Söhne des Teufels
Mit Roter April liegt erstmals seit längerer Zeit wieder ein von einem renommierten deutschen Verlagshaus publizierter politischer Roman vor, der in die Nähe großer lateinamerikanischer Autoren gelangt.
Von Hubertus Molln (2008-12-22)
Peru kurz vor den Wahlen im Frühjahr 2000. Staatsanwalt Chacaltana ist nach zwanzig Jahren Dienst in der Hauptstadt Lima zurück in seine Heimatregion Ayacucho in die Provinz Huamanga gekehrt, wo er als Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt mit meist unbedeutenden Fällen betraut ist.
Es herrscht scheinbare Ruhe im Land, seit unter dem Präsidenten Alberto Fujimori, dessen Wiederwahl ansteht, die maoistische Rebellengruppe Leuchtender Pfad (Sendero Luminoso) zerschlagen und deren Anführer Abimael Guzmán 1992 inhaftiert wurde. Jedenfalls geht Chacaltana davon aus, daß die Region, in der sich der Leuchtende Pfad in den 1960er Jahren aus Studenten und einigen Lehrkörpern gegründet hatte, befriedet ist. Dennoch ist das Militär allgegenwärtig, was Chacaltana nicht stört.
Als ihm ein Tötungsdelikt auf den Schreibtisch flattert, ist er stolz darauf, eine Untersuchung einleiten zu können, denn bis vor kurzem noch unterlag Derartiges den Militärs und deren Gerichtsbarkeit. Pflichtbewußt will er den Fall bearbeiten und stößt dabei auf einige Ungereimtheiten. Denen geht er nach und trifft dabei auf großes Desinteresse seitens der örtlichen Polizei und der übergeordneten Militärkommandantur.
Chacaltana zieht daraus nicht die richtigen Schlüsse. Ihm, der wenig Selbstbewußtsein und ein ausgeprägtes Obrigkeitsdenken an den Tag legt, geht es um Anerkennung. Fester Bestandteil seines Juristenwesens ist der naive Glaube an die Urteilskraft seiner Vorgesetzten, worunter seine eigene leidet. Alltägliche Rechtsverletzungen an der ländlichen Bevölkerung nimmt er genauso hin wie Rechtsbeugungen von Polizei und Militärs.
Der Staatsanwalt, der seine verstorbene Mutter geradezu ödipal anbetet, ein gestörtes Verhältnis zur Liebe hat und die jüngere politische Geschichte seines Landes nur in Gut und Böse, Schwarz und Weiß einzuteilen imstande ist, muß sich schon bald mit weiteren, übel zugerichteten Toten befassen. Für ihn steht fest, daß die Mörder unter den Terrucus, den Terroristen vom Leuchtenden Pfad, zu finden seien, der offenbar doch noch rudimentär existiert.
Santiago Roncagliolo gibt mit diesem Roman einen kleinen Einblick in das alltägliche Grauen des ländlichen Perus, wie es sich während der Epoche des bewaffneten Kampfes des Leuchtenden Pfads gegen die peruanischen Regierungen unter der ersten Amtszeit von García und dann Fujimori abgespielt hat.
Es ist aber weder ein großer Roman etwa über die Unterdrückung und Knechtung der peruanischen Indios, noch über den Leuchtenden Pfad oder die Tupac Amaro - Perus zweite Rebellenorganisation. Stattdessen - und das ist das Verdienst dieses Romans - präsentiert der Autor mit Chacaltana eine erschreckend unpolitische Figur voller Komplexe und Selbstzweifel, einen Typus Beamten, ohne den - geradezu universell - der Verfall demokratischer Strukturen nur mäßig möglich wäre.
Als "Supaypawawa", Sohn des Teufels, wird Chacaltana von Edith - die er unfähig ist, ohne die Allgegenwärtigkeit des Geistes seiner Mutter zu lieben - auf Quechua bezeichnet. Damit stellt sie ihn in eine Reihe mit den Schergen und Schlächtern.
© Hubertus Molln
© GeoWis (2008-12-22)
Santiago Roncagliolo: Roter April. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Hardcover, 333 S., ISBN 978-3-518-41964-9. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2008.