Neue Nachrichten aus der Provinz
Nach den 2006 unter dem Titel Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe veröffentlichen längeren Prosastücken erscheint im Suhrkamp Verlag ein weiterer Roman des Bochumer Autors Wolfgang Welt.
Von Klaus Berthold (2009-02-24)
Ich wüsste keinen deutschen Autor zu nennen, der eine auch nur annähernd so ehrliche, anderen wie sich selbst gegenüber rücksichtslose autobiographische Prosa schreibt. Wie in 'Buddy Holly' erzählt Wolfgang Welt auch diesmal strikt chronologisch sein Leben in den Jahren zwischen 1983 und 1991.
Nach der Entlassung aus der Psychiatrie - Ärzte halten den Autor für manisch-depressiv - masturbiert er als erstes in der Mansarde, die er im Bergmannshäuschen seiner Eltern bewohnt. Danach begibt er sich auf eine Wanderung durch die Siedlung am Rande Bochums, bemüht, sich seiner Welt wieder zu vergewissern.
Anhand der Topographie des Stadtteils erzählt er Geschichten von Nachbarn, aber auch seine bisherige Lebensgeschichte. Von seinem begonnenen Studium, dessen Abbruch er den Eltern verschwieg. Von seiner Arbeit in Schallplattenläden und von seinen Musikkritiken, die er für Pop-Magazine verfasste. Von seinen Begegnungen auf Pop-Konzerten. Von Fußballvereinen und seinen ständigen Mißerfolgen bei Frauen, die sich seinem Begehren entziehen.
Für komisch könnte man die nicht enden wollende Kette der Misserfolge beim anderen Geschlecht halten, wären sie nicht letztlich tragisch. So tragisch wie anfangs seine Bemühungen, mit seinem ersten Roman, 'Peggy Sue' die Aufmerksamkeit der literarischen Öffentlichkeit zu erregen.
Wie glücklich muss dieser Mann gewesen sein, als der Konkret Literaturverlag die Arbeit veröffentlichte. Wie niederschmetternd die Erfahrung, dass die bürgerlichen Feuilletons seine Prosa weitgehend ignorierten und 'Peggy Sue' nach ein paar hundert verkauften Exemplaren im Ramsch landete. Wie Jahre später eine Taschenbuchausgabe aus dem Heyne Verlag.
Vielleicht muss man wirklich psychisch krank sein, um nach solchen Erfahrungen unbeirrt weiterhin schreiben zu können. Oder ist es ein unzerstörbarer Glaube an die Wichtigkeit der Literatur?
Wolfgang Welt pilgerte zu Hermann Lenz und bewundert Peter Handke. Er ist - wie die meisten Autoren - ein manischer Leser. Als er endlich mal wieder zu ein bisschen Geld kommt, bezahlt er als erstes die Bücher, die ihm der Bochumer Buchhändler Janssen auf Kredit verkaufte.
Ja, seit ihn die Stadt Bochum als Nachtwächter einstellte, liegt er seinen ungemein liebevollen und geduldigen Eltern endlich nicht mehr auf der Tasche. Auch von ihnen und von Nachbarn, von Freunden und seinen Ärzten erzählt der Autor direkt und unverstellt, ändert Namen nur selten, um Verletzungen zu vermeiden.
Rundum sympathisch erscheint mir das Leben und sein davon nicht zu trennendes Werk. Mit der Veröffentlichung im Hause Suhrkamp hat Wolfgang Welt vermutlich das Höchste erreicht, was einem Autodidakten möglich ist, wenn er ehrlich schreibt und nicht gepflegt, wie es manch mehr oder nicht selten weniger gebildeter Schöngeist mag.
Die Tatsache, da der Autor, der von seinen Honoraren gewiss nicht leben kann, immer noch in seinem Brotberuf als Nachtpförtner des Bochumer Schauspielhauses arbeitet, macht ihn für die Medien inzwischen als Ruhrgebiets Celebrity interessant. Der Rundfunk interviewt ihn und die Süddeutsche Zeitung widmete ihm kürzlich eine große Homestory.
Das ändert wenig daran, dass vom Band 'Buddy Holly' zwei Jahre nach Veröffentlichung der Suhrkamp-Ausgabe keine 3000 Exemplare verkauft worden waren. Für andere Verlage wäre so etwas ein wirtschaftlicher Misserfolg. Suhrkamp veröffentlicht unbeirrbar das nächste Werk des Autors, dem ich endlich verdienten Erfolg wünsche.
In unserer Zeit des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs sind die Erfahrungen dieses Erzählers, der nach jeder Niederlage aufsteht und weiterlebt, mehr als aktuell.
© Klaus Berthold
© GeoWis (2009-02-24)
Wolfgang Welt: Doris hilft. (Mit einem Nachwort von Willi Winkler) Taschenbuch, 248 S., ISBN 978-3-518-46051-1. Suhrkamp, Frankfurt am Main. Erscheint Anfang März 2009.