitung. Für Nazi-Ideologen waren unabhängige Denker vaterlandslose Verräter, entweder jüdisch oder bolschewistisch, oder mindestens den Plutokraten verpflichtet. In Demokratien, das erwartet man mit Recht, sollte es anders sein.
Hier, wo das Recht auf freie Meinungsäußerung verfassungsrechtlich garantiert sei, wo - jedenfalls theoretisch - alle Macht vom Volke ausgehe, erscheint die Mitwirkung von keiner parteipolitischen Ideologie verpflichteten unabhängigen Publizisten unverzichtbar. Sie sollten als so unverzichtbar gelten, wie es die Kanarienvögel in den Kohlengruben unserer Vorfahren waren: Indikatoren, an deren Verhalten ablesbar war, wenn giftige Gase durch den Streb zogen.
Schön wäre es ja, denkt man, wenn es so wäre. Aber es ist nicht so. Nach beeindruckend umfassender Recherche legt Stephan Reinhardt minutiös mit einer Fülle von Zitaten und Verweisen dar, in welchem Maße Intellektuelle auch nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur hierzulande geschmäht und diffamiert werden.
Das beginnt nicht erst mit dem Soziologen Wolfgang Sofsky, der sie zu Geldschneidern und Aufmerksamkeitsjägern erklärte. Das geht weiter mit den Versuchen, den Dichter Ernst Jünger, einen Bewunderer des Krieges, ebenso zu rehabilitieren wie den frühen Gottfried Benn, der sich nach der Machtergreifung der Nazis „ganz persönlich für den neuen Staat erklärte, weil es sein Volk sei, das sich hier seinen Weg bahne.“
Man möchte diese rückwärts gewandten mysthischen Beschwörungen von Blut und Boden, von Volk und Nation für letzte Zuckungen - von der Geschichte längst widerlegten Denkmuster - halten, feierte dieser verquaste deutsche Sonderweg nicht inzwischen fröhliche Wiederauferstehung.
Abstruse Thesen wie die des Historikers Ernst Nolte, der den Holocaust zu historisieren versucht, werden von Politikern wie dem Fuldaer Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann in die aberwitzige Vorstellung weitergeführt, man könne die bolschewistischen Juden als "Tätervolk" bezeichnen.
Gewiß, nach dieser Rede war der öffentliche Aufschrei so laut, daß die CDU den Abgeordneten aus Partei und Bundestagsfraktion ausschloß, doch nicht wenige, nicht nur in der CDU-Basis, protestierten gegen diesen Ausschluß und verlangten "kritische Solidarität".
Man mag derlei für vereinzelte Ausbrüche Ewiggestriger halten, doch vereinzelt sind derlei Versuche, die deutsche Geschichte zu revidieren, längst nicht mehr.
Der Schriftsteller Martin Walser, 1967 noch ein Verfechter der Aufklärung, verlangte nur zwölf Jahre später eine "neue Nationalgewißheit" und schwärmte dann 2002 von deutscher "Schicksalsgenossenschaft" und deutschem "Geschichtsgefühl".
1993 verstieg sich der Autor Botho Strauß mit seinem Essay Anschwellender Bocksgesang in Deutschlands Nachrichtenmagazin Der Spiegel zur Forderung der Rücknahme der Aufklärung, was der Zeit-Redakteur Benedikt Erenz sehr richtig als "akuten Herrenmenschen-Nippes mit stiller Neigung ins Zart-Bräunliche" verstand.
Akribisch genau, mit Beispielen bis hin zur jüngsten Vergangenheit - zum Beispiel der Kritik an der Weigerung der deutschen Regierung, mit der 'Koalition der Willigen' beim Überfall des Irak mitzuwirken -, bereitet Stephan Reinhardt auf, in welch erschreckendem Maße sich nicht wenige deutsche Intellektuelle von den Errungenschaften der Aufklärung entfernen und gern dort weitermachen möchten, wo man in Deutschland 1945 aufhören mußte.
Dabei polemisiert Reinhardt nicht, sondern nennt lediglich Roß und Reiter. Wie ein Auszug aus einem Who's Who der deutschen Kulturschaffenden liest sich das Quellenverzeichnis dieser Essays.
Von Hans Magnus Enzensberger, Wolf Biermann bis hin zu Cora Stephan und Uwe Tellkamp ist es geradezu erschütternd, was da an diffuser Mystik, deutsch-nationalem Denken, an Verharmlosung des Dritten Reiches und an Fremdenfeindlichkeit durch den kulturellen Überbau unserer Demokratie wabert.
Von der überkommenen Wächterfunktion der sich hierzu befleißigenden, sogenannten Intellektuellen ist wenig übrig geblieben. Und wenn sich ein unpolitischer Dichter wie Peter Handke gegen die Bombardierung Serbiens wendet, geht ein Aufschrei durch die Medien und die feste Absicht, ihm für sein literarisches Werk den Heinrich-Heine-Preis zu verleihen, wird zum Skandal stilisiert.
Da überrascht nicht, daß dieses höchst informative und lesenwerte Buch in einem kleinen Münsteraner Verlag erscheinen mußte und daher bisher kaum die Aufmerksamkeit fand, die es verdiente.
© Wolfgang Körner
© GeoWis (2008-12-01)
Stephan Reinhardt: Verrat der Intellektuellen. Schleifspuren durch die Republik. Mit einem Nachwort von Hermann Peter Piwitt. Essay 13, Paperback, 516 S.; ISBN 978-3-938568-64-4. Oktober Verlag, Münster i. Westf., 2008.